Der transparente Bürger
Welche Staatsangehörigkeit haben Sie? Welcher Religionsgemeinschaft gehören Sie an? Wie viele Personen leben insgesamt in Ihrer Wohnung? Die Fragen der Volkszählung verunsichern viele Bürger. Wie sicher sind diese persönlichen Daten? Ein Gespräch mit Rainer W. Gerling und Heidi Schuster, Datenschutzexperten der Max-Planck-Gesellschaft über den Zensus 2011 sowie die Datensammelwut von Staat und privaten Unternehmen.
Die erste Volkszählung in Deutschland seit 1987 hat einen Ansturm auf die Beratungsstellen ausgelöst.Viele Bürger fürchten einen Missbrauch ihrer privaten Daten. Ist diese Angst ihrer Meinung nach berechtigt?
Gerling: Datenschutzrechtlich ist die Volkszählung völlig in Ordnung, da die Datenerhebung auf einem speziellem Gesetz beruht. Und ein Staat ist für eine vernünftige Planung von Ressourcen auf gewisse Daten angewiesen.
Schuster: Diese inhaltlichen Fragen müssen politisch diskutiert werden. Die Grenze ist dabei durch das datenschutzrechtliche Erforderlichkeitsprinzip gegeben: Der Staat muss schon begründen und offen legen, wozu die Daten benötigt werden.
Im Internet sind bereits gefälschte Fragebogen zum Zensus aufgetaucht. In einigen Städten wurden Fragebogenfälschungen auch in Briefkästen eingeworfen. Wie können wir uns vor solchen Betrug wappnen?
Gerling: Da war im Grunde mit zu rechnen. Da hier aber Fragebögen gedruckt werden müssen, ist der Aufwand größer als bei SPAM-Mails. Dies wird den Umfang solchen Unfugs sicherlich begrenzen. Da die Original-Fragebögen unter www.zensus2011.de im Internet verfügbar sind, kann man im Zweifelsfall die Fragen vergleichen.
Schuster: Auch die Gemeinden und Erhebungsstellen können einem da im Zweifelsfall weiter helfen. Man sollte in Zweifelsfällen ruhig nachfragen.
Der Staat speichert viele Informationen über uns, Unternehmen ebenfalls. Wie wertvoll sind diese Daten, sind sie die Währung von morgen?
Gerling: Die Daten sind an sich wertlos. Aber der Kontext, in dem sie stehen, ist das Spannende. Meine private Anschrift ist völlig irrelevant. Aber wenn sie diese anreichern mit zusätzlichen Informationen – Was bestelle ich für Bücher bei Amazon? Welche Webseiten sehe ich an? Mit welchen Leuten tausche ich E-Mails aus? – dann werden diese Informationen wertvoll. Wenn sie alles zusammenfügen, dann entsteht ein Bild von mir als Person.
Beeinflusst dies unser Verhalten, wie wir mit Daten umgehen?
Gerling: Ein Beispiel verdeutlicht dies: Einer meiner Studenten ist viel in die USA gereist, weil er dort bei einer Firma einen Job hatte. Als leidenschaftlicher Strategie-Computerspieler, hat er sich Bücher zu Militärstrategien im Internet gekauft. Als er sich aber dann Bücher über den Islam bestellen wollte, um das Wissen über seinen Glauben zu vertiefen, kam er ins Nachdenken.
Er hat sich diese Bücher dann nicht bestellt. Die Gefahr ins Raster von Fahndern zu passen, schien ihm zu groß. Aus der Überlegung heraus, seine Daten werden gesammelt, vielleicht zusammengeführt, schränkte er sich persönlich ein, um nicht unangenehm aufzufallen. Das zeigt letztendlich die gesellschaftlichen Gefahren: Wir ändern unser Verhalten – passen uns an – um nicht ins Raster zu passen.
Informationen lagen ja schon immer vor. Entsteht neue Brisanz auch durch ihre globale Verfügbarkeit?
Schuster: Wenn jemand früher in seinem Dorf von seinen Mitschülern gehänselt wurde, dann wusste dies auch jeder. Aber nur im Dorf. Wenn er dann in die Stadt ging, war diese Vorgeschichte gelöscht. Niemand wusste etwas über ihn. Heute sind solche Informationen unter Umständen im Netz global aufrufbar. Das bedeutet erst einmal eine neue Quantität. Ich dehne die Reichweite aus vom Dorf auf die Welt. Aber dadurch entsteht letztendlich auch eine neue Qualität.
Die besonders brisant wird, wenn der Staat persönliche Informationen nutzt. Die Politik diskutiert gerade wieder intensiv über die Vorratsdatenspeicherung. Ein Schritt in Richtung Überwachungsstaat?
Gerling: Jein. Zweifellos: Viele Daten entstehen; die Spuren, die wir hinterlassen, sind da. Das Problem ist natürlich, diese Informationen auszuwerten. Wenn ich beispielsweise mittags zum Essen gehe, passiere ich das bayerische Innenministerium. Da stehen fünf oder sechs Überwachungskameras, die alles aufzeichnen. Ich glaube nicht, dass sich jemand die Mühe macht, alle Mitschnitte systematisch zu analysieren. Das wäre viel zu aufwändig. Das gleiche gilt teilweise auch für Telekommunikationsdaten. Die Daten sind da, aber sie werden nicht genutzt.
Schuster: Das Problem bei vielen Datenspeichern ist meiner Meinung nach die Intransparenz. Viele Datensammlungen entstehen im Hintergrund, ohne dass der Bürger sie überhaupt wahrnimmt. So übermitteln Firmen Entgeltdaten ihrer Arbeitnehmer an zentrale Sammelstellen – Stichwort „Elena“. Datenschützer halten dies für verfassungswidrig und haben bereits Verfassungsbeschwerde eingelegt. Aber der Bürger hat sich darüber nicht aufgeregt.
„Street View“ von Google hat jeder wahrgenommen. Jeder konnte die Autos sehen, die durch unsere Straßen fuhren. Jeder konnte sich sein Stadtviertel, die Straße und das Haus, in dem er wohnt, im Internet ansehen. Deswegen die ganze Aufregung?
Gerling: Großteils ja. Der Hype um Streetview entstand sicherlich durch direkte Wahrnehmbarkeit: Ich sehe mein Haus, meine Wohnung im Internet. Dass mit „Elena“ eine viel kritischere Datensammlung entsteht, ist kaum jemandem bewusst. Die Datenspeicherung bei „Elena“ ist nicht wahrnehmbar.
Schuster: Wenn Unternehmen oder der Staat über solche großen Datensammlungen verfügen, werden diese über kurz oder lang auch missbraucht. Es ist nicht die Frage nach dem Ob, sondern nur nach dem Wann. Die Versuchung ist einfach zu groß.
Wie verhindere ich Missbrauch meiner persönlichen Daten?
Gerling: Gar nicht. Natürlich müssen sie in sozialen Netzwerken wie Facebook nicht leichtfertig persönliche Details über sich preisgeben. Doch selbst Menschen, die sich nie im Internet tummeln, werden überrascht sein, was in der digitalen Welt bereits über sie zu finden ist: Fotos, die irgendjemand von ihnen gemacht und ins Internet gestellt hat. Beispielsweise Siegerlisten von Tennisturnieren, Berichte von Veranstaltungen, an denen sie teilgenommen haben. Jeder, der am sozialen Leben teilnimmt, wird sich auch im Internet wiederfinden. Wenn jemand bei Google nach seinem Namen fahndet, ist dies nicht nur der Egozentrik geschuldet, sondern eine wichtige Schutzmaßnahme. Nur so weiß ich, was bereits über mich im Internet bekannt ist.
Auch Forschung ist ohne Daten nicht denkbar. Ich denke vor allem an Patientendaten in der medizinischen Forschung. Wie können Probanden geschützt werden? Wie kann man diese Datensammlung vor dem Angriff von außen schützen?
Schuster: Man kann genau das tun, was das Datenschutzgesetz vorschreibt, die Daten anonymisieren. So können die Daten nicht mehr einem Patienten zugeordnet werden und sind unkritisch. Das ist aus zwei Gründen sinnvoll: Zum einem schützt man so die Probanden, falls die Daten doch einmal in falsche Hände geraten sollten, aber man schützt auch die eigene Forschungsarbeit. Denn jeder Patient oder Versuchsteilnehmer hat das Recht, jederzeit ohne Angabe von Gründen seine Einwilligung zurückzunehmen und die Löschung seiner Daten zu verlangen. Wenn ich die Daten jedoch anonymisiert habe, dann kann ich die Daten nicht mehr löschen und ich verliere sie dadurch nicht.
Unternehmen rüsten auf im Kampf gegen Hacker. Es ist ein beständiger Wettlauf um bessere Technologien und Know-how. Sind Daten überhaupt noch sicher? Oder wird es in Zukunft eine Gesellschaft geben, in der vieles öffentlich und transparenter ist als heute?
Gerling: Ob eine beliebig transparente Gesellschaft erstrebenswert ist, wage ich zu bezweifeln. Transparente Entscheidungsprozesse sind sicherlich zu begrüßen; aber Privatsphäre ist auch unverzichtbar.
Absoluten Schutz vor Hacker-Angriffen gibt es jedoch nicht, wie die jüngst bekannt gewordene Angriffe Ghostnet oder Stuxnet zeigen. Um ein Bild zu verwenden: Einen Berg der unendlich hoch ist, den gibt es nicht. Doch der höchste Berg, wird am langsamsten erklommen. Deshalb ist es die Aufgabe von Datenschützer möglichst hohe Hürden zu schaffen, um Hackern ihre Arbeit zu erschweren. Wenn der Berg der Max-Planck-Gesellschaft zu hoch ist, suchen sie vielleicht einen niedrigeren.
Herzlichen Dank für das freundliche Gespräch!
Das Interview führte Barbara Abrell