Kurzzeitgedächtnis beruht auf synchronisierten Gehirnschwingungen
Wissenschaftler haben entschlüsselt, wie verschiedene Gehirnregionen während des Kurzzeitgedächtnisses miteinander kooperieren
Sich kurzfristig an etwas zu erinnern, ist eine scheinbar einfache und alltägliche Aufgabe. Doch trotz der scheinbaren Einfachheit ist das Kurzzeitgedächtnis ein komplexer kognitiver Vorgang, der die Beteiligung von mehreren Hirnregionen benötigt. Ob und wie die verschiedenen Regionen während der Informationsspeicherung zusammen arbeiten, blieb bisher jedoch unklar. Forscher vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen haben nun herausgefunden, dass elektrische Schwingungen zwischen verschiedenen Gehirnregionen entscheidend sind, um sich über einen kurzen Zeitraum hinweg an etwas Gesehenes zu erinnern.
Es ist bekannt, dass die Regionen im vorderen Teil des Gehirns am Kurzzeitgedächtnis beteiligt sind, während die Verarbeitung von Sehinformation in erster Linie im hinteren Teil des Gehirns erfolgt. Um sich jedoch erfolgreich über einen kurzen Zeitraum hinweg an etwas Gesehenes zu erinnern, müssen die entsprechenden Regionen miteinander kooperieren und die Informationen zusammenführen.
Wie das funktioniert, haben Wissenschaftler der Abteilung von Nikos Logothetis am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen untersucht. Sie haben die simultane elektrische Aktivität in einer visuellen Region und im frontalen Gehirnbereich in einer Wahrnehmungsstudie an Affen untersucht: Die Wissenschaftler zeigten den Tieren in kurzen Abständen identische oder unterschiedliche Bilder und zeichneten dabei die Gehirnaktivität auf. Die Affen mussten dann angeben, ob das zweite Bild dem ersten entsprach.
Die Wissenschaftler beobachteten, dass die Hirnaktivität in jeder der beiden Gehirnregionen durch oszillatorische Schwingungen in einem als das Theta-Band bezeichneten Frequenzbereich gekennzeichnet war. Interessant ist, dass diese Schwingungen nicht unabhängig voneinander auftreten, sondern synchron: „Es ist, als ob sich in den beiden Bereichen je eine Drehtür befindet“, erklärt Stefanie Liebe, die Erstautorin der Studie, die sie zusammen mit Gregor Rainer und in Kooperation mit Gregor Hörzer von der Technischen Universität Graz durchgeführt hat. „Während das Gedächtnis arbeitet, drehen sich beide Türen im Takt, und erlauben dadurch einen effektiveren Informationsaustausch.“ Je stärker die Regionen synchron aktiv waren, desto besser konnten sich die Tiere an das erste Bild erinnern. So waren die Wissenschaftler in der Lage, eine direkte Beziehung zwischen ihren Beobachtungen im Gehirn und der Leistung der Tiere zu erkennen.
Die Studie zeigt, wie wichtig synchronisierte Gehirnschwingungen für die Kommunikation und die Interaktion der verschiedenen Gehirnregionen sind. Fast alle höheren geistigen Fähigkeiten wie das visuelle Erkennen ergeben sich aus einem komplexen Zusammenspiel von spezialisierten neuronalen Netzen an verschiedenen Stellen im Gehirn. Wie sich Beziehungen zwischen solchen unterschiedlichen Standorten bilden und wie diese dazu beitragen, Informationen über externe und interne Ereignisse untereinander zu kommunizieren, um zu einer kohärenten Wahrnehmung beizutragen, ist noch weitgehend unbekannt.
SB/HR