Der schwierige Weg vom Laut zur Schrift
Lesen und Schreiben sind doch ganz einfach – jedes Schulkind kann das schon… Das stimmt nicht! Lesen und Schreiben sind eine der bedeutendsten, aber auch komplexesten kulturhistorischen Leistungen, welche die Menschheit hervorgebracht hat. Deswegen fällt es allen Kindern am Anfang auch sehr schwer – was bei Erwachsenen allerdings schnell in Vergessenheit gerät.
Text: Sascha Schroeder
Im Gegensatz zum Sprechen lernen Kinder Lesen und Schreiben nicht von alleine, sie müssen darin unterrichtet werden. Mit viel Übung dauert es meist Jahre, bis sie es flüssig beherrschen. Dabei sprechen Kinder bei Schulbeginn fast schon so wie Erwachsene. Die große Schwierigkeit beim Lesen- und Schreibenlernen besteht darin, dass Sprache hier von einer Dimension in eine andere übertragen werden muss: Gesprochene Sprache ist zunächst einmal Klang und hat eine zeitliche Ausdehnung, geschriebene Sprache ist visuell und räumlich organisiert.
Die Aufgabe der Kinder beim Lesenlernen ist deshalb, den Sprachlauten, die sie schon kennen, Buchstaben zuzuordnen und das Prinzip ihrer Verbindung zu verstehen. Das scheint uns ganz einfach (A wie Affe, B wie Bär etc.), aber ein flüchtiger Blick ins Englische (wo ein A wie ein a klingen kann, „park“, oder wie ein o, „ball“) zeigt, dass die Zuordnung von Laut und Buchstabe ganz schön kompliziert sein kann. Das gilt auch für das Deutsche: Warum schreibt man z. B. „Tiger“ nur mit „i“, „Biene“ aber mit „ie“, obwohl es doch in beiden Fällen um den gleichen Laut geht?
Klar, dass Kinder dieses Laut-Buchstaben-Rätsel schneller lösen können, je besser sie die Sprache beherrschen, die sie lesen und schreiben sollen. Wer nicht einmal so recht weiß, wie ein Wort ausgesprochen wird, kann schlechter entscheiden, wie es geschrieben wird. Die heutige Forschung betont deswegen die enge Verbindung zwischen Lesen und den verbalen Fähigkeiten im vorschulischen und mündlichen Bereich. Man spricht deswegen weniger von Lesenlernen, sondern umfassender von „Schriftspracherwerb“.
Auf dem langen Weg vom Laut zum Text kann viel schief gehen. Leider werden viele Schülerinnen und Schüler auch am Ende ihrer Schulzeit erhebliche Probleme in ihrer Leseentwicklung haben. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass selbst 20 Prozent der Erwachsenen in Deutschland einfache Texte nicht verstehen. In unserer modernen Informationsgesellschaft ist das nicht nur mit enormen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden, sondern vor allem für jeden Betroffenen ein persönliches Desaster.
Wie kann diesen Menschen geholfen werden? Hierzu werden zunächst grundlegende Informationen darüber benötigt, wie Lesen funktioniert und wie es sich entwickelt. Die Max-Planck-Forschungsgruppe REaD (Reading Education and Development) am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin beschäftigt sich mit der grundlegenden Struktur und Entwicklung des Schriftspracherwerbs im Kindes- und Jugendalter. Hierfür werden verschiedene Teilprozesse und ihre Beziehungen zueinander untersucht. Dies ermöglicht es, ihre Entwicklung differenziert zu beschreiben und relevante Faktoren zu erkennen. Auf Basis dieser Grundlagen lassen sich Strategien zur Vermeidung von Lesedefiziten entwickeln.
Zur Person:
Sascha Schroeder leitet die neue Max-Planck-Forschungsgruppe REaD am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Weitere Informationen zu seiner Person und seinem Forschungsprojekt finden Sie unter: http://www.mpib-berlin.mpg.de/de/mitarbeiter/sascha-schroeder