Forschungsbericht 2008 - Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen
Die 1001 Genome der Ackerschmalwand
The 1001 Genomes Project for Arabidopsis thaliana
Abt. 6: Molekularbiologie (Weigel) (Prof. Dr. Detlef Weigel)
MPI für Entwicklungsbiologie, Tübingen
Arabidopsis thaliana
Die Ackerschmalwand, Arabidopsis thaliana, gehört zu einer der größten Familien der Blütenpflanzen, den Kreuzblütlern, die auch die vielen Kohl-, Senf- und Retticharten einschließt. Der Ursprung der Art liegt wahrscheinlich in Zentralasien, von wo aus sie sich über große Teile Eurasiens ausgebreitet hat. Während der letzten Eiszeit wurde sie an den südlichen Rand ihres Verbreitungsareals verdrängt. Nachdem sich das Eis zurückgezogen hatte, wurde Europa durch Populationen aus verschiedenen Rückzugsgebieten wiederbesiedelt. Heute wächst A. thaliana in vielen Bereichen der nördlichen Halbkugel, vor allem in Gegenden mit gemäßigtem Klima, von den Bergen Nordafrikas bis zum Polarkreis. Wie viele andere Pflanzen, wurde sie von Europäern im letzten Jahrtausend nach Nordamerika eingeschleppt [1-5].
Dass A. thaliana heute eine der beliebtesten Arten für die Grundlagenforschung an Pflanzen ist, obwohl sie keinerlei wirtschaftliche Bedeutung hat, liegt an ihren genetischen Vorzügen. Das Genom ist relativ klein, etwa ein Zwanzigstel des menschlichen Genoms, und da sie sich normalerweise selbst bestäubt, sind die mütterlichen und väterlichen Kopien jedes Gens in einem Individuum gewöhnlich identisch.
Die erste Genomsequenz
A. thaliana war die erste Pflanzenart, von der ein komplettes Erbgut entziffert wurde. Diese erste Genomsequenz kam von einem einzigen, in-gezüchtetem Stamm. Wie erwartet, beschleunigten die umfangreichen Informationen über die Gen-Ausstattung die Arabidopsis-Forschung in großem Maße. Dazu gehörten auch Arbeiten, die sich mit der genetischen Grundlage der Vielfalt an Eigenschaften beschäftigen, wie man sie bei wilden Sorten der Art findet, die in verschiedensten Gebieten verbreitet sind. Zum einen konnte man viel schneller Gene identifizieren, die direkt Unterschiede wie zum Beispiel im Blühverhalten oder in der Resistenz gegen Schädlinge bedingen. Erstaunlicherweise sind dafür oft nicht nur subtile Änderungen in der Aktivität oder Struktur dieser Gene verantwortlich, sondern oft auch das komplette Fehlen von Genen in dem einen oder anderen Stamm. Allerdings ist das Auffinden letzterer Gene immer noch sehr mühsam, besonders wenn sie denn nicht im Genom des zuerst sequenzierten Stamms vorhanden waren.
Fortschritte bei der Entdeckung von genetischen Unterschieden
Um wichtige Genvarianten schneller aufspüren zu können, wurden in den vergangenen Jahren zwei große Studien durchgeführt. In dem ersten Projekt verschaffte man sich erst einmal ein Bild von der insgesamt vorhandenen Variabilität [4]. Auf diese Vorarbeiten aufbauend, wurden 20 Stämme ausgewählt, deren gesamtes Genom Erbbaustein für Erbbaustein, Basenpaar für Basenpaar auf Abweichungen in der Sequenz durchforstet wurde. Ein derartig ambitioniertes Unternehmen hatte man vorher nur beim Menschen gewagt. Für jedes der 120 Millionen Basenpaare im Genom der zuerst sequenzierten Sorte wurden acht verschiedene Sonden synthetisiert, um Austausche der bekannten Sequenz gegen eines der anderen drei möglichen Basenpaare an jeder Stelle des Genoms nachweisen zu können [6, 7]. Diese Studie war nur durch eine groß angelegte Kooperation verschiedener Einrichtungen der Max-Planck-Gesellschaft sowie mit Kollegen inner- und außerhalb Deutschlands möglich und wurde wesentlich durch den Innovationsfonds des Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft unterstützt.
Hunderttausende von Sequenzabweichungen wurden festgestellt, wobei eine der größten Überraschungen war, dass etwa 4 % der Gene in mindestens einem der 20 untersuchten Stämme defekt waren. Von zweihundert der etwa 25.000 bekannten Gene wiederum wurden Varianten gefunden, die längere Proteine kodieren konnten als es im Referenzstamm der Fall ist, was darauf hindeutete, dass in der Standardsorte ebenfalls viele Gene nicht normal aktiv sind. Diese Funde machten in beeindruckender Weise klar, dass die Entzifferung eines einzigen individuellen Genoms zum Verständnis des Erbguts einer Art nicht ausreicht. Zu einem ähnlichen Schluss ist man übrigens auch beim Menschen und seinen nächsten Verwandten gekommen. Der oft zitierte Unterschied von nur einem Prozent zwischen den Schimpansen und uns stimmt nur, wenn man außer Acht lässt, dass große Teile unseres Erbgutes gar nicht im Schimpansen vorhanden sind, und wenn, dann in unterschiedlicher Kopienzahl; umgekehrt ist das natürlich auch der Fall.
Das 1001 Genomes Projekt
Da immer deutlicher wurde, dass es irreleitend ist, von dem Genom einer Art zu sprechen, ist im letzten Jahr begonnen worden, eine große Anzahl von Genomen bei ein und derselben Art zu sequenzieren. Den Anfang, besonders wegen der Bedeutung erblicher Unterschiede für Krankheitsanfälligkeiten, hat dabei der Mensch gemacht, und das dabei prominenteste Unterfangen ist das 1000 Genomes Projekt (http://1000genomes.org), an dem viele große Institutionen beteiligt sind.
Auf Grund der überragenden Stellung von A. thaliana in der Pflanzenbiologie hat die Gruppe um Detlef Weigel am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie das 1001 Genomes Projekt (http://1001genomes.org) für diese Art ins Leben gerufen. Dieses wiederum sehr ehrgeizige Unternehmen ist dadurch möglich geworden, dass die Kosten für die komplette Entschlüsselung von Genomen in den letzten Jahren drastisch gefallen sind. Während die Sequenzierung des ersten A. thaliana Genoms noch fast 100 Millionen US Dollar kostete, benötigt man mit der neuesten Technologie nur noch etwa ein Zehntausendstel dieses Betrags! Fairerweise muss jedoch zugestanden werden, dass die neuen Methoden nicht immer genauso akkurat sind wie die alten und viel teureren sind. Ebenso profitiert man bei der Interpretation der Sequenzen von neuen Stämmen immer noch erheblich von der ersten, sehr hochwertigen Genomsequenz. Diese dient nämlich oft als Vorlage, um die zum Teil nur sehr kurzen Sequenzfragmente, die mit der neuen Technologie gewonnen werden, zusammenzufügen. Auf der anderen Seite ist es mit den neuen Methoden aber auch gelungen, die Mehrzahl der knapp über tausend Fehler in der Referenzsequenz zu korrigieren [8].
Die Arbeitsgruppe um Detlef Weigel hat bereits ihre Analyse des kompletten Erbguts von zwei A. thaliana Wildstämmen veröffentlicht, noch vor der Publikation entsprechender Befunde aus menschlichen Genomen [8]. Beide A. thaliana-Stämme wiesen Hunderttausende von kleinen Unterschieden auf, bei denen einzelne Basenpaare ausgetauscht waren oder einige wenige Basenpaare fehlten beziehungsweise zusätzlich vorhanden waren. Größere Unterschiede, die sich auf bis zu mehrere Hundert Basenpaare erstreckten, konnten ebenfalls nachgewiesen werden (Abb. 1 und 2). Die Brauchbarkeit des methodischen Ansatzes ist also erwiesen, wobei man noch berücksichtigen muss, dass die neuen Techniken fast monatlich verbessert werden, sodass immer größere Abschnitte des Erbguts auf einmal abgelesen werden können.
In den nächsten zwei Jahren plant die Gruppe um Detlef Weigel, in enger Zusammenarbeit mit Kollegen aus dem In- und Ausland die Anzahl der A. thaliana-Stämme mit vollständig sequenziertem Genom auf 1001 zu erhöhen. Die Samen dieser Sorten, die aus weit auseinander liegenden Gegenden kommen und deshalb an sehr diversen Standorten überleben können, werden Wissenschaftlern aus aller Welt frei zur Verfügung stehen. Die Wissenschaftler können die Stämme dann auf die ihnen besonders am Herzen liegenden Eigenschaften überprüfen, vom Blühbeginn bis zur Fähigkeit, auf Böden zu wachsen, die mit Salz verseucht sind. Mit dieser Information in der Hand, können sie dann das Genom nach Genvarianten absuchen, die nur in Sorten vorkommen, die sich durch ganz bestimmte Eigenschaften auszeichnen.
Einerseits wird die Kenntnis von Genen, deren Präsenz unter bestimmten Umweltbedingungen vorteilhaft ist, unmittelbare praktische Konsequenzen haben, da man dann die Genome von Kulturpflanzensorten nach entsprechenden Varianten sichten kann. Zum anderen werden mit diesem Projekt viele der Methoden und Techniken entwickelt, um die Information zu finden, die sich im Erbgut der unzähligen Reis-, Mais- oder Kartoffelstämme verbirgt. Dem 1001 Genomes Projekt für A. thaliana werden ohne Zweifel bald ähnliche Projekte für unsere Kultur- und Forstpflanzen folgen. Man schätzt, dass der Ertrag allein beim Reis bis zum Jahr 2025 um etwa ein Viertel ansteigen muss, um die immer noch dramatisch wachsende Erdbevölkerung zu ernähren [9], und zwar bei begrenzter Anbaufläche und unter zunehmender Konkurrenz um wertvolles Agrarland durch andere Verwendungen von Kulturpflanzen, wie beispielsweise für Biokraftstoffe, aber vor allem auch für die Fütterung von Tieren, die von immer mehr Menschen gegessen werden wollen. Das 1001 Genomes Projekt wird ein wichtiger Schritt zur Lösung dieser gewaltigen Aufgabe darstellen.