Ultraschneller Schalter für Supraleiter

Terahertzpulse unterbrechen die verlustfreie Stromleitung vorübergehend

29. Juni 2011

Ein Hochtemperatur-Supraleiter lässt sich nun innerhalb einer Billionstel Sekunde an- und abschalten – 100 Jahre nach der Entdeckung der Supraleitung und 25 Jahre nach der ersten Realisierung eines Hochtemperatur-Supraleiters. Ein Team um Physiker der Universität Oxford und der Max-Planck-Forschungsgruppe für Strukturelle Dynamik an der Universität Hamburg hat den Schalter mit extrem kurzen und starken Terahertzpulsen realisiert. Dieses Experiment eröffnet zum einen die Möglichkeit, mehr über die noch immer nicht geklärte Ursache für diese Art der Supraleitung zu erfahren. Zum anderen deuten sich Anwendungsmöglichkeiten für eine zukünftige ultraschnelle Elektronik an.

Supraleitung ist einer der erstaunlichsten physikalischen Effekte. Jeder elektrische Leiter besitzt einen Widerstand. Doch einige Materialien verlieren ihren Widerstand vollständig, wenn man sie unter eine charakteristische Temperatur abkühlt. Dann fließt der Strom vollkommen verlustfrei. Als der niederländische Physiker Heike Kamerlingh Onnes diesen Effekt 1911 an Quecksilber entdeckte, glaubte er zunächst an einen Fehler seines Messinstruments, bevor ihm die Tragweite seiner Jahrhundertentdeckung bewusst wurde.

Allerdings muss man „normale“ Leiter, wie Quecksilber oder Blei, fast bis an den absoluten Nullpunkt bei minus 273,16 Grad Celsius abkühlen, damit sie supraleitend werden. Es war deshalb eine Sensation, als Johannes Georg Bednorz und Karl Alexander Müller 1986 ein keramisches Material vorstellten, das schon bei minus 248 Grad Celsius supraleitend wurde. Seitdem sind diese kalten Leiter ein heißes Thema bei Grundlagenforschern und Anwendern. Der ultraschnelle Schalter, den die Forschungsgruppe um Andrea Cavalleri, Leiter der Max-Planck-Forschungsgruppe für Strukturelle Dynamik an der Universität Hamburg, nun entwickelt hat, stellt hier eine weitere verblüffende Entdeckung in diesem Gebiet dar.

Der von den Hamburger Wissenschaftlern verwendete Hochtemperatur-Supraleiter ist seit langem bekannt. Es ist ein Kristall, bestehend besteht aus Lanthan-Kuprat (La2CuO4) mit einer fest definierten Beimengung von Strontium (La1,84Sr0,16CuO4). Seine Übergangstemperatur liegt bei minus 233 Grad Celsius. Auf welche Weise die Supraleitung darin zustande kommt, ist zwar noch nicht abschließend geklärt, aber wesentliche Elemente sind bekannt: „Im Innern dieses Kristalls bildet das Kuprat Ebenen, die übereinander liegen, ähnlich wie die Seiten eines Buches“, erklärt Cavalleri. Die Elektronen können sich nur innerhalb dieser Ebenen bewegen; der Stromtransport findet also nur in zwei Dimensionen statt.

Kühlt man das Material unter 40 Kelvin ab, so entsteht plötzlich zwischen diesen Ebenen eine Verbindung. Physiker erklären dies im Wellenbild. Demnach muss man sich die Elektronen nicht als Teilchen, sondern als Wellen vorstellen. Unterhalb der Übergangstemperatur kommt es nun dazu, dass sich die Elektronenwellen aus benachbarten Ebenen überlappen, und das ermöglicht es den elektrischen Ladungsträgern von einer Ebene zur anderen zu wechseln. Damit findet der Stromtransport plötzlich in allen drei Raumdimensionen statt: Der supraleitende Zustand ist entstanden.

Ein Terahertzpuls zerstört kurzzeitig die Kopplung der Elektronen

Cavalleri und seine Mitarbeiter fragten sich nun, ob sich dieser Transport zwischen den Schichten gezielt unterbrechen und wieder anschalten lässt. Theoretisch ist dies möglich, wenn man senkrecht zu den Schichten ein sehr starkes elektrisches Feld anlegt. „Wenn man das tut, erwärmt sich aber der Kristall, und die Supraleitung bricht zusammen“, erklärt Cavalleri. Die Lösung bestand darin, einen ultrakurzen Lichtpuls hineinzuschießen.

Dieser sogenannte Terahertzpuls ist eine elektromagnetische Welle, ähnlich wie Licht, nur mit größerer Wellenlänge. Sie führt ein elektrisches Feld mit sich, das beim Eindringen in den Kristall die Kopplung der Elektronenwellen zischen den Ebenen kurzfristig zerstört. Allerdings gelingt dies nur, wenn der Puls eine sehr hohe Feldstärke von mehreren zehntausend Volt pro Zentimeter erzeugt. Und er muss so kurz sein, dass der Kristall sich nicht erwärmt.

Solch extrem starke, ultrakurze Terahertzpulse lassen sich erst seit kurzem erzeugen. Dies ist die Aufgabe von Teammitglied Matthias Hoffmann. Stark vereinfacht gelingt dies, indem man einen ultrakurzen Laserpuls in einen Kristall aus Litiumniobat schießt. Durch einen Effekt, den Physiker optische Gleichrichtung nennen, entsteht dann in dem Kristall die gewünschte Terahertzstrahlung.

Wie erhofft gelang das Experiment, das Andreas Dienst in Oxford designed und ausgeführt hat: Für den kurzen Zeitraum von weniger als einer Pikosekunde (10-12 Sekunden), während dem der Puls den Kristall durchquerte, war die Kopplung zwischen den Ebenen und damit die Supraleitung unterbrochen, anschließend kehrte sie wieder zurück. Der Supraleiter leidet durch diesen Vorgang nicht und lässt sich beliebig oft schalten

„Das ist ein sehr spannendes Ergebnis, weil wir mit dieser Methode auch die Funktionsweise von Hochtemperatur-Supraleitern untersuchen können“, sagt Cavalleri. Darüber hinaus sind auch Anwendungen dieses Effekts denkbar. Im Grunde funktioniert der schaltbare Hochtemperatur-Supraleiter sehr ähnlich wie ein Feldeffekt-Transistor. Das ist ein Halbleiter, dessen Stromdurchlässigkeit sich durch Anlegen einer elektrischen Spannung steuern lässt. Analog wäre es denkbar, den Hochtemperatur-Supraleiter als ultraschnellen, nanoelektronischen Transistor einzusetzen, der mit Mikrowellen gesteuert wird.

TB

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