Forschungsbericht 2012 - Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion
Energiespeicherung und Chemische Bindung: Neue Wege in den Grundlagen der Energieforschung
Speicherung von Primärenergie
Die von der Sonne jedes Jahr auf die Erde eingestrahlte Energiemenge (ca. 1,5 · 1018 kWh) ist im Prinzip bei weitem ausreichend, um den Gesamtenergiebedarf der Weltbevölkerung (derzeit ca. 1,4 · 1014 kWh) zu decken. Selbstverständlich ist nur ein kleiner Teil der Sonnenenergie auch praktisch nutzbar. Doch selbst dieser verfügbare Anteil (im Mittel ca 900-1100 kWh/m2 in Deutschland) wird derzeit noch nicht effizient genug genutzt. Die Gründe dafür liegen in erster Linie in der Schwierigkeit, Energie effizient zu speichern. Obwohl die Photovoltaik heute Wirkungsgrade bis zu 40% erzielt, sind die Probleme des Stromtransportes und der effizienten Stromspeicherung noch nicht gelöst. Ein möglicher Lösungsansatz besteht in der Speicherung der Primärenergie in Form von chemischen Bindungen (Abb. 1).
Energie und chemische Bindung
Die Speicherung von Sonnenenergie in Form von energiereichen Molekülen ermöglicht deren Transport und eventuelle Lagerung mithilfe von etablierten Technologien und Netzwerken, wodurch die räumlichen und zeitlichen Fluktuationen zwischen Angebot und Nachfrage von Energie aufgefangen werden können.
Bei der in chemischen Bindungen gespeicherten Energie handelt es sich um große Beträge (~100-900 kJ/mol pro Bindung). Abhängig von der Speicherform der Substanz können Energiedichten zwischen 20 MJ/kg (Ethanol) und 140 MJ/kg (Wasserstoff) erreicht werden. Zum Vergleich: Braunkohle enthält ca. 25 MJ/kg, Dieselkraftstoff 45 MJ/kg und Ni-Ionen-Akkumulatoren erreichen lediglich 0,5 MJ/kg.
Ein Szenario für einen nachhaltigen und sauberen Energiekreislauf
Photochemisch erzeugter Wasserstoff nimmt eine Schlüsselrolle in einem Szenario für einen sauberen Energiekreislauf ein, da er einerseits selbst als effizienter Energieträger fungiert, gleichzeitig aber auch Ausgangsstoff für eine Reihe von anderen energiekonservierenden Reaktionen sein kann. Dabei ist die katalytische Umsetzung von Kohlendioxid mithilfe von Wasserstoff zu Alkoholen und Kohlenwasserstoffen eine Reaktion von zentraler Bedeutung, da diese als Treib- oder Heizstoffe Einsatz finden könnten sowie als Rohmaterial für eine Vielzahl von industriellen Prozessen notwendig sind. Ebenfalls zentral ist die Umsetzung von Distickstoff zu Ammoniak – eine Reaktion, welche in Form des Haber-Bosch-Prozesses weltweit in gigantischem Maßstab zur Düngererzeugung dient (Abb. 2).
Die geschilderten Prozesse beruhen nur auf Stoffen, die auf der Erde im Überfluss vorhanden sind. Das Minimalszenario einer nachhaltigen Energiewirtschaft auf der Basis von molekularen Energiespeichern beruht demnach auf nur vier zum Teil reversiblen chemischen Reaktionen:
(1) 2 H+ + 2 e- ↔ H2
(2) 2 H2O ↔ O2 + 4 H+ + 4 e-
(3) N2 + 3 H2 → 2 NH3
(4) CO2 + 2 H2 → H2CO + H2O
Die Forschungsschwerpunkte des Max-Planck-Institutes für chemische Energiekonversion (MPI CEC) konzentrieren sich derzeit darauf, diese Reaktionen in allen ihren Aspekten zu verstehen und auch neue Methoden zu ihrer Untersuchung zu erschließen. Während alle diese Reaktionen wohlbekannt sind, existieren immer noch sehr wenige Stoffe, die diese Reaktionen mit befriedigender Effizienz und Selektivität katalysieren. Dabei muss bereits in der Grundlagenforschung darüber nachgedacht werden, dass neue Katalysatoren für den globalen Einsatz folgende Voraussetzungen erfüllen müssen:
- Herstellung aus breit verfügbaren und billigen Ausgangssubstanzen
- einfache Herstellung ohne aufwändige Synthesen
- ausreichende Langzeitstabilität, z. B. gegenüber Luft oder Wasser, und/oder mögliche Regeneration
- Toleranz gegenüber Verunreinigungen der Ausgangssubstanzen
Geeignete Katalysatoren müssen im Wesentlichen auf den Metallen der ersten Übergangsreihe wie Mangan, Eisen, Kobalt, Nickel, Kupfer und Zink beruhen. Sie sind in ausreichenden Mengen auf der Erde vorhanden und besitzen die chemische Potenz zur Katalyse der genannten Reaktionen. Diese Metalle und ihre Ionen weisen allerdings eine extrem komplexe Chemie auf, welche größte interdisziplinäre Anstrengungen erfordert, um sie im Detail zu verstehen. Ein solches detailliertes Verständnis bis hin zur Ebene der elektronischen Struktur ist aber unerlässlich für eine rationale und zielgerichtete Herangehensweise an die Entwicklung neuer Katalysatoren. Ein zentrales Ziel ist die Entwicklung von Hybridkatalysatoren, welche die Effizienz der heterogenen Katalyse mit der Selektivität der homogenen Katalyse verbinden könnten.
Die Natur als Vorbild
Die Natur hat im Laufe der Evolution für alle genannten Reaktionen bereits nahezu ideale Katalysatoren in Form von Metallenzymen hervorgebracht. Interessanterweise genügen diese Biokatalysatoren (fast) allen genannten Kriterien. Alle beteiligten Enzyme tragen eins der oben genannten Metalle in ihren aktiven Zentren und enthalten in ihren Koordinationssphären vorwiegend die natürlich auftretenden Aminosäuren. Obwohl diese Metallenzyme katalytisch hocheffizient sind, ist ihr großtechnischer Einsatz, auch unter Stabilitätsbetrachtungen, nicht realistisch. Wie die Geschichte der bioanorganischen Chemie gezeigt hat, ist es ebenfalls nur bedingt realistisch, Katalysatoren auf der Basis der geometrischen Strukturen der aktiven Zentren zu entwickeln. Durch tiefe Einblicke in Reaktionsmechanismen kann jedoch gehofft werden, die essentiellen Prinzipien der elektronischen Strukturen zu verstehen, welche sich in viel einfacher gestrickte, niedermolekulare, stabile Katalysatoren umsetzen lassen. Einblicke in die elektronischen Strukturen lassen sich nur durch die Kombination einer breiten Palette an spektroskopischen Methoden mit den modernen Methoden der theoretischen Chemie gewinnen.
Der Beitrag von Spektroskopie und Theorie
Ein gutes Beispiel für das erfolgreiche Zusammenwirken von Spektroskopie und Quantenchemie zeigen zwei jüngst am MPI CEC fertiggestellte Arbeiten, die sich mit zwei für die Energieforschung zentralen Metallenzymen beschäftigen: dem wasseroxidierenden Mangancluster im Photosystem II (Reaktion 2) und dem Enzym Nitrogenase, das die Umsetzung von Distickstoff zu Ammoniak katalysiert (Reaktion 3).
Experimentelle Arbeiten am oxgen evolving complex (OEC) des PSII haben eine sehr lange Geschichte. Während die Involvierung von vier Mangan- sowie einem Calciumion im aktiven Zentrum seit Jahrzehnten unstrittig ist, bestand mangels hochaufgelöster Kristallstrukturen große Unsicherheit über die geometrische Struktur des Aktivzentrums. Die Komplexität des OECs verhinderte auch die detaillierte Interpretation der Vielzahl an spektroskopischen Daten, welche seit langer Zeit vorliegen. Im Jahre 2011 gelang es Umena et al. [1] erstmals eine Röntgenstruktur mit einer Auflösung von 1,9 Å zu bestimmen. Diese Struktur ist in guter Übereinstimmung mit quantenmechanisch vorhergesagten Strukturen von Siegbahn [2] sowie der Gruppe um Dimitrios Pantazis [3]. Diese Gruppe realisierte sehr bald nach der Publikation der Kristallstruktur, dass die Struktur nicht der Realität vollumfänglich entsprechen kann, da in ihr unrealistisch lange Mangan-Sauerstoff-Bindungen vorgeschlagen wurden. Wichtiger ist allerdings das Faktum, dass die Gruppe am MPI CEC zeigen konnte, dass auf der Basis der Kristallstruktur die spektroskopischen Daten nicht erklärt werden können. Mithilfe von umfänglichen quantenchemischen Berechnungen konnte gezeigt werden, dass die Kristallstruktur einer hochenergetischen Struktur entspricht, welche unter Energiegewinn von mehr als 200 kJ/mol in eine von zwei möglichen Energieminima relaxiert. Interessanterweise sind diese Minima fast energiegleich und, wie am MPI CEC gezeigt werden konnte, durch eine flache Barriere miteinander verknüpft [5] (Abb. 3). Durch diese Erkenntnis konnte ein altes Rätsel um den OEC gelöst werden, nämlich das Faktum, dass abhängig von der Präparation zwei unterschiedliche EPR-Signale vom OEC erhalten werden können, die zu Gesamtspin-Multiplizitäten von S=1/2 und S=5/2 gehören. Dies entspricht genau den vorhergesagten Multiplizitäten.
Viel wichtiger für den Mechanismus der Reaktion ist aber der Fakt, dass anhand des Vergleiches von gemessenen und berechneten spektroskopischen Eigenschaften der detaillierte Protonierungszustand jedes einzelnen Wassermoleküls im OEC bestimmt werden konnte [4]. Dies ist von größter mechanistischer Relevanz, da während der Reaktion zwei Wassermoleküle oxidiert werden. Experimentell ist es weit jenseits der Möglichkeiten der Röntgenkristallographie Protonierungszustände zu bestimmen. Die Berechnungen geben somit erstmals eine solide strukturelle Basis für das Verständnis des Reaktionsmechanismus. Anhand von Modellstudien aus dem MPI CEC [5] kann angenommen werden, dass der Schlüsselschritt bei der Bildung der Sauerstoff-Sauerstoff-Bindung die intermediäre Erzeugung von metallgebundenen Oxyl-Radikalen (O·-) ist. Diese Erkenntnis ist die zentrale Brücke für das Design von artifiziellen Katalysatoren. Es muss in der Zukunft verstanden werden, welche Metalle unter welchen Bedingungen solche Oxyl-Radikale stabilisieren können. Dies ist für die Energieforschung von großer Dringlichkeit, denn die Wasseroxidationskatalysatoren stellen eine der größten Herausforderungen für die Umsetzung des oben diskutierten Minimalscenarios dar. Aus Sicht des MPI CEC handelt es sich hierbei um eine Frage der Grundlagenforschung, welche durch die Kombination von Spektroskopie und Quantenchemie entscheidend vorangetrieben werden kann.
Das zweite Beispiel betrifft das Enzym Nitrogenase. Bereits in den späten 1990er-Jahren wurde von Einsle et al. eine sehr hoch aufgelöste Kristallstruktur bestimmt, welche zeigte, dass das Aktivzentrum aus sieben Eisen- und einem Molybdänion aufgebaut ist, welche über sulfidische Schwefel verbrückt werden [6]. Die Kristallstruktur von Einsle zeigte allerdings auch ein mysteriöses „leichtes“ Atom in zentraler Position des Clusters, dessen Natur mithilfe der Kristallographie nicht bestimmt werden konnte. Die Aufgabe, ein einzelnes C-, N- oder O- Atom inmitten eines riesigen Proteinmoleküls von mehr als 100.000 Atomen zu bestimmen, ist wahrhaftig schwierig und hat die Wissenschaft für mehr als ein Jahrzehnt vor unlösbare Probleme gestellt. Dieses Kunststück ist jedoch unlängst der Gruppe um Serena DeBeer am MPI CEC geglückt [7]. Die Gruppe hat die Technik der Röntgenemissionspektroskopie (XES) mit den modernen Methoden der Quantenchemie kombiniert. Nachdem XES-Spektren an der Eisen-K-Kante erstmals erhalten werden konnten, gaben die Berechnungen eindeutigen Aufschluss darüber, dass es sich bei dem Zentralatom um ein Carbidion (C4-) handelt (Abb. 4). Dieser Befund ist sensationell, denn eine solche Gruppierung ist in der Biologie noch nie vorher beobachtet worden. Er widerspricht auch der chemischen Intuition fast aller in diesem Forschungsgebiet arbeitenden Wissenschaftler, da allgemein ein Nitridion (N3-) erwartet worden war. Der Befund macht alle bislang publizierten theoretischen Untersuchungen zum Mechanismus der Nitrogenase hinfällig und unterstreicht einmal mehr, wie wichtig es ist, theoretische Berechnungen mit experimentellen Daten zu verbinden. Welchen Einfluss das Carbidion auf den Mechanismus der Nitrogenase hat, ist derzeit eine offene Frage, welche am MPI CEC experimentell sowie theoretisch untersucht wird. Die Verbindung zum Haber-Bosch-Prozess ist naheliegend und wird am MPI CEC jetzt im Lichte der neuen Erkenntnisse abteilungsübergreifend untersucht.