Die DNA einer aktiven Galaxie

Internationaler Schulterschluss ermöglicht einzigartige Einblicke in extreme Auswürfe eines Massenmonsters

Wenn in der unmittelbaren Umgebung gigantischer schwarzer Löcher in den Zentren aktiver Galaxien Urkräfte geweckt werden, beschleunigen diese die Materie entlang eines schmalen Kanals fast auf Lichtgeschwindigkeit. Mit Teleskopen lassen sich diese kolossalen Massenauswürfe, die tief in den intergalaktischen Raum hineinreichen, gut beobachten. Was sich in der Nähe des schwarzen Lochs abspielt, bleibt gewöhnlichen Teleskopen verborgen, prägt aber das Erscheinungsbild dieser so genannten Jets und ihre unvorstellbare Energie und Durchschlagskraft. Ein Radioteleskop, größer als die Erde, scheint die nötige Auflösungskraft erreicht zu haben.

Mit Hilfe eines Netzwerks von Radioteleskopen auf der Erde und im Weltraum haben Astronominnen und Astronomen unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie nun das bisher detailreichste Bild eines Plasmastrahls aufgenommen, der aus der unmittelbaren Umgebung eines wahren Massemonsters im Herzen der fernen Galaxie mit der Bezeichnung 3C 279 schießt. Der Teilchenstrahl bewegt sich fast mit Lichtgeschwindigkeit und zeigt in der Nähe seines Ursprungs komplexe, verdrehte Muster. „Es ist das erste Mal, dass wir solche Filamente in der Nähe des Ursprungs des Jets gesehen haben, und sie verraten uns mehr darüber, wie das schwarze Loch das Plasma formt“, sagt Eduardo Ros, ein Mitglied des Forschungsteams. Die feine Struktur des Materieausstoßes, die an einen verdrillten DNA-Strang erinnert, hilft den Forschenden vor allem zu verstehen, welche physikalischen Prozesse im Inneren des Jets ablaufen und warum er Materie wie durch einen Strohhalm aus der Galaxie hinaus kanalisiert.

Auf Kurs gehalten

Blazare gehören zu den hellsten Quellen elektromagnetischer Strahlung im Kosmos. Sie sind eine Unterklasse aktiver galaktischer Kerne, also Galaxien mit einem zentralen supermassereichen schwarzen Loch, in das langsam Materie hineinströmt. Dabei werden enorme Energiemengen freisetzt. Etwa 10 Prozent der aktiven Galaxienkerne schleudern in ihre geladenen Bestandteile zerlegte Materie, so genanntes Plasma, entlang gebündelter Ströme in das intergalaktische Medium. Blazare sind solche aktiven Galaxienkerne, bei denen dieser Jet fast direkt in unsere Beobachtungsrichtung zeigt.

Die Plasmastrahlen von aktiven Galaxien sind nur in großen Entfernungen annähernd geradlinig und gleichmäßig. Bei genauerem Hinsehen mit Teleskopen wie dem hier verwendeten erkennt man Drehungen und Windungen, die dadurch entstehen, dass das Plasma durch die Kräfte um das schwarze Loch und im Jet selbst beeinflusst wird. Ganz von der Spur kommt der Jet aber augenscheinlich nicht ab. Die drei wellenförmigen Stromlinien, die den Jet von 3C 279 durchziehen, zeugen davon, dass im Jet verschiedene Schichten aneinander reiben und den Strom zumindest für einen Moment von seiner geraden Bahn ablenken. Die Details dieser Struktur stellen die bisherige Vorstellung, wie solche Jets entstehen und sich ausbreiten, in Frage. Offenbar bestimmt das Magnetfeld, das den Jet durchdringt und formt, weniger stark, wie sich die Materie ausbreitet, als die schiere Trägheit der Masse, also der Drang des bereits in Bewegung geratenen Plasmas, in dieser Bewegung zu verharren.

Magnetischer Stützstrumpf

„Mit dieser Studie betreten wir ein völlig neues Terrain“, sagt Andrei Lobanov, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Radioastronomie. Ähnliche spiralförmige Turbulenzen haben Astronominnen und Astronomen zwar schon in einigen Jets anderer aktiver Galaxien beobachtet, allerdings in viel größerer Entfernung vom schwarzen Loch - dort, wo die vom Jetplasma mitgeführten Magnetfelder bereits stark geschwächt sind. Der einzigartige Blick hinter die Kulissen des Plasmastroms von 3C 279 erlaubt es nun, wie in der Wissenschaft üblich, bestehende physikalische Modellvorstellungen zu überdenken und andere zu verfeinern.

Nach klassischer Vorstellung ist ein solcher Plasmastrom in der Umgebung des schwarzen Lochs durch ein Magnetfeld verankert, das um eine durch den Jet gedachte Achse rotiert. Das so schraubenförmig verdrillte Magnetfeld umgibt und durchdringt das Plasma wie ein stabilisierendes Netz, und die magnetischen Kräfte beschleunigen den Plasmastrom wie eine Sprungfeder nach außen - ganz nach dem physikalischen Prinzip, dass sich geladene Teilchen in Anwesenheit eines Magnetfeldes nicht völlig frei bewegen können. Die im Magnetfeld enthaltene Energie nimmt jedoch ab, je weiter sich das Plasma vom Ursprung des Jets entfernt. Das bedeutet, dass der Materiestrahl weiter außen nur durch die Trägheit seiner Masse auf Kurs gehalten werden kann.

Ein Teleskop so groß wie acht Erden

Ein wesentlicher Beitrag zu den Beobachtungen kam vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn. Dort wurden die Daten aller beteiligten Radioteleskope zusammengeführt, die als Teil eines großen Teleskopverbunds gleichzeitig auf den Kern der Galaxie 3C 279 blickten. Man schuf damit ein einziges, virtuelles Teleskop mit einem effektiven Durchmesser von acht Erden. Werden die dabei aufgezeichneten Radiowellen miteinander verrechnet, genauer, korreliert, entsteht ein rekonstruiertes Bild mit enormem Detailreichtum. „Dank des Radioteleskops RadioAstron, das sich in einer Erdumlaufbahn befindet, und eines Netzwerks von 23 Radioteleskopen, die über die ganze Erde verteilt sind, haben wir das bisher höchstaufgelöste Bild vom Inneren eines Blazar-Jets erhalten“, sagt Antonio Fuentes, ein Forscher am Institut für Astrophysik von Andalusien in Granada, Spanien. Beispiele wie diese zeigen, dass es der Forschung nicht an Kreativität mangelt, um mit immer besseren Beobachtungsmethoden Grenzen des bisher Machbaren zu überwinden.

Anton Zensus, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie, betont: „Diese Experimente sind außergewöhnliche Leistungen, die durch die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit von Observatorien und Wissenschaftlern in vielen Ländern möglich wurden.“ Es scheint also vor allem eine Frage des Schulterschlusses, welche der noch offenen Fragen über das Universum beantwortet werden können.  

NJ/TB

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