Forschungsbericht 2017 - Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie
Tiefseelebewesen gedeihen auf Öl – Teamwork als Schlüssel zum Erfolg
Deep-sea creatures thrive on oil – teamwork is the key to success
Der tiefe Ozean birgt toxische Lebensräume
In der Tiefsee gibt es natürliche Austritte von Öl und Gas aus dem Meeresboden. Für die meisten Lebewesen sind die Umweltbedingungen dort toxisch, aber einige haben sich hervorragend daran angepasst. Manche leben sogar sehr gut davon, dass sie Teile des Öls abbauen - etwa im Golf von Mexiko an den in 3000 Meter Wassertiefe gelegenen Campeche-Asphaltvulkanen oder an heißen Quellen im 2000 Meter tiefen Guaymas-Becken im Golf von Kalifornien. Dort haben Bremer Forscher Archaeen genannte Mikroorganismen entdeckt, die mit Bakterien gemeinschaftlich zusammenleben. Durch Arbeitsteilung sind die Archaeen und Bakterien imstande, Bestandteile des Öls in Biomasse umzuwandeln. Sogar einige Meerestiere leben in Symbiose mit speziellen Bakterien, die das Öl abbauen und ihre Wirte auf dieser Grundlage mit Nahrung versorgen. Die Bremer Forscher haben untersucht, wie sie das tun.
Bakterien ernähren Schwämme und Muscheln mit den Abbauprodukten des Öls
Auf den Campeche-Asphaltvulkanen leben an der Grenzschicht zwischen öligem Asphalt und sauerstoffreichem Meerwasser Schwämme und Muscheln, die entfernt mit den Miesmuscheln der Nordsee verwandt sind. Diese Tiere tragen in ihrem Körper Bakterien der Gruppe Cycloclasticus, die aus Öl sowohl Energie als auch lebenswichtigen Kohlenstoff gewinnen (Abb. 1). Ihren Namen, der Ringbrecher bedeutet, verdankt diese Gruppe von Bakterien einer besonderen Fähigkeit: Sie können chemische, schwer abbaubare Ringstrukturen im Öl, so genannte PAKs (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe), knacken und verwerten.
![Abb. 1: (A) Lebensraum der mit Cycloclasticus in Symbiose lebenden Schwämme und Muscheln an einem der Campeche Asphaltvulkane. Neben zwei verschiedenen Schwammarten und den Muscheln sieht man auf dem schwarzen Asphalt auch Röhrenwürmer, Garnelen und Fische, die keine Cycloclasticus-Symbionten beherbergen. (B) Muschelkiemengewebe mit Cycloclasticus-Bakterien. Die Zellen der Muschelkiemen nehmen Sauerstoff und die im Atemwasserstrom gelösten Alkane auf. Die Cycloclasticus-Symbionten (hellgrünes Fluoreszenzsignal) befinden sich direkt unter der Zellaußenwand, also dort, wo der Gasaustausch stattfindet. Die hellgrüne Färbung wurde erzeugt durch eine sogenannte Fluoreszenz-In-Situ-Hybridisierung eines Muschelkiemenfilaments mit einer Cycloclasticus spezifischen Oligonukleotid-Sonde. Die Zellkerne der Muschelzellen wurden mit dem Farbstoff DAPI (blau) sichtbar gemacht.](/11796449/original-1511451521.jpg?t=eyJ3aWR0aCI6MjQ2LCJvYmpfaWQiOjExNzk2NDQ5fQ%3D%3D--d3d71150ae7aec242d42b0cea0366530d7d3e945)
Überraschenderweise haben aber die symbiontischen Cycloclasticus-Arten diese Fähigkeit verloren. In ihrem Genom fehlen die dafür notwendigen Gene. Die Bremer Forscher aber fanden heraus, dass sich die Symbionten stattdessen auf viel leichter abbaubare Bestandteile des Öls spezialisiert haben - sogenannte kurzkettige Alkane wie Butan, Ethan und Propan [1]. Solche Cycloclasticus-Bakterien, die nur kurzkettige Alkane verstoffwechseln und keine Ringe mehr knacken können, kannte man bisher nicht. Zunächst oxidieren die Symbionten die Alkane unter Verwendung von Sauerstoff zu Alkoholen. In weiterer Folge bauen sie diese in mehreren Schritten zu Kohlenhydraten um, mit denen die Bakterien sich selbst und ihre Wirte ernähren können. Insgesamt kann man durch diesen Prozess viel mehr Biomasse aufbauen als durch den Abbau von PAKs, der sehr aufwendig ist und viel Energie verschlingt.
Warum aber haben die symbiontischen Cycloclasticus-Arten die Fähigkeit, PAKs abzubauen, gänzlich verloren? Der Schlüssel liegt vermutlich in ihrer symbiontischen Lebensweise: Ihre wirbellosen Wirte filtrieren Meerwasser aus der Grenzschicht zum öligen Asphalt. Darin sind die kurzkettigen Alkane gelöst. PAKs hingegen sind kaum wasserlöslich. Die Aufrechterhaltung eines umfangreichen Geninventars für den Abbau von PAKs erscheint daher als verzichtbarer Luxus, der keinen Selektionsvorteil mehr bietet. Zusätzlich leben die Symbionten im Gewebe ihrer Wirte an einem geschützten Standort, an dem sie immer mit reichlich frischer Nahrung versorgt werden und nicht mit freilebenden Bakterien konkurrieren müssen.
Auch ohne Sauerstoff werden kurzkettige Alkane verwertet
![Abb. 2: (A) Fluoreszenzmikroskopische Aufnahme der Zellen eines Konsortiums aus Archaeen und Bakterien. Rotes Signal: Archaeen (Candidatus Syntrophoarcheum butanivorans), grünes Signal: Bakterien (Desulfofervidus auxilii). Die ribosomale RNA wurde mit artspezifischen Oligonukleotidsonden hybridisiert und mit Fluoreszenzfarbstoffen angefärbt. (B) Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Konsortiums aus einer mit Butan gehaltenen Kultur. Die kabelähnlichen Strukturen (Pfeile) in den Zellzwischenräumen dienen der Elektronenübertragung zwischen Archaeen und Bakterien. a: Archaeum; b: Bakterium.](/11796499/original-1511451706.jpg?t=eyJ3aWR0aCI6MjQ2LCJvYmpfaWQiOjExNzk2NDk5fQ%3D%3D--7be488a169f26fa5317a9de3b1e034aeaa8592a0)
An den heißen Quellen des Guaymas-Beckens haben die Bremer Forscher außerdem Archaeen und Bakterien entdeckt, die partnerschaftlich in Konsortien zusammenleben und Butan aus dem Öl auch ohne Sauerstoff abbauen [2]. Wie in vielen anderen Meeressedimenten verschwindet der Sauerstoff im Boden des Guaymas-Beckens innerhalb weniger Millimeter und die Mikroorganismen unterhalb dieser Zone benutzen stattdessen das reichlich vorhandene Sulfat zur Energiegewinnung. Sowohl die Sulfatreduktion als auch der anaerobe, das heißt sauerstofffreie, Abbau von Butan, sind bekannte Vorgänge; die im Guaymas-Becken neu entdeckten Konsortien aus Archaeen und Bakterien überraschten jedoch mit zuvor unbekannten Stoffwechselwegen. Bisher kannte man Bakterien, die kurzkettige Alkane wie Butan mit Hilfe der Energie aus der Sulfatreduktion oxidieren können. Genomanalysen der Guaymas-Konsortien zeigten jedoch, dass das hier nicht der Fall ist. Stattdessen fanden die Forscher Gene, die eigentlich aus einem ganz anderen Stoffwechselweg bekannt sind, nämlich dem anaeroben Abbau von Methan. Die bereits gut erforschten anaeroben Methanoxidierer (ANME) benutzen das durch diese Gene kodierte Enzym, um das chemisch stabile Methanmolekül in eine leichter abbaubare Methylverbindung zu überführen, die in der Folge über mehrere Schritte zu CO2 oxidiert wird. Die spannende Aussicht, dass die neuen Konsortien einen ähnlichen Weg auch für den Abbau von Butan nutzen könnten, wurde schnell bestätigt: Ähnlich wie bei den ANMEs fanden die Forscher große Mengen des neuen Enzyms und der Produkte des Butanabbaus in den Zellen der Butanoxidierer.
Die Oxidation des Butans setzt Elektronen frei, die auf das Sulfat übertragen werden müssen. Aber genau wie ihre Verwandten, die ANMEs, können auch die Butan-Archaeen die Elektronen nicht selbst verwenden. Stattdessen reichen sie sie, genau wie ANMEs, über kabelähnliche Proteinbrücken an die Partnerbakterien weiter, die das Sulfat reduzieren (Abb. 2). Dieses als Syntrophie bezeichnete Zusammenwirken so unterschiedlicher Organismen erlaubt es den Archaeen und Bakterien, gemeinsam die Energie für ihren Stoffwechsel zu gewinnen.
Teamwork als Schlüssel zum Erfolg
Die Untersuchungen der Bremer Forscher liefern spannende Einblicke in die Umwandlung von Ölabbauprodukten in Biomasse durch spezialisierte Organismen an gemeinhin als unwirtlich angesehenen Standorten. Die kurzkettigen Alkane sind dort eine wichtige Energiequelle, die am Ende auch die Grundlage für höheres Leben liefert. Die Zusammenarbeit von grundverschiedenen Organismen wie Archaeen, Bakterien und Tieren zeichnet sich einmal mehr als außergewöhnlich erfolgreich aus, und die neu entdeckten Stoffwechselwege verdeutlichen eindrucksvoll die physiologische Vielseitigkeit der beteiligten Akteure.
Literaturhinweise
Nature Microbiology 2: 17093 (2017)
Nature 539, 396-401 (2016)