Forschungsbericht 2005 - Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften
Das Repertorium der deutschen Königspfalzen
The German royal palaces: survey of the Pfalzen, royal courts and other places of residence of the kings in the medieval German Reich
MPI zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften, Göttingen
Mit der Gründung des Göttinger Max-Planck-Instituts für Geschichte im Jahre 1956 ist der Beginn der systematischen Pfalzenforschung verbunden. Im gleichen Jahr nahmen Wilhelm Berges und Walter Schlesinger die Planung für dieses Forschungsvorhaben in Angriff, und Hermann Heimpel, erster Direktor des Instituts, griff es auf. Schlesinger schuf 1963 die methodischen Grundlagen, indem er auf die mit dem Terminus „palatium“ verbundenen terminologischen Unsicherheiten hinwies und Ansätze zu deren Lösung lieferte. Dieser Beitrag erschien in dem ersten von mittlerweile sechs Sammelbänden zur Pfalzenforschung; die Studien, die das „Repertorium der deutschen Königspfalzen“ begleiten, sind zumeist aus Kolloquien zu Einzelfragen des Projektes hervorgegangen und beleuchten zugleich die internationale Dimension der Pfalzen- und Itinerarforschung. Josef Fleckenstein und Otto Gerhard Oexle setzten als Direktoren das Pfalzenprojekt als mediävistisches Forschungsvorhaben des Instituts fort.
Das Reisekönigtum als mittelalterliche Herrschaftspraxis
Das Phänomen des Reisekönigtums, des steten Umherziehens des Herrschers im „Reich ohne Hauptstadt“, bedingt einen dieser speziellen Form der Herrschaftspraxis angepassten kulturwissenschaftlichen Zugriff, denn nicht unbedingt müssen Personen, Zeit oder Weg im Zentrum des Interesses stehen. Neben einem Forschungsansatz, der historische Landschaften – Reiche oder Regionen, Kirchenprovinzen oder einzelne Bistümer, Herzogtümer oder Grafschaften – in den Blick nimmt, ist die Behandlung einzelner Orte seit jeher eine der Landesgeschichte vertraute Thematik. Diese greift das Repertorium im Prinzip auf, jedoch beschränkt es sie auf die Stätten, die der Monarch zum Zweck der Regierung vor 1198 erstmals besucht hat. Solche Handlungen wären im methodischen Verständnis des Repertoriums beispielsweise Urkundenausstellungen, Hoftage oder Synoden, kirchliche Festfeiern sowie Aufenthalte auf Reichsgut und vor allem bei Instituten der Reichskirche. Dies bedeutet eine Konzentration auf das Königtum, ermöglicht es aber zugleich, die Orte untereinander zu vergleichen.
Doch nur bei einem kleinen Teil der untersuchten Aufenthaltsorte handelte es sich um „Pfalzen“; diese wären gemäß der Definition zunächst nur die Plätze, für die der Terminus „palatium“ oder ein Äquivalent in zeitgenössischen schriftlichen Zeugnissen belegt ist. Das Repertorium bearbeitet somit nicht nur Königspfalzen im engeren Sinne, beispielsweise Goslar oder Gelnhausen (Abb. 1 und 2), sondern auch Königshöfe (wie Thangelstedt in Thüringen) oder Herzogs- und Bischofspfalzen (etwa Braunschweig, Speyer), in denen sich der Herrscher aufgehalten hat. Das Kriterium „Burg“ hingegen ist im hier gegebenen Zusammenhang schwerer einzuordnen. Als typologische, architekturhistorische Klassifizierung für besuchte Stätten steht es einerseits erfahrungsgemäß in einem Spannungsfeld zwischen friedlichen und kriegerischen Handlungen der Könige in oder vor ihnen; andererseits ist es im Zusammenhang mit der Funktion des Aufenthaltsortes für sein Umland zu sehen. Eine Untersuchung des Rheinlandes ergab, dass bei Burgen die obigen Kriterien des Repertoriums für einen „Aufenthalt“ selten erfüllt werden.
Die Methode der Pfalzenforschung
Historiker können einen Ort von den ersten Spuren menschlicher Besiedlung über seine Funktion als königliche Aufenthaltsstätte hinaus bis zum Ende des Mittelalters verfolgen. Wie ein Querschnitt durch die aus einer gewissen Perspektive linear erscheinende Achse der Ereignisgeschichte treten so Könige und der sie umgebende Personenkreis in das Licht der Betrachtung und verlassen es wieder. Sie handeln in einem historischen und in einem topographischen Kontext, denn die Bedingungen des Ortes wirken auf ihr Tun. Spezielle Funktionen oder Patrozinien, also die Heiligen, denen eine Kirche geweiht ist, beeinflussen die Wahl des Besuchstermins. Nicht immer sind politische Motive ausschlaggebend für die Gestaltung des königlichen Reiseweges, wenn sie auch überwiegend das Itinerar, die anhand von Quellen rekonstruierbare Reiseroute eines Herrschers, bestimmt zu haben scheinen. Seit über einem Jahrhundert werden in der Mediävistik die „Regesta Imperii“, die die Handlungen und die daraus resultierende Reiseroute der fränkisch-deutschen Könige in chronologischer Folge dokumentieren, bearbeitet und zu Rate gezogen. Das Repertorium beschreitet einen anderen Weg, da es nicht die Zeit, sondern den Ort zum Kriterium erhebt.
In den Artikeln des Repertoriums nimmt die Untersuchung des Schauplatzes der Herrscheraufenthalte breiten Raum ein: Topographie und Baugeschichte sowie die Ausstattung stehen im Mittelpunkt eines archäologisch sowie architektur- und kunsthistorisch orientierten Abschnittes. Die bauliche Beschaffenheit erlaubt Rückschlüsse auf die Bedeutung des Aufenthaltsortes. Dieser war, sofern er nicht einer anderen Institution als dem König diente, nur dann in „Gebrauch“, wenn sich der Herrscher dort aufgehalten hat. Denn auch in den Zeiten seiner Abwesenheit mussten die Gebäude gepflegt und instandgehalten werden, was einen finanziellen und personellen Aufwand erfordert hat, über den aus dem früheren Mittelalter wenig Quellen vorliegen.
Das Verhältnis von Königtum und Pfalzort wird anhand der schriftlichen Überlieferung erläutert. Quellenzitationen, die eine Anwesenheit des Königs oder des Kaisers belegen, beschreiben die einzelnen Aufenthalte. So ist jeder nachweisbare Besuch umfassend dokumentiert und der Benutzer des Repertoriums verfügt über nahezu alle auf den Ort bezogenen, erzählenden wie normativen Quellen. Schließlich werden die Ereignisse zusammengefasst und die in Berichten und Urkunden genannten Anwesenden aufgelistet. Letzteres erlaubt, den um den Regenten gescharten Personenkreis zu identifizieren und auszuwerten.
Ergebnisse
Im Verlauf des Mittelalters sind Wandlungen der Itinerarplanung zu beobachten. So gab es stets Kernlande der Königsherrschaft, die sich von Dynastie zu Dynastie, manchmal sogar von einem zum nächsten Herrscher aus demselben Hause, verschieben konnten. Damit änderten sich auch die Schauplätze der großen Versammlungen und kirchlichen Festfeiern. Waren die späten Karolinger bis hin zu Konrad I., dem ersten nichtkarolingischen König des ostfränkischen Reiches, zumeist im Westen unterwegs, so erhielt Sachsen den Status einer Kernlandschaft unter den Ottonen. Die Salier versuchten, neben ihren Stammlanden um Speyer und Worms auch den sächsischen Raum zu integrieren. Diese Bestrebungen erlebten unter Heinrich III. ihren Höhepunkt mit der Einrichtung des Pfalzstiftes St. Simon und Judas in Goslar, das in seiner Bedeutung mit demjenigen Karls des Großen in Aachen zu vergleichen ist, und fanden unter Heinrich IV. mit den Sachsenaufständen im letzten Drittel des 11. Jahrhunderts ihr spektakuläres Ende. Den Staufern gelang es zunächst, auch den Norden einzubeziehen, doch sind die Konflikte zwischen Barbarossa und Heinrich dem Löwen ein Indikator für Konflikte innerhalb des Reiches. Heinrich VI. oder Friedrich II. waren nur noch sporadisch weit nördlich ihrer schwäbischen Stammlande anzutreffen, eine politische Schwerpunktverschiebung nach Süden bis nach Italien hatte ihr Itinerar entscheidend geprägt.
Die Bedeutung des Ortes wird auch an Ereignissen in Abwesenheit des Königs deutlich. Vorgänge von historischer Bedeutung, die ohne den Herrscher stattfanden, sind daher ebenfalls zu dokumentieren. Hierzu zählen Besuche von königlichen Familienmitgliedern, von Päpsten, von Thronprätendenten oder so genannten Gegenkönigen, Fürstenversammlungen oder Landtage. Manche Stätte hatte neben einer Funktion für das Reich auch eine regionale Aufgabe inne, wie die Pfalz Werla an der Oker, ein traditioneller Versammlungsort der Sachsen.
Auch eine eventuelle Bestattung und die eingerichtete geistliche Totensorge für den König oder seine Angehörigen müssen dokumentiert werden. Herrschergräber finden sich an Orten, die zuvor und danach im Itinerar eine Rolle spielen – augenfällig natürlich, wenn sie in Domkirchen (wie Magdeburg, Bamberg oder Speyer) oder in der bedeutenden Pfalz Aachen (Karl der Große und Otto III.) liegen. Doch auch die Klöster mit Herrschergräbern (ostfränkische Karolinger in Lorsch, Konrad I. in Fulda, Damen der ottonischen und salischen Familien in Quedlinburg) haben Rang im Reiseweg und beeinflussen die Besuchsgewohnheiten. In diesen Zusammenhang gehört auch die Untersuchung von kirchlichen Funktionen und Handlungen des Monarchen, wie etwa Gebetsverbrüderungen, Königskanonikat oder Memorialstiftungen.
Ausblicke
In interdisziplinären wie in internationalen Kooperationen leistet das Repertorium der deutschen Königspfalzen einen Beitrag zu der Forschung über Orte der Herrschaft im diachronen historischen Vergleich. Erste Ergebnisse zurückliegender Tagungen können nun in Sammelbänden präsentiert werden und weitere Kolloquien sind in Vorbereitung, vor allem auf dem Gebiet der Zusammenarbeit zwischen Geschichtswissenschaften, Archäologie und Naturwissenschaften.