Friedensschluss im Festkörper
Magnetismus und Supraleitung können gleichzeitig auf engstem Raum auftreten
Feindschaften kennt auch die Physik. Doch manchmal lassen sich unter der oberflächlichen Antipathie tiefe Gemeinsamkeiten entdecken. Magnetismus und Supraleitung - die Fähigkeit eines Materials, Strom verlustfrei zu leiten - etwa galten Physikern lange als erbitterte Gegner: Wo der eine sich breit macht, hält die andere es nicht aus und vice versa. Ein Team um Forscher des Max-Planck-Instituts für Chemische Physik fester Stoffe präsentieren jetzt aber experimentelle Belege, dass beide Phänomene sehr wohl auf kleinstem Raum nebeneinander existieren können. Mehr noch: Vermutlich beruht eine bestimmte Form der Supraleitung sogar auf magnetischen Wechselwirkungen. Die Erkenntnisse könnten zur Lösung der Frage beitragen, warum manche Stoffe schon bei relativ hohen Temperaturen ihren elektrischen Widerstand aufgeben. Das zu verstehen ist Voraussetzung, um Stoffe zu identifizieren, die auch in alltäglichen Anwendungen Strom verlustfrei leiten können. (Proc. Natl. Acad. Sci. USA 107 (2010) 9537-9540)
Wenn zwei das gleiche tun, ist das noch lange nicht dasselbe. Das gilt auch, wenn Stoffe ihren elektrischen Widerstand verlieren. Blei etwa wird bei etwa minus 266 Grad Celsius zum Supraleiter, die beste Kupferoxid-Keramik bei gut 110 Grad unter Null. Trotz dieser immer noch ziemlich frostigen Übergangstemperatur firmieren letztere als "Hochtemperatur"-Supraleiter. Während Physiker jedoch sehr gut verstehen, was den Widerstand in klassischen metallischen Supraleitern wie Blei bricht, gibt ihnen die Supraleitung in der Keramik noch immer Rätsel auf. Dabei wäre es gerade aus technischer Sicht sehr interessant, die Supraleitung in jenen Materialien zu verstehen, die Strom bei relativ hoher Temperatur verlustfrei leiten. Denn sobald sich diese keramische "Hochtemperatur"-Supraleitung erklären lässt, wird auch die Suche nach Materialien leichter, die selbst bei Temperaturen eines mitteleuropäischen Sommertages noch keinen Widerstand leisten.
Möglicherweise helfen die Ergebnisse, die ein internationales Team um Forscher des Max-Planck-Instituts für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden jetzt präsentieren, die Supraleitung in Kupferoxid-Keramiken zu erklären. "Wir verfolgen die These, dass magnetische Wechselwirkungen für die keramische Supraleitung verantwortlich sind", sagt Steffen Wirth, der dafür am Dresdner Max-Planck-Institut Belege sucht und findet. Dabei galt in der Physik lange als ausgemacht, dass Magnetismus und Supraleitung sich so wenig vertragen wie Schnee und Sommer. Wirth hat mit seinen Kollegen jetzt aber starke Hinweise gefunden, dass Magnetismus und Supraleitung in einer Substanz gleichzeitig auf engstem Raum auftreten können.
Ein Tieftemperatur-Supraleiter mit ungewöhnlichen Eigenschaften
Die Forscher konzentrierten sich auf eine Legierung aus Cer, Kobalt, Indium und einer Spur Cadmium, die sie gemeinsam mit einer internationalen Gruppe herstellen, die sich besonders gut auf die Züchtung diffiziler Kristalle versteht. "Diese Verbindung gehört zwar zu den Tieftemperatur-Supraleitern, erklärt Steffen Wirth: "Wir sind aber überzeugt, dass seine Supraleitung nach einem Mechanismus zustande kommt, der auch in keramischen Supraleitern greifen könnte."
Sie beobachteten, wie sich unterhalb von minus 270,7 Grad Celsius eine antiferromagnetische Ordnung bildet: Allmählich ordnen sich die magnetischen Momente bestimmter Elektronen so, dass sie wie winzige Stabmagneten abwechselnd mit Nord- und Südpolen aneinander liegen. Bei ziemlich genau minus 271,4 Grad Celsius bricht dann der Widerstand der metallischen Legierung zusammen. Dann haben sich rund 60 Prozent aller magnetischen Momente antiparallel ausgerichtet - und das bleibt auch so. "Bei tieferen Temperaturen verstärkt sich die antiferromagnetische Ordnung zwar nicht mehr", sagt Steffen Wirth: "Aber sie bricht auch nicht zusammen, wie man das lange erwartet hatte."
Diese Erkenntnis haben die Forscher gewonnen, indem sie eine Probe der erwähnten Legierung mit drei Messmethoden sezierten: Zusammen mit Forschern des Helmholtz-Zentrums Berlin haben sie mit einem Neutronenstrahl die magnetische Ordnung der Probe ertastet. Neutronen besitzen selbst ein magnetisches Moment und werden daher je nach der Orientierung der magnetischen Momente in einem Stoff anders gestreut. Messungen der elektrischen Leitfähigkeit verrieten ihnen, wann die Supraleitung einsetzt. Miteinander kombiniert liefern die beiden Untersuchungen ein Phasendiagramm: dieses Bild zeigt, bei welchen Temperaturen, bei welchen äußeren Magnetfeldern oder auch chemischen Zusammensetzungen in einem Stoff ein Phasenübergang stattfindet, wann das Material also seine physikalischen Eigenschaften ändert und zum Beispiel supraleitend wird.
Magnetismus und Supraleitung essen aus demselben Topf
"Bislang gibt es keine Methode, die gleichzeitig die magnetische Ordnung und elektrische Transporteigenschaften bestimmen kann", sagt Steffen Wirth: "Unsere Messungen liefern aber ein sehr umfassendes Bild, auch weil die Ergebnisse der verschiedenen Methoden perfekt zusammen passen." Bestätigt haben die Physiker das Bild der Neutronenstreuung und Leitfähigkeitsexperimente durch Untersuchungen der Wärmekapazität: Sie haben gemessen, wie viel Wärme, sprich Energie, das Material aufnehmen kann, ehe sich seine Temperatur um ein Grad Celsius erhöht. Diese Aufnahmekapazität variiert immer dann, wenn sich auch andere physikalische Eigenschaften des Materials ändern.
Dass sich Magnetismus und Supraleitung miteinander aussöhnen, spricht für das Bild, das sich die Dresdener Forscher von der keramischen "Hochtemperatur"-Supraleitung machen: "Wir sind überzeugt, dass Magnetismus und Supraleitung aus demselben Topf essen: Beide speisen sich aus den magnetischen Fluktuationen." Mit den magnetischen Fluktuationen ändert sich ständig die magnetische Ordnung in dem Kristall. Unterm Strich richtet sich aber immer derselbe Anteil magnetischer Momente so aus, wie es das Phasendiagramm vorschreibt, also zum Beispiel zu 60 Prozent antiferromagnetisch.
Getragen werden die magnetischen Fluktuationen von einer bestimmten Sorte von Elektronen. Sie befinden sich genau dort im Atom, wo sie sowohl den Magnetismus als auch die Supraleitung bewirken können - und bilden quasi die Zutaten in dem Topf, aus dem sich Magnetismus und Supraleitung bedienen.
Offenbar verkuppeln also magnetische Kräfte jeweils zwei Elektronen zu einem Cooperpaar, davon zumindest gehen die Max-Planck-Physiker in ihrem Modell der unkonventionellen Supraleitung aus. Verbandelt in einem Cooper-Paar spüren die Elektronen den Widerstand nicht mehr, den ihnen das Kristallgitter entgegensetzt. "Dafür, dass die Supraleitung auf magnetischen Wechselwirkungen beruht, haben wir noch keine herzhaften Beweis, aber gute Indizien", so Wirth: "Jedenfalls unterstreichen unsere Ergebnisse, dass die gängigen Theorien, mit denen wir bislang die elektronischen Eigenschaften eines Materials beschreiben, für unsere Proben und für die keramischen Supraleiter nicht gelten." Nun müssen theoretische Physiker die Theorie zu Supraleitern also erweitern, damit sie sich auch mit den Ergebnissen der aktuellen Experimente vertragen.