La-Ola-Wellen im Fliegenflügel
Dresdner Max-Planck-Forscher spüren Morphogenen im Fliegenembryo nach
Bei der frühen Entwicklung eines Organismus spielen sogenannte Gradienten eine wichtige Rolle: Erst wenn die Konzentration bestimmter Signalübertragungsmoleküle (Morphogene) zwischen zwei räumlich definierten Punkten die jeweiligen Schwellenwerte erreicht hat, werden in der Zielzelle die entsprechenden Gene aktiviert. Gleich einer La-Ola-Welle aus Molekülen bewegt sich der Konzentrationsgradient durch den sich entwickelnden Organismus und kontrolliert auf diese Weise über kurze und weite Distanzen hinweg Wachstum sowie Muster- oder Formbildung. Wissenschaftler an zwei Dresdner Max-Planck-Instituten haben nun Biologie und Physik zusammengebracht und so zeigen können, dass die kinetischen Parameter, die unterschiedliche "zelluläre La-Ola-Wellen" steuern, und auch die Transportmechanismen, die von solchen Morphogenen genutzt werden, grundlegend verschieden sind (Science, 26. Januar 2007).
Die Forscher interessierten sich für zwei Morphogene in der Fruchtfliege Drosophila melanogaster: Dpp und Wingless. Sie geben der sich entwickelnden Fliege bei der Bildung des Flügels wichtige Informationen über die Positionierung des wachsenden Körperteils - über zwei unterschiedlich weit reichende Gradienten. Schon in vorhergehenden Experimenten hatte das Forscherteam zeigen können, dass das Protein Sara dafür sorgt, dass die Rezeptoren, mit deren Hilfe die Zelle die Morphogen-Konzentration bestimmt, bei der Zellteilung gleichmäßig auf die entstehenden Tochterzellen verteilt werden, indem es den Dpp-Rezeptor in kleine Bläschen integriert (Science, 17. November 2006). Völlig unklar war jedoch, worauf die unterschiedliche Reichweite der beiden Gradienten beruht. Die Dresdner Wissenschaftler untersuchten daher vier kinetische Schlüsselparameter von Dpp und Wingless: die Produktionsrate, den Diffusionskoeffizienten, die Degradationsrate sowie die sogenannte immobile Fraktion - und stellten fest, dass die gemessenen Parameter der beiden Signalmoleküle im Vergleich sehr unterschiedliche Werte aufwiesen.
Darüber hinaus benötigt Dpp für die Bildung eines Gradienten einen an Dynamin gekoppelten Transport von einer Zelle zur Nachbarzelle - Wingless hingegen nicht. Um das herauszufinden, hatten die Forscher eine Technik eingesetzt, mit der man die Mobilität von Proteinen in einer lebenden Zelle bestimmen kann: Bei der FRAP-Methode (Fluorescence Recovery After Photobleaching) werden fluoreszierende Moleküle in einem definierten Bereich durch einen intensiven Lichtimpuls ausgebleicht. Anschließend wird beobachtet, wie sich die Fluoreszenz in diesem Bereich durch das Einwandern von fluoreszenten Molekülen aus den benachbarten Bereichen wiederherstellt. Werden solche fluoreszenten Moleküle an Proteine gekoppelt, so kann man mit Hilfe der FRAP-Methode kinetische Parameter dieser Proteine bestimmen: Bei sich schnell bewegenden Proteinen wandern Proteine aus den Nachbarbereichen nämlich entsprechend schnell in die gebleichte Region ein - die Fluoreszenz in diesem Bereich wird somit in kurzer Zeit wiederhergestellt. Ist das nicht der Fall und die Bewegung eher langsam, dann kann man daraus schließen, dass sich das Molekül für seine Bewegung offenbar an andere Strukturbausteine in der Zelle anbinden muss: "Wir konnten sehen, dass Dpp eine an Dynamin gekoppelte Endozytose braucht, um von Zelle zu Zelle zu kommen, Wingless hingegen nicht", erklärt Marcos González-Gaitán, Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik und mittlerweile Professor an der Universität Genf.
Die Ergebnisse entstanden aus einer engen Zusammenarbeit der Forscher am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik mit der Arbeitsgruppe von Frank Jülicher am nahe gelegenen Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme.