Forschungsbericht 2022 - Max Planck Institute Luxembourg for International, European and Regulatory Procedural Law

Internationales Investitionsrecht: Eine Analyse wegweisender Urteile

Autoren
Ruiz Fabri, Hélène
Abteilungen
Abteilung für Völkerrecht und Streitbeilegung
 
Zusammenfassung
Das internationale Investitionsrecht (IIR) hat eine längere Geschichte als angenommen und wird von verschiedenen Akteuren geprägt. Anglofone Einflüsse übertreffen dabei seine grundlegende Entwicklung. Diese Erkenntnisse stammen aus einer kritischen Analyse der IIR-Rechtsprechung am Max-Planck-Institut Luxemburg. Das Projekt umfasst eine Vielzahl von Fachliteraturen und Rechtsprechungen in verschiedenen Sprachen und Rechtskulturen und vereint ein diverses Team aus Forschern und Praktikern.
 

Herausforderung

In dem Forschungsprojekt zum internationalen Investitionsrecht (IIR) hat sich ein international besetztes Team aus Forschern und Praktikern vorgenommen, Formen und Kategorien des Rechtsdenkens im IIR zu definieren und einen Überblick darüber zu geben, wie unterschiedliche Rechtssysteme das Wesen des IIR gestaltet haben. Grundlegend war der Gedanke, die Vielfältigkeit der rechtswissenschaftlichen Strukturen des IIR aufzuzeigen und nicht jene Urteile zu isolieren oder zu klassifizieren, die zwingend als Leiturteile einzuordnen wären.

Zu diesem Zweck haben die beteiligten Wissenschaftler Grundsatzurteile – Urteile, die die Konturen eines Rechtssystems beschreiben und bei rechtlicher Unsicherheit für Klarheit sorgen – analysiert, um Material für weitere Analysen aus historischer und vergleichender Perspektive zu erhalten. Dabei wählten sie ein Vorgehen, das in allen Rechtstraditionen gängig ist: das Identifizieren von Grundsatzurteilen, welche die Grenzen für ein bestimmtes Rechtssystem oder -konzept vorgeben und klarstellen, wie eine oder mehrere Rechtsvorschriften sich einordnen oder einer logischen Entwicklung folgen.

Bei der Untersuchung der Grundsatzurteile aus dem IIR fungierten bedeutende Fälle als fundamentale Ausgangspunkte; von da ausgehend wurde der intellektuelle Aufbau eines Bereichs nachvollzogen. Die Entscheidungen machen die zentralen juristischen Momente in der Entwicklung des IIR erkennbar: Durch Auswahl und Renvois (Rückverweisung) wird ein Rahmen geschaffen, um die Komplexität des IIR im weiten Sinne mit seinen Verzweigungen und Revisionen aufzuzeigen.

Wissenschaftlicher Ansatz und Forschungsfragen

Ziel des Projekts war es, die Geschichte und aktuelle Relevanz der Streitschlichtung im internationalen Investitionsrecht neu zu bewerten. Unter anderem gingen die Forscher der Frage nach, ob es möglich ist, das IIR rein aus Sicht der Schiedsurteile zu Investitionen zu betrachten, und ob man von einer internationalen Investitionsrechtsprechung reden kann oder ob es mehrere Ansätze für die Streitschlichtung in diesem Bereich gibt. Sie untersuchten, was zur derzeitigen Sichtweise auf das Phänomen der Investitionen im internationalen Recht geführt hat und wie diese das Verfahren zur Schlichtung der diesbezüglichen Streitigkeiten beeinflusst hat.

Aus historischer Perspektive betrachtet besteht ein wesentliches Merkmal der aktuellen internationalen Wirtschaftsrechtsdoktrin in der Tendenz, den geschichtlichen Einfluss auf ihre Entwicklung und Ausbildung nicht zu beachten und sich stattdessen auf die technische Funktion ihrer Instrumente zu fokussieren, ohne deren Effekt auf Einzelpersonen zu berücksichtigen. Diesen Mangel an Selbstreflexion in Bezug auf das IIR aufzuarbeiten, war ein Ziel des Forschungsprojekts.

Aus vergleichender Perspektive zeigen die Ergebnisse, dass das IIR nicht nur im Rahmen von Investitionsschiedsverfahren und am Internationalen Gerichtshof gestaltet wird, sondern auch durch andere internationale Gerichte und Tribunale, die zur Entwicklung des Inhalts des IIR beitragen. Die erste Art von Vergleich ist endogen und zielt darauf ab, die Komplexität der bestehenden Rechtsprechung in internationalen Schiedsurteilen zu Investitionen aufzuzeigen, wo verschiedene Tribunale zu gegensätzlichen Lösungen für gleiche Sachverhalte gelangt sind. Die zweite Art von Vergleich ist exogen und bezieht sich auf die Vielfalt der Perspektiven, die unterschiedliche Gerichte und Tribunale in Hinblick auf internationale Investitionen anwenden, unabhängig davon, ob es sich um internationale Gerichte oder Tribunale oder nationale Richter handelt.

Im Bruch mit der weitverbreiteten Auffassung, dass nationale Richter nicht als zuständiges Forum für internationale Investitionsrechtsstreite fungieren können, wurden Grundsatzurteile verschiedener nationaler Gerichte aus der ganzen Welt zusammengetragen. Paragraf 292 von Gutachten 2/15 des Internationalen Gerichtshofs stellt klar, dass nationale Rechtsordnungen das zuständige Forum (juge naturel) für Rechtsfragen im Zusammenhang mit internationalen Investitionen sind. Dies schafft einen Anreiz, die unterschiedlichen Ansätze nationaler Gerichte in Bezug auf Investitionsinstrumente zu untersuchen und zu verstehen. Der aus dem Projekt hervorgegangene Sammelband gibt eine Übersicht anhand ausgewählter Beispiele aus verschiedenen Rechtssystemen und veranschaulicht, wie wiederkehrende Themen ganz unterschiedliche Antworten finden können [1].

Streitschlichtung im internationalen Investitionsrecht: Analyse wegweisender Fälle und Strategien

Das Projekt hat die Geschichte und den Hintergrund der Mechanismen zur Streitschlichtung erforscht, die das moderne IIR geformt haben. Es ist wichtig, diese Fälle miteinzubeziehen und sie kritisch zu bewerten, nur so lässt sich ein besseres Verständnis der facettenreichen Ursprünge der Disziplin erlangen.

Ausgehend von wegweisenden Fällen aus dem Schiedswesen zu Investitionen wurden die juristischen Strategien analysiert, die zur Fortentwicklung der Gerichtsverfahren angewandt wurden.

Das Projekt hat einen Überblick darüber verschafft, wie Gerichte und Tribunale über Schiedsgerichte hinaus mit internationale Investitionen betreffenden Fragen umgingen. So hat es veranschaulicht , wie Investitionsschiedsgerichte eine werteorientierte Auslegung der Disziplin anwandten, die in Konflikt mit anderen Bereichen treten kann, wie Menschenrechte, die Rechtsordnung der EU oder die spezifischen Anforderungen anderer Streitschlichtungsmechanismen.

Schließlich hat es eine Übersicht geliefert, wie unterschiedliche nationale Rechtssysteme das IIR handhabten. Die Themen reichten von der Einwendbarkeit eines bilateralen Investitionsschutzabkommens (BIT) in der nationalen Rechtsordnung bis zur Verfassungsmäßigkeit eines BIT, dem Einfluss der Staatenimmunität bis zur Rolle des nationalen Richters.

Literaturhinweise

Ruiz Fabri, H.; Stoppioni, E. (Hrsg.)

 
International Investment Law. An Analysis of the Major Decisions
 
Hart Publishing, Oxford 2022
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