Gasfluss im galaktischen Zentrum
Max-Planck-Forscher entdecken, dass zwei Wolken zum selben Komplex gehören
Im Jahr 2011 spürten Stefan Gillessen und seine Kollegen vom Garchinger Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik eine Gaswolke auf, die auf einer nahezu radialen Umlaufbahn in Richtung des schwarzen Lochs in der Mitte unserer Milchstraße fiel. Manche Wissenschaftler erwarteten ein großes Spektakel, falls das Objekt von dem Massemonster verschlungen und dabei Strahlung freigesetzt würde.
Allerdings blieb es ruhig. Beobachtungen am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO) vom April 2013 offenbarten dann, dass ein Teil dieser G2 genannten Gaswolke seine größte Annäherung an das schwarze Loch mit einer Entfernung von etwa 20 Lichtstunden (etwas mehr als 20 Milliarden Kilometer) zum damaligen Zeitpunkt bereits hinter sich hatte.
Neue Infrarotbeobachtungen mit dem Instrument SINFONI am Very Large Telescope zeigen jetzt die fortlaufenden Störungen der Gaswolke, ausgelöst durch Gezeitenkräfte in dem starken Gravitationsfeld des schwarzen Lochs. Während Form und Pfad der Gaswolke gut mit den Vorhersagen aus den Modellen übereinstimmen, gab es bisher immer noch keine signifikant erhöhte Emission bei hohen Energien, wie man sie aufgrund der damit verbundenen Stoßfront erwartet hatte.
Ein genauerer Blick auf die Daten führte nun zu einer Überraschung: „Schon vor zehn Jahren haben wir eine weitere Gaswolke in der Zentralregion unserer Galaxis beobachtet“, sagt Stefan Gillessen. Die Forscher bezeichnen dieses Objekt als G1. „Wir untersuchten den Zusammenhang zwischen G1 und G2 und fanden eine erstaunliche Ähnlichkeit der beiden Bahnen.“
Die schwache und verschwommene Wolke G1 taucht in den Daten von 2004 bis 2008 auf. Die Max-Planck-Forscher konnten deren Bahn bestimmen und fanden, dass G1 das Perizentrum (den Punkt größter Annäherung an das schwarze Loch) schon im Jahr 2001 passiert hatte. Die Ähnlichkeit der Umlaufbahnen legt somit nahe, dass G1 der Gaswolke G2 etwa 13 Jahre voraus ist.
Die Wissenschaftler speisten diese Informationen in ein Modell für eine kombinierte Bahn ein, wobei sie zum einen die verschiedenen Perizentrum-Zeiten berücksichtigten, zum anderen kleine Abweichungen für leicht unterschiedliche Orbits erlaubten; diese sind der Wechselwirkung des Gases mit dem Umgebungsmedium geschuldet.
„Unsere Grundidee ist, dass G1 und G2 Klumpen desselben Gasflusses sein könnten“, sagt Oliver Pfuhl vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Hauptautor einer jetzt im Astrophysical Journal erschienenen Studie. „In diesem Fall sollten wir in der Lage sein, gleichzeitig beide Datensätze anzupassen. Und tatsächlich beschreibt unser Modell die G1- und G2-Orbits bemerkenswert genau.“
Das Modell geht davon aus, dass G1 während des Durchgangs durch das Perizentrum abgebremst wurde, und zwar durch die Widerstandskraft der dünnen Atmosphäre, die das massereiche schwarze Loch umgibt. Das Abbremsen brachte G1 auf eine Kreisbahn. Allein mit dieser sehr einfachen Annahme ergibt sich, dass die leuchtenden G1- und G2-Wolken offenbar derselben Umlaufbahn folgen. Kleine Abweichungen sind dabei nicht überraschend, denn das Modell vernachlässigt wohl einige wesentliche physikalische Prozesse.
„Die gute Übereinstimmung mit den Daten macht es höchst wahrscheinlich, dass G1 und G2 Teil desselben Gasflusses sind“, sagt Stefan Gillessen zusammenfassend. Eine mögliche Quelle für beide Wolken könnten Klumpen im Wind eines der massereichen Sterne in der galaktischen Scheibe sein, der vor rund 100 Jahren in der Nähe der G2-Umlaufbahn ausgestoßen wurde. Eine andere Erklärung – ein großer Stern, der von einer ausgedehnten Gaswolke umgeben ist – erscheint angesichts der aktuellen Daten weiterhin als unwahrscheinlich.
Dennoch rätseln die Astronomen, weshalb sie bisher keine erhöhte Strahlung – insbesondere im Röntgenbereich – aus der Nähe des schwarzen Lochs registriert haben.
HAE / HOR