Schwarzes Loch auf Nahrungssuche
Astronomen entdecken eine Gaswolke, die demnächst in das Objekt Sagittarius A* stürzt
Noch darbt das schwarze Loch im Herzen der Milchstraße. Doch mit der Diät könnte es bald vorbei sein: Eine Gaswolke ist dem Massemonster zu nahe gekommen und wird in den nächsten Jahren in seinem Schlund verschwinden. Die Fütterung des schwarzen Lochs – Sagittarius A* genannt – spielt sich vor den Augen der Astronomen ab, die dann eine deutliche Zunahme der Röntgenstrahlung registrieren sollten. Schon jetzt sehen sie, wie die extreme Anziehungskraft des schwarzen Lochs die Gaswolke in die Länge zieht. Entdeckt hat die Wolke ein internationales Team unter Leitung von Wissenschaftlern aus dem Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik.
In einer klaren Nacht zieht sich ein diffuses Band über das Firmament: die Milchstraße. Sie ist Teil der Galaxis – jenes Systems aus Gas, Staub und mindestens 200 Milliarden Sternen, dem auch unsere Sonne angehört. In Richtung des Sternbilds Schütze (lateinisch: Sagittarius) erblicken wir besonders viele Sterne. Dort, verborgen hinter kosmischen Wolken, liegt das Zentrum der Galaxis. Und dort beobachten Astronomen die starke Radioquelle Sagittarius A*. Dahinter, so vermuten sie, verbirgt sich ein schwarzes Loch.
Mit einer Entfernung von rund 26000 Lichtjahren ist Sagittarius A* als einziges supermassereiches schwarzes Loch nahe genug für Detailstudien. Langfristige Beobachtungen der Sternbahnen rund um dieses Gravitationsmonster haben ergeben, dass es ungefähr 4,3 Millionen Sonnenmassen besitzt. Die meiste Zeit verhält es sich still und zeigt nur gelegentlich kleine Strahlungsausbrüche. Zwar können schwarze Löcher an sich keine Strahlung aussenden; die Emission entsteht aber, wenn Materie auf den Ereignishorizont zu fällt, sich dabei aufheizt und potenzielle Energie freisetzt.
Die sehr scharfen Bilder und detaillierten Beobachtungen des galaktischen Zentrums mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO) zeigen eine Gaswolke, die in die unmittelbare Nähe des schwarzen Lochs gerät. Die Astronomen fanden heraus, dass die Umlaufbahn der Wolke sehr exzentrisch ist. Im Jahr 2013 wird sie dem schwarzen Loch mit einem Abstand von 40 Milliarden Kilometern am nächsten sein – astronomisch gesehen ein Katzensprung.
„Nur zwei Sterne sind dem schwarzen Loch seit dem Beginn unserer Beobachtungen im Jahr 1992 so nahe gekommen“, sagt Max-Planck-Forscher Stefan Gillessen, Erstautor der Veröffentlichung in der Zeitschrift Nature. „Aber im Unterschied zu diesen Sternen – die bei den Vorbeiflügen keinen Schaden genommen haben – wird die Gaswolke komplett zerrissen werden, wenn die Gezeitenkräfte rund um das schwarze Loch an ihr zerren.“ Dadurch sollte sich der Zustrom an Gas auf das schwarze Loch deutlich erhöhen und damit auch die Strahlung, die von ihm ausgeht.
Die Gaswolke bildet sich auf allen langwelligen Infrarotbildern seit 2002 ab und zeigt seit drei Jahren bereits erste Auflösungserscheinungen. Je näher die Wolke dem schwarzen Loch kommt – aktuell bewegt sie sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 2350 Kilometern pro Sekunde darauf zu –, umso mehr wird sie mit dem heißen Gas in der Umgebung der Gravitationsfalle wechselwirken und schließlich durch Turbulenzen zerstört werden.
„Da die Masse der Gaswolke um einiges größer ist als die Masse des heißen Gases in der Nähe des schwarzen Lochs, wird die Akkretion nahe dem Ereignishorizont eine Zeitlang von der Wolke dominiert werden“, sagt Reinhard Genzel, Direktor am Garchinger Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik und Leiter der Forschungsgruppe, die das galaktische Zentrum untersucht. „Wir werden sehr genaue Informationen über die physikalischen Bedingungen erhalten, die bei der Akkretion auf ein schwarzes Loch eine Rolle spielen, da wir für die jetzt entdeckte Gaswolke die zur Verfügung stehende Masse exakt bestimmen können.“
Im Jahr 2013 wird der Abstand der Gaswolke zum schwarzen Loch 36 Lichtstunden betragen. In Bezug auf unser Sonnensystem wäre dies etwa die 250-fache Entfernung zwischen Erde und Sonne. Der Ereignishorizont des schwarzen Lochs – jene Grenze, hinter die wir nicht blicken können – ist etwa 20-mal so groß wie die Sonne, darin aber konzentrieren sich 4,3 Millionen Sonnenmassen.
Während die Gaswolke in Richtung des schwarzen Lochs fällt, löst das heiße Gas in der Akkretionsscheibe um das schwarze Loch eine Schockwelle aus, welche die Wolke langsam verdichtet. Das führt zu einer stetig wachsenden dichten Hülle um das Innere der Gaswolke. Die Gezeitenkräfte des schwarzen Lochs ziehen die Wolke entlang ihrer Bewegungsrichtung so lange auseinander, bis sie durch Instabilitäten an der Kontaktfläche vollständig aufbricht.
Schließlich wird die Stoßwelle immer stärker – bis die Wolke den Punkt der Bahn erreicht, die dem schwarzen Loch am nächsten liegt. Dadurch steigt die Temperatur schnell auf vermutlich mehrere Millionen Grad Celsius. Das sollte zu erhöhter Strahlung führen, insbesondere im hochenergetischen Röntgenbereich.
Aufgrund der langjährigen Beobachtungen bei vielen verschiedenen Wellenlängen können die Astronomen die Eigenschaften der Wolke sehr genau bestimmen. Ihre Temperatur beträgt etwa 280 Grad Celsius, ihre Dichte ist 300-mal höher als die des umgebenden heißen Gases und sie besitzt eine Gesamtmasse von etwa drei Erdmassen (1,7 × 1025 Kilogramm). Dank dieser Informationen simulieren die Astronomen die zeitliche Entwicklung von Wolkenform und -geschwindigkeit in einem Modell; die wichtigsten Faktoren stellen dabei die Anziehungskraft des supermassereichen schwarzen Lochs und die Wechselwirkung mit dem umgebenden heißen Gas dar.
Anhand dieser Simulation und hydrodynamischer Berechnungen sagen die Forscher die oben erwähnte Temperaturerhöhung der Gaswolke und den Anstieg der Röntgenemission voraus. In den Folgejahren könnte die Strahlung möglicherweise noch um ein Vielfaches zunehmen – auch in anderen Wellenlängenbereichen, wenn das Material der Wolke schließlich im schwarzen Loch verschwindet.
„Detaillierte Beobachtungen der Strahlung aus dem galaktischen Zentrum geben uns in den nächsten Jahren die einmalige Gelegenheit, die Eigenschaften des Akkretionsflusses genau zu untersuchen und in Echtzeit zu verfolgen, wie das supermassereiche schwarze Loch Materie schluckt“, sagt Stefan Gillessen.
HAE/HOR