Forschungsbericht 2007 - Max-Planck-Forschungsstelle für Enzymologie der Proteinfaltung
Molekulare Ursachen für differentielle biologische Effekte in Protein-Ligand-Wechselwirkungen
Molecular basis of differential effects in protein-ligand interactions
Enzymologie der Proteinfaltung (Prof. Dr. Gunter Fischer)
MPF für Enzymologie der Proteinfaltung, Halle/Saale
Proteine repräsentieren die Werkzeuge, mit denen Lebewesen ihr Dasein erhalten, und diese Proteine sind in ihren chemischen und physikalischen Eigenschaften außerordentlich komplex. Zudem bringt das zelltypische Zusammenspiel der unterschiedlichen Proteine bei der Ausübung einer physiologischen Funktion eine weitere Ebene der Vielfalt ins Spiel, die es erforderlich macht, neue Methoden und Verfahren zur Analyse solcher Zusammenhänge zu entwickeln.
Auf dem Weg vom entfalteten Protein zum nativen, funktionalen Zustand durchläuft die Polypeptidkette in vielen Fällen Zwischenzustände, bei denen noch nicht alle molekularen Feinheiten des nativen Proteins enthalten sind, in denen sich aber schon die meisten strukturellen Eigenschaften des fertigen Proteins ausprägen. Informationen darüber kann man aus biophysikalischen Messdaten relativ leicht erhalten. Viel schwieriger ist es, Aussagen über die Bioaktivität der Faltungsintermediate zu bekommen und damit die Frage zu beantworten, ob erst die allerletzten Faltungsschritte diese Aktivität hervorbringen. Die Schwierigkeit, diese Information zu erhalten, liegt darin, dass Messungen einer Proteinaktivität ihrerseits neue Reaktionsbedingungen erfordern, die den Faltungsvorgang verändern können.
Biokatalyse reagiert empfindlich auch auf kleine Faltungsfehler
Die Max-Planck-Forscher in Halle untersuchten am Beispiel der nucleolytischen Aktivität einer mikrobiellen Ribonuclease, inwieweit sich inkomplette Faltungsvorgänge in den Enzymeigenschaften dieses Proteins feststellen lassen. Sie verwendeten Ribonuclease T1, für die aus biophysikalischen Messverfahren bekannt war, dass sie mehrere inkomplett gefaltete Zwischenprodukte auf dem Weg vom entfalteten zum nativen Zustand aufbaut. Diese Zwischenprodukte unterscheiden sich vom nativen Enzym durch die Konformation jeweils nur einer oder zweier kovalenter Bindungen.
Faltungszwischenprodukte sind in der Regel nicht in Substanz isolierbar und können deswegen auch nicht einzeln hergestellt und experimentell untersucht werden. Ihre Eigenschaften sind nur während des Reaktionsflusses, wenn sie zwischenzeitlich einen großen Anteil an der Gesamtmenge des faltenden Proteins ausmachen, durch zeitaufgelöste Messmethoden zugänglich.
Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Untersuchung der enzymatischen Aktivität dieser Zwischenprodukte lag in der Bereitstellung eines hochempfindlich detektierbaren, aber schwach bindenden Substrates für Ribonuclease T1 (Abb.1). Das Problem wurde gelöst durch die chemische Synthese eines Substrates, das einen bei enzymatischer Spaltung Fluoreszenzlicht aussendenden Baustein enthält, der an einem Ende eines Ribonuclease T1-spezifischen, neun Bausteine umfassenden Nucleotides angebracht ist.
![Chemische Struktur des als Substrat für Ribonuclease T1 verwendeten Nonanucleotides. Die Spaltstelle für das Enzym ist rot eingefärbt. Während der katalytischen Spaltung des Substrates werden die beiden Fluoreszenzfarbstoffe Cy3( Donor) und Cy5 (Akzeptor) räumlich voneinander getrennt, sodass ein starkes Signal für die Akzeptorfluoreszenz erscheint.](/375299/zoom-1293749335.jpg?t=eyJ3aWR0aCI6MjQ2LCJvYmpfaWQiOjM3NTI5OX0%3D--54a68d8826ac79fbb5e9c4622989d83a29b21279)
Die kontinuierlich registrierten Zeit-Umsatzkurven der enzymatischen Aktivität während der Faltung lieferten den Beweis dafür, dass ein Faltungsintermediat mit nur einer „falschen“ Bindung in der Nähe des Katalysezentrums der Ribonuclease T1 enzymatisch komplett inaktiv ist. Eine „falsche“ Bindung in einer weiter von diesem Zentrum entfernten Polypeptidschleife ist weniger störend für die Bioaktivität. Dieses Zwischenprodukt besitzt bereits 46 % der Aktivität komplett gefalteter Ribonuclease T1-Moleküle (Abb. 2).
![Dreidimensionale Struktur von Ribonuclease T1. Die für die Enzymkatalyse wichtigen Aminosäuren (rot) und die Substratbindungstasche (blau) sind ebenfalls eingezeichnet. Von den beiden für die Bioaktivität des Enzyms sensitiven Faltungsstellen (grün) liegt Pro39 besonders nahe zum aktiven Zentrum und hat deswegen einen besonders großen Einfluss. Überraschenderweise reduziert auch Falschfaltung am Pro55 die Enzymaktivität um fast 50%.](/375355/zoom-1293749492.jpg?t=eyJ3aWR0aCI6MjQ2LCJvYmpfaWQiOjM3NTM1NX0%3D--00acce3fc63c1fe3f79d9a0b8604e374a78cd71f)
Damit wird klar, dass auch geringe Störungen in der dreidimensionalen Struktur von Proteinen, wie sie neuerdings für die toxischen Proteinkonformationen bei der Entwicklung von neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Alzheimer diskutiert werden, die physiologische Funktion von Proteinen empfindlich stören können (Tobias Aumüller).