Casting der Moleküle
Berliner Wissenschaftler sortieren die Teilchen nach ihrer Struktur
Viele größere Moleküle haben etwas mit Puppen gemeinsam - ihre Glieder bewegen sich. Physiker des Fritz-Haber-Instituts der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin können Moleküle jetzt danach sortieren, in welche Richtung deren Ärmchen und Beinchen weisen. Diese Konformere - Moleküle mit verschiedenen Haltungen - lassen sich gewöhnlich kaum unterscheiden, und ohnehin zappeln die Glieder der Moleküle meistens heftig. Für Biomoleküle ist die Haltung jedoch wichtig: Sie können ihre Aufgaben nur erfüllen, wenn sie ihre Gliedmaßen richtig orientieren.(PhysicalReviewLetters 100, 133003, 4. April 2008)
Schnappschüsse von Biomolekülen zu machen, ist eine knifflige Angelegenheit. Einigermaßen leicht haben es Biochemiker noch, wenn sie aus den Verbindungen Kristalle züchten können. Alternativ können sie künftig vielleicht Gasstrahlen dieser Moleküle erzeugen und durch ihre Messinstrumente schicken. Dann überlagern sich üblicherweise allerdings die Bilder der verschiedenen Konformere und die Forscher erhalten nur ein verschwommenes Bild der Teilchen.
"Wir haben jetzt einen Weg gefunden, die Konformere zu trennen, obwohl sie chemisch und physikalisch kaum auseinander zu halten sind", sagt Jochen Küpper, der die Wissenschaftlergruppe am Fritz-Haber-Institut leitet. Nur einen Unterschied gibt es häufiger: Die Konformere besitzen in vielen Fällen verschieden starke Dipole, die positiven und negativen Ladungen sind in den Molekülen also unterschiedlich verteilt. Deshalb spüren sie die Kraft eines elektrischen Feldes unterschiedlich stark. Und das nützen die Forscher aus.
"Unser Sieb für Konformere arbeitet wie ein Quadrupolmassenfilter", erklärt Frank Filsinger, der als Doktorand den größten Teil der Arbeiten vorgenommen hat. Mit einem Quadrupolmassenfilter werden in vielen Laboren Moleküle nach dem Verhältnis zwischen ihrer Masse und Ladung getrennt. Ganz ähnlich sortiert die Apparatur der Berliner Forscher die Teilchen - nur dass sie diese entsprechend ihrer Masse und ihrem Dipolmoment trennt. Mit dem Dipolmoment wird die Stärke eines Dipols gemessen.
Die Wissenschaftler haben ihre neue Methode an einem Aminophenol erprobt - und zwar an zwei Konformeren, in denen die Hydroxidgruppe des Moleküls unterschiedlich orientiert ist. Diese Gruppe besteht aus einem Sauerstoff- und einem Wasserstoffatom und ist für Alkohole charakteristisch. Ihre unterschiedlichen Orientierungen im Aminophenol heißen cis- und trans-Stellung: In der cis-Version weist die Hydroxidgruppe zur einen Seite, in der trans-Variante genau zur anderen Seite des Moleküls. Aus diesem Grund ist das Dipolmoment des cis-Aminophenols etwa dreimal größer als das des trans-Pendants.
Um die beiden Konformere mit den verschiedenen Haltungen des Hydroxidärmchens zu trennen, haben die Forscher eine kleine Menge der Substanz verdampft und zu einem Molekülstrahl gebündelt. Der Strahl legt in der Apparatur der Berliner Forscher genau einen Meter zurück. Damit sich die cis- und trans-Versionen auf dieser Strecke trennen, legen Küpper und seine Mitarbeiter elektrische Felder an, die auf die Moleküle Kräfte ausüben: Sie gruppieren um den Molekularstrahl vier Elektroden - Metallstangen, die unter Spannung stehen und eine Art offene Röhre bilden. Durch diese Röhre saust der Strahl. An zwei Elektroden liegt eine Wechselspannung, die dafür sorgt, dass der positive und der negative Pol ständig hin und her springen. Entsprechend ändert sich die Richtung, in der die Kraft des elektrischen Feldes auf die Moleküle wirkt.
Entscheidend ist dabei die Frequenz des Wechselfelds, also wie schnell die Pole ihre Plätze tauschen. Verschiedene Dipole sprechen auf das Wechselfeld nämlich unterschiedlich gut an. Letztlich gelangen bei einer bestimmten Frequenz des Wechselfeldes nur Moleküle mit einem bestimmten Dipolmoment - genauer gesagt mit einem bestimmten Verhältnis zwischen ihrem Dipolmoment und ihrer Masse - ans Ende der Apparatur. Alle anderen treiben allmählich aus der Flugbahn des Strahls.
Auf diese Weise isolieren die Berliner Forscher um Frank Filsinger nicht nur ein bestimmtes Konformer. Sie können die Konformere sogar noch danach sortieren, wie stark sie rotieren. Das machen Moleküle ständig, aber nicht immer gleich schnell. Für die Stärke der Rotation gibt es ein Maß - die Rotationsquantenzahl. Die ist umso höher, je schneller sich das Molekül dreht. Dann wird allerdings auch der Dipol des Teilchens immer schwächer und das elektrische Feld wirkt schwächer auf das Molekül. "Wir sieben also auch die Moleküle in den niedrigsten Rotationsquantenzuständen heraus", sagt Küpper. Auf diese Weise lassen sich die Moleküle im Raum besonders gut ausrichten. So hoffen die Forscher, künftig alle Teilchen, deren Arme in dieselbe Richtung zeigen, auf die Beine stellen zu können.
"Unsere Methode ergänzt andere neuartige Experimente, wie etwa den Röntgenlaser, der derzeit in Hamburg entsteht." Dieser Röntgenlaser wird in besonders intensivem Licht strahlen, das ihn zu einem sehr empfindlichen Messinstrument macht. Viele Wissenschaftler hoffen daher, mit ihm einzelne Biomoleküle abbilden zu können - die dann natürlich auch nur als einzelnes Konformer vorliegen. In den Aufnahmen des neuen Großgeräts würden sich die Darstellungen verschiedener Molekülhaltungen also nicht zu einem schemenhaften Bild verwischen.
"Wir gehen dagegen den umgekehrten Weg", erklärt Küpper. "Da wir die unterschiedlichen Konformere isolieren können und daher alle Moleküle in der Probe gleich aussehen, sind wir nicht darauf angewiesen, einzelne Moleküle zu untersuchen", sagt Küpper, "sondern könnten die Signalstärke durch die Beobachtung vieler gleich aussehender Moleküle unter Umständen entscheidend vergrößern.
Bislang können er und seine Mitarbeiter mit dem Molekülsieb nur relativ kleine Teilchen trennen. Die Konformere größerer Moleküle zu sortieren, ist aber kein prinzipielles Problem, sondern ein praktisches. "Die Trennnung würde funktionieren", so Küpper, "sehr große ungeladene Moleküle lassen sich bislang jedoch einfach noch nicht zu einem gasförmigen Strahl bündeln." Daran arbeiten weltweit viele Wissenschaftler - auch die Physiker vom Fritz-Haber-Institut.