Planetenbildende Scheibe ohne Sonnenbrand

Voraussetzungen für erdähnliche Planeten auch in unwirtlichen kosmischen Regionen gefunden

Planeten wie unsere Erde könnten sogar in den unwirtlichsten Stern­ent­stehungs­um­gebungen entstehen, die vom energiereichen Ultravioletten Licht massereicher Sterne durchflutet werden. Dies zeigt eine Analyse neuer Beobachtungen mit dem James Webb Weltraumteleskop. Diese Be­ob­achtungen wären vor der Inbetriebnahme von James Webb nicht möglich gewesen. Das Ergebnis ist eine gute Nachricht für erdähnliche Planeten und für Leben im Universum: Solche Planeten können offenbar unter einer Vielzahl von Bedingungen entstehen.

Astronominnen und Astronomen haben wasser- und kohlenstoffhaltige Moleküle in einer Gas- und Staubscheibe um einen jungen sonnenähnlichen Stern gefunden, der sich in einer der unwirtlichsten Regionen unserer Galaxis befindet. Scheiben dieser Art um neu entstehende Sterne sind die Orte, an denen Planeten entstehen. Sie heißen deswegen auch protoplanetare Scheiben. Ein Team unter der Leitung von María C. Ramírez-Tannus vom Max-Planck-Institut für Astronomie hat mit dem James Webb Weltraumteleskop einen Blick in den inneren Bereich einer solchen Scheibe geworfen – denjenigen Teilbereich, in dem sich typischerweise erdähnliche Planeten bilden: Planeten mit einer dünnen Atmosphäre rund um eine Kugel aus Gestein.

Die Scheibe, die den Namen XUE-1 trägt, ist intensiver UV-Strahlung der umliegenden heißen und massereichen Sterne ausgesetzt. Doch selbst in dieser rauen Umgebung wurden bei den Beobachtungen sowohl Wasser als auch einfache organische Moleküle nachgewiesen. Ramírez-Tannus sagt: „Dieses Ergebnis ist unerwartet und aufregend! Es zeigt, dass selbst in den unwirtlichsten Umgebungen unserer Galaxie günstige Bedingungen für die Entstehung erdähnlicher Planeten und der Zutaten für Leben vorhanden sind.“

Wo die massereichsten Sterne entstehen

Die neuen Beobachtungen sind die ersten ihrer Art. Bisher war nichts über die Auswirkungen solch unwirtlichen Umgebungen auf die inneren Regionen von Scheiben bekannt, in denen sich vermutlich terrestrische Planeten wie die Erde oder Mars bilden. Bisherige Detailbeobachtungen von protoplanetaren Scheiben waren auf uns vergleichsweise nahe Sternentstehungsgebiete beschränkt, in denen diese einfacher zu beobachten sind aber wo es  keine massereichen Sterne gibt. Massereiche Sternentstehungsgebiete sind etwas ganz Anderes: Dort bilden sich zahlreiche Sterne in etwa zeitgleich, darunter auch einige der seltenen, aber extrem leuchtstarken, sehr massereichen Sterne. Während des „goldenen Zeitalters“ der Sternentstehung vor rund 10 Milliarden Jahren, entstanden die meisten Sterne in solchen Haufen. Insgesamt wurden mehr als die Hälfte aller Sterne in unserem Universum – einschließlich unserer eigenen Sonne – in massereichen Sternentstehungsgebieten geboren, zusammen mit ihren Planeten. Im heutigen Universum sind massereiche Sternentstehungsgebiete vergleichsweise selten, und selbst die uns nächstgelegenen sind weit von uns entfernt.

Massereiche Sterne sind zwangsläufig sehr hell und strahlen große Mengen hochenergetischer UV-Strahlung ab. Es war eine offene Frage, ob diese intensive Strahlung die Bildung von Planeten wie der Erde um sonnenähnliche Sterne und dessen Atmosphäre stören oder sogar weitgehend verhindern würde. Wäre dies der Fall, dann wäre es zwar nicht unmöglich, aber sehr selten, dass in solchen massereichen Sternhaufen erdähnliche Planeten entstehen würden. Eine Reihe von Überlegungen wiesen genau in diese Richtung: Zum Beispiel treibt die UV-Strahlung der massereichen Sterne das Gas in den äußeren Scheibenbereichen auseinander. Das wiederum hemmt das Wachstum von Staubteilchen und ihren Weg in die inneren Scheibenbereiche. Solche Staubteilchen sind nun aber wichtige Bausteine erdähnlicher Planeten.

Starke UV-Einstrahlung auf planetenbildende Scheiben

Die Inbetriebnahme des James Webb Weltraumteleskop änderte die Situation grundlegend. Sobald das Teleskop für wissenschaftliche Beobachtungen verfügbar wurde, bewarben sich Ramírez-Tannus und die XUE-Kollaboration (eXtreme UV environments, auf deutsch sinngemäß Regionen mit extremem Einfluss von UV-Strahlung) erfolgreich für die Beobachtung des Sternentstehungsgebiets NGC 6357. Mit einer Entfernung von 5500 Lichtjahren von der Erde ist dies eines der nächstgelegenen massereichen Sternentstehungsgebiete. Es ist auch das vielversprechendste Beobachtungsziel, um zu beantworten, wie starke UV-Strahlung die inneren Gebiete einer planetenbildenden Scheibe beeinflusst: Denn NGC 6357 enthält rund ein Dutzend leuchtkräftiger, massereicher Sterne, neben einigen mit James Webb beobachtbaren planetenbildenden Scheiben. „Wenn intensive Strahlung die Bedingungen für die Planetenbildung erschwert, dann ist NGC 6357 der Ort, an dem wir diesen Effekt sehen sollten“, sagt Arjan Bik von der Universität Stockholm.

Die Beobachtungsdaten, die in diesem Falle aufgenommen werden, sind sogenannte Spektren, also regenbogenartige Zerlegungen des Lichts, die Schätzungen über das Vorhandensein bestimmter Moleküle in der beobachteten Region ermöglichen. Zu ihrer Überraschung stellte das Team um Ramírez-Tannus fest, dass es in der planetenbildenden Scheibe namens XUE-1, die enormer UV Strahlung ausgesetzt ist, nicht weniger Schlüsselmoleküle in der inneren Scheibenregion befinden als in solchen Scheiben, die sich in masseärmeren Sternentstehungsgebieten befinden und daher weniger starker UV Strahlung ausgesetzt sind.

Wasser und andere komplexere Moleküle in unwirtlicher Umgebung

„Wir haben in den innersten Regionen von XUE-1 eine Fülle von Wasser, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Cyanwasserstoff und Acetylen gefunden“, sagt Ramírez-Tannus. „Dies liefert wertvolle Hinweise darauf, wie die ursprünglichen Atmosphären der entstehenden erdähnlichen Planeten zusammengesetzt sein dürften.“ Die Forschenden fanden auch Silikatstaub in ähnlichen Mengen wie in massearmen Sternentstehungsgebieten. Dies ist das erste Mal, dass solche Moleküle unter solchen extremen Bedingungen nachgewiesen wurden.

Diese Beobachtungen sind eine gute Nachricht für erdähnliche Planeten und für das Leben im Universum allgemein: Offenbar können sich in den inneren Regionen protoplanetarer Scheiben um sonnenähnliche Sterne selbst in den unwirtlichsten Sternentstehungsgebieten in ähnlicher Weise erdähnliche Gesteinsplaneten bilden wie in den ruhigeren, masseärmeren Gebieten. Die entsprechenden Scheibenregionen sind sogar reich an Wasser, einer notwendigen Zutat für Leben, wie wir es kennen. Ob dies insgesamt zu einer großen Anzahl von erdähnlichen Planeten führt, die in solchen Umgebungen entstehen, können die Forscher nicht anhand einer einzigen Scheibe feststellen. Die XUE-Kollaboration geht mit ihren Beobachtungen daher jetzt noch einen Schritt weiter und untersucht 14 weitere Scheiben in verschiedenen Teilen des Sternentstehungsgebiets  NGC 6357. Was sie dort finden werden, steht noch in den Sternen.

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