Wirtschaftskrise senkt Geburtenraten

Steigende Arbeitslosenquoten bremsen Aufwärtstrend der Kinderzahl pro Frau in europäischen Ländern aus

Die Wirtschaftskrise hat im letzten Jahrzehnt messbar die Geburtenraten in Europa gedrückt. Im Durchschnitt von 28 europäischen Ländern blieb die Kinderzahl pro Frau umso stärker hinter dem ohne Krise zu erwartenden Trend zurück, je höher die Arbeitslosenquote anstieg. Das ergibt eine Studie des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock, die Michaela Kreyenfeld, Joshua Goldstein und Aiva Jasilioniene vom Rostocker Max-Planck-Institut zusammen mit Deniz Karaman Örsal von der Leuphana Universität Lüneburg veröffentlicht haben.

Insbesondere junge Europäer unter 25 Jahren sahen von Kindern angesichts steigender Arbeitslosenquoten vermehrt ab. Ihre Geburtenraten fielen vor allem für das erste Kind zurück, sie gründeten also zunächst seltener eine Familie.

Häufig ist die Familiengründung aber möglicherweise nur aufgeschoben. „Junge Menschen tun sich aber auch leichter, die Familiengründung zu überdenken, als ältere, die den biologischen Grenzen der Fruchtbarkeit schon näher sind“, sagt Michaela Kreyenfeld, Demografin am Max-Planck-Instituts für demografische Forschung. Tatsächlich änderte sich die Rate der ersten Kinder bei den über 40-Jährigen nicht durch steigende Arbeitslosenquoten.

Ob und wie wirtschaftliche Bedingungen die Fertilität (also das Geburtenverhalten) beeinflussen, ist eine der großen offenen Fragen der demografischen Forschung. Die Studie belegt für das heutige Europa, dass die Höhe der Arbeitslosigkeit im eigenen Land sich durchaus auf die Fertilität auswirkt.

Allerdings ist der Zusammenhang unterschiedlich stark, da weitere Faktoren, wie etwa die Familienpolitik oder die Sicherheit der Arbeitsplätze, in jedem Land anders sind. So senkt Arbeitslosigkeit die Geburtenraten am stärksten in Südeuropa. „Darin spiegelt sich wider, dass die Jobsituation zu Beginn des Arbeitslebens in den südlichen Ländern besonders unsicher ist“, sagt Kreyenfeld.

Die Folgen der Rezension zeigten sich etwa ab dem Jahr 2008. „Die Finanzkrise traf Europa damit zu einer Zeit, als die Geburtenraten in vielen Ländern gerade langsam wieder zu steigen begannen“, sagt Kreyenfeld. Das Rostocker Institut hatte in früheren Studien festgestellt, dass die Zeiten extrem niedriger Geburtenziffern in Europa zu Ende gingen und sich der negative Trend hin zu steigenden Raten umgekehrt hatte. „In einigen Ländern hat die Krise die Aufwärtsbewegung lediglich angehalten, in anderen nahm die Geburtenrate ab“, sagt Michaela Kreyenfeld.

Einen spürbaren Einbruch der Geburtenraten gab es beispielsweise in Spanien, Ungarn, Irland, Kroatien oder Lettland. Eine besonders deutliche Zäsur erlebte Spanien, wo die Kinderzahl pro Frau ausgehend von 1,24 zu Beginn des Jahrtausends jedes Jahr gewachsen war, bis sie 2008 einen Wert von 1,47 erreicht hatte. 2009 sackte sie auf 1,40 ab, nachdem im Jahr zuvor die Arbeitslosenquote sprunghaft angestiegen war (von 8,3 Prozent 2008 auf 11,3 Prozent 2009), und sank bis 2011 weiter auf 1,36 (neuere Daten liegen nicht vor).

Lediglich zum Halt kamen die wachsenden Raten etwa in den Ländern Tschechien und Polen, in Großbritannien oder Italien. In einigen Nationen zeigte sich nur ein schwacher oder gar kein Effekt, wie etwa in Russland oder Litauen. In Deutschland, Österreich und der Schweiz ergab die Analyse keine signifikanten Einflüsse. Dort stieg die Arbeitslosenquote in den letzten Jahren allerdings auch nicht oder nur wenig an. In Deutschland sank sie sogar.

Die Forscher untersuchten Daten für die Jahre 2001 bis 2010 (einige Länder: 2011). Dass negative Effekte der Krise auf die Geburtenrate weiter anhalten, ist nicht ausgeschlossen.

BS/SL/HR

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