Alte und Kinderlose kontra Junge und Eltern
Forscher weisen erstmals Verteilungskonflikte in sozialpolitischen Meinungen nach
Je älter ein Bundesbürger, desto weniger familienfreundlich ist die Politik, die er sich wünscht. Und desto eher will er ein Rentensystem, das die jüngere Generation stärker belastet. Gleichzeitig wollen Kinderlose weniger Unterstützung für Familien als Eltern. Diese Anzeichen für einen Verteilungskonflikt zwischen verschiedenen demografischen Gruppen, die sich bisher für Deutschland nicht empirisch untermauern ließen, haben Forscher des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock nun erstmals wissenschaftlich belegt.
"Je älter man wird, desto weniger unterstützt man, dass öffentliche Gelder an Familien und Kinder fließen", sagt Harald Wilkoszewski, Autor der Studie "Age Trajectories of Social Policy Preferences". Darin hat der Politologe umfangreiche Befragungen ausgewertet. Ob Erhöhung des Kindergelds, Steuererleichterungen für Eltern oder staatliche Ausgaben für Kinderbetreuung - Alte sind seltener dafür als Jüngere: Dass ein 65-Jähriger eine Erhöhung des Kindergeldes befürwortet, ist um 85 Prozent weniger wahrscheinlich als das Einverständnis eines 20-Jährigen. Die Zustimmung zu flexibleren Arbeitszeiten für Eltern sinkt im gleichen Lebenszeitraum um 50 Prozent.
Gegen mehr Unterstützung für Familie, für ein Rentensystem zu Lasten der Jungen
Gleichzeitig sprechen sich Ältere vermehrt für Reformen des Rentensystems aus, die die jüngere Generation belasten: Keine Erhöhung des Rentenalters und Kürzung der Bezüge, dafür Steuererhöhungen zur Finanzierung der Rente und mehr finanzielle Unterstützung von Eltern durch ihre Kinder. Unter 65-Jährigen ist die Zustimmung zu einem solchen System um gut 70 Prozent häufiger als unter 20-Jährigen.
Die Ergebnisse des Rostocker Forschers legen zudem nahe, dass bisherige, ökonomische Theorien zur Erklärung verteilungspolitischer Meinungen zu kurz greifen. Sie führen Alterseffekte auf die Abwägung wirtschaftlicher Eigeninteressen zurück. "Ebenso wichtig können altruistische Motivationen innerhalb der Familie sein", sagt Harald Wilkoszewski. Konkret: demografische Einflussfaktoren wie Elternschaft, Großelternschaft oder Ehe können die Alterseffekte überlagern und sogar verstärken.
So neigen Kinderlose deutlich seltener dazu, etwa eine Erhöhung des Kindergeldes oder den Ausbau des Mutterschaftsurlaubs für wichtig zu halten: Wer keine Kinder hat, stimmt einer Erhöhung des Kindergelds mit 78 Prozent niedrigerer Wahrscheinlichkeit zu als Eltern. Flexiblere Arbeitszeiten für Eltern finden unter Kinderlosen um 50 Prozent weniger Zustimmung als unter Müttern und Vätern. Geht es um bessere Möglichkeiten für Teilzeitarbeit, beträgt der Unterschied sogar 60 Prozent.
Bildung und Bundesland beeinflussen politische Einstellungen
Die sozialpolitischen Einstellungen unterscheiden sich auch nach Bildung und Bundesland. Das ergab die Studie des Max-Planck-Forschers quasi als Nebeneffekt: Befragte mit Abitur stimmten einem höheren Kindergeld um 20 Prozent und einem Babybonus bei Geburt um 40 Prozent seltener zu als Befragte ohne Abitur. Und im Westen ist der Wunsch nach höherem Kindergeld nur halb so hoch wie in den neuen Bundesländern.
"Die Politik sollte das Konfliktpotenzial, das sich in den sozialpolitischen Einstellungen von Alt und Jung, von Kinderlosen und Eltern andeutet, nicht weiter ignorieren", sagt Politologe Harald Wilkoszewski. Der Bevölkerungsanteil Kinderloser und Älterer werde in den kommenden Jahrzehnten durch den demografischen Wandel deutlich ansteigen, so dass diese Gruppen demokratisch an Macht gewinnen. "Politik muss stärker vermitteln, dass die jüngere Generation Solidarität braucht, damit staatliche Leistungen an sie auch zukünftig noch politisch durchsetzbar sind."
Dass das Alter die Meinung zu generationsübergreifender Verteilungspolitik überhaupt beeinflusst, war in der Forschung bisher umstritten. Nur schwache Tendenzen ließen sich nachweisen. Die Solidarität zwischen Alt und Jung galt als der stärkere Effekt. Wilkoszewski analysierte nun groß angelegte Befragungen mit Hilfe neuer statistischer Methoden: die jeweils deutschen Teile des "Population and Policy Acceptance Survey" (PPAS) mit über 4.000 Befragten und des "Generation and Gender Survey" (GGS) mit über 10.000 Befragten.