Rede des Präsidenten vor der Festversammlung in Kiel

29. Juni 2007

"Im Wettlauf um die Zukunft"

- Es gilt das gesprochene Wort -

Meine Damen und Herren,

sehr geehrter Herr Bundespräsident,

vielen herzlichen Dank für Ihre ermutigenden Worte! Wir fühlen uns geehrt, dass Sie mit Ihrem Interesse die Arbeit der Max-Planck-Gesellschaft begleiten. Es freut uns, dass Ihr nächster Besuch an einem Max-Planck-Institut bereits feststeht. Am MPI für biophysikalische Chemie wird Ihnen Herr Hell seine Forschung im Labor präsentieren. Uns allen gibt er im Anschluss an meine Ausführungen einen Einblick.

Ein persönliches Wort möchte ich noch vorneweg sagen: Ich habe mich sehr gefreut, dass mich gestern der Senat der Max-Planck-Gesellschaft für weitere sechs Jahre im Amt des Präsidenten bestätigt hat. Bedanken möchte ich mich vor allem beim Verwaltungsrat, den Kolleginnen und Kollegen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - ganz besonders danke ich den Vizepräsidenten, die mich bei meinen Aufgaben enorm unterstützen. Herzlichen Dank auch an die vielen Kolleginnen und Kollegen - auch außerhalb der MPG-, die in den vergangenen Jahren zur angenehmen und konstruktiven Zusammenarbeit beigetragen haben!

Ich nehme es als ein gutes Omen, dass diese Wahl hier in Kiel stattgefunden hat, in der Geburtsstadt von Max Planck. Außerdem wird die neue Amtszeit im Juni nächsten Jahres beginnen; in dem Jahr, in dem wir den 150. Geburtstag Max Plancks feiern. Ich freue mich, denn die Max-Planck-Gesellschaft hat die besten Chancen, auch in Zukunft im internationalen Wettbewerb ihre Spitzenposition zu behaupten. Zumindest solange wir die Mittel zur Verfügung gestellt bekommen, die uns international wettbewerbsfähig machen.

Dass die Max-Planck-Gesellschaft hervorragende Forschung leistet und leisten kann, hängt auch mit dem Pakt für Forschung und Innovation zusammen. Er sichert allen außeruniversitären Forschungseinrichtungen - also auch uns - jährliche Haushaltssteigerungen von mindestens drei Prozent. Unsere erste Bilanz haben wir soeben abgegeben.

Wie Sie wissen, spielt neben dem Pakt die Exzellenzinitiative für die Universitäten bei der Profilierung des Forschungsstandorts Deutschland eine wichtige Rolle. Beide, Pakt und Exzellenzinitiative, unterstützen auch die Kooperation zwischen universitärer und außeruniversitärer Forschung. In der ersten Runde der Exzellenzinitiative wurden die guten, ständig enger werdenden Kooperationsbeziehungen zwischen Max-Planck-Instituten und Universitäten bestätigt. Innerhalb kürzester Zeit konnten gemeinsame und vor allem, wie sich zeigte, erfolgreiche Anträge eingereicht werden. Das hat uns sehr gefreut. Natürlich haben wir gerne mitgemacht, weil sich die Max-Planck-Gesellschaft immer aufgerufen fühlt, wenn von Exzellenz die Rede ist.

Die Exzellenzinitiative wird gelobt und kritisiert - und beides zu Recht. Ihr Verdienst ist, dass sie einen Paradigmenwechsel eingeleitet hat. Wir sind endlich bereit, uns von der Vorstellung zu verabschieden, dass Gleichheit auf höchstem Niveau zu verwirklichen wäre. Dabei sagt eigentlich das Wort "Spitze" schon aus, dass sich dort keine Massen tummeln können.

Was die Initiative nicht leisten kann, ist, die chronische Unterfinanzierung deutscher Universitäten zu beheben. Die Studierendenzahl hat sich seit 1970 verfünffacht. Diese Zahl wird in den kommenden Jahren noch weiter steigen - und sie muss es auch. Wir brauchen einen weit höheren Anteil an Studierenden eines Jahrgangs in Deutschland als bisher. Diese jungen Leute müssen gut betreut und ausgebildet werden. Denn dass der Wohlstand unseres Landes nicht zuletzt von eben diesem qualifizierten Nachwuchs abhängt, dürfte außer Zweifel stehen! Dabei mangelt es insbesondere an Naturwissenschaftlern und Ingenieuren. Es wäre ein wichtiger Schritt, wenn es in den Schulen gelänge, mehr Begeisterung für diese Fächer zu wecken. Nicht nur um junge Menschen zu einem entsprechenden Studium zu bewegen, sondern auch, um zukünftigen Geisteswissenschaftlern ein breites naturwissenschaftliches Verständnis zu vermitteln.

Es gibt keine unüberbrückbare Kluft zwischen der "geisteswissenschaftlichen" und der "naturwissenschaftlichen Kultur", wie sie der Wissenschaftler und Literat C. P. Snow einst beschworen hat. Beide - die Geistes- wie die Naturwissenschaftler - versuchen nichts anderes, als die Welt und die Rolle des Menschen in dieser Welt zu verstehen. Sie bedienen sich dabei zwar unterschiedlicher Methodenrepertoires. Aber der Ansatz ist jeweils rational und erkenntnisorientiert.

Um unsere Lebenswelt und die Rolle des Menschen darin zu erforschen, sind Geistes- und Naturwissenschaften nicht nur gleichermaßen, sondern auch häufig gleichzeitig und gemeinsam gefordert. Das gilt für den Klimawandel ebenso, wie für die Stammzellforschung oder die Nanotechnologie. Forscher haben den maßgeblichen Einfluss des Menschen auf das Klima unseres Planeten nachgewiesen - und zwar bereits vor mehr als zehn Jahren. Der Nobelpreisträger Paul Crutzen aus unserem Max-Planck-Institut für Chemie hat den Begriff "Anthropozän" eingeführt . Damit bezeichnet er das jetzige Erdzeitalter, in dem der Mensch auf das Klima in einem Maße einwirkt, wie man es bislang nicht für möglich hielt. Diese Forschungsergebnisse sind endlich akzeptiert und haben einen Platz auf der politischen Agenda bekommen - wie unlängst auf dem G8-Gipfel. Die Wissenschaft ist nun gefordert, Methoden für eine saubere Energiegewinnung und -speicherung zu entwickeln. Aber wir müssen auch die Frage beantworten: Wie gelangen wir zu mehr Nachhaltigkeit - das ist nicht zuletzt eine Aufgabe der Wirtschaftswissenschaften.

Mit der Stammzellforschung haben die Biowissenschaften möglicherweise die Tür für ungeahnte Therapiemöglichkeiten geöffnet. Aber wir müssen uns natürlich mit den ethischen, rechtlichen und sozialen Auswirkungen dieses Forschungszweiges auseinandersetzen. Faszinierende Optionen könnten auch in der Nanotechnologie liegen. So lassen sich chemische Substanzen in winzige Kapseln verpacken. In Krebszellen eingeschleust und mit einem Laserimpuls wieder ausgepackt, können sie Krebs direkt an Ort und Stelle bekämpfen. Michael Crichtons Buch "Beute" ist mit Blick auf die Nanotechnik sicherlich mehr "Fiction" als "Science". Dennoch sollten wir uns kritisch mit den Chancen und Risiken auseinandersetzen. Wie weit wollen wir gehen, um Krankheiten zu bekämpfen? Welche Technologien wollen wir anwenden, welche nicht?

Um Antworten auf diese Fragen zu geben, brauchen wir auch die Geisteswissenschaften. Wobei ich Geisteswissenschaften in vier Gruppen fassen möchte - ich lehne mich hier an den Rechtshistoriker Michael Stolleis an: Erstens diejenigen, die sich aus historischer Perspektive mit dem Menschen beschäftigen: also Geschichte, Archäologie oder Kunstgeschichte; zweitens, die Disziplinen, die eine Orientierung für das soziale und politische Wesen Mensch vorgeben, wie die Soziologie oder die Politikwissenschaften. Und drittens jene, die normative Aussagen schaffen, implementieren und interpretieren, wie Philosophie und Recht. Hinzu kommt die Gruppe, die sich mit den künstlerischen Fähigkeiten des Menschen befasst, wie Kunst, Musik und Literatur. Schließlich bilden, so Stolleis, der homo faber und der homo ludens zwei untrennbare Seiten menschlicher Kreativität.

Geisteswissenschaften begleiten und bewerten den gesellschaftlichen Prozess. Sie sind aber auch gefordert, durch eigene Forschung den Prozess mitzugestalten. Nicht umsonst hat die Zeitschrift Nature bei der Veröffentlichung des menschlichen Genoms darauf hingewiesen, dass die ethischen, rechtlichen und sozialen Auswirkungen von Entdeckungen vergleichbare Bedeutung besitzen wie die naturwissenschaftlichen Durchbrüche selbst. Entscheidend ist, dass Vertreter beider, also der Geistes- und der Naturwissenschaften, im produktiven Dialog stehen und sich um gegenseitiges Verständnis bemühen.

Gerade die Zusammenarbeit zwischen Forscherinnen und Forschern aus den verschiedenen Traditionen kann zu außerordentlich interessanten wissenschaftlichen Ergebnissen führen.

Die Institute der Geistes-, Sozial- und Humanwissenschaftlichen Sektion der Max-Planck-Gesellschaft befassen sich alle in der einen oder anderen Weise mit dem Menschen: Sie untersuchen seine Fähigkeiten oder seine Geschichte, sie vergleichen Normsetzungen oder Organisationen des menschlichen Zusammenlebens. Wie im Namen der Sektion schon angezeigt, bedient man sich zur Beantwortung der jeweiligen Fragestellung der aussichtsreichsten geistes- und naturwissenschaftlichen Methoden. Das ist in der Max-Planck-Gesellschaft vergleichsweise einfach. Hier arbeiten renommierte Wissenschaftler in einem breiten Spektrum von Astrophysik, über Psychiatrie bis hin zur Kunstgeschichte. Die Direktorinnen und Direktoren führen einen offenen Dialog, der sich an der Sache orientiert und nicht an Instituts- oder Fächergrenzen. Frei von den Verpflichtungen einer fächerspezifischen studentischen Ausbildung und ausschließlich ihrem wissenschaftlichen Konzept verpflichtet, können unsere Institute innovative Ansätze verfolgen. Damit werden sie unserem besonderen Auftrag gerecht, eine Avantgarde im Bereich der Grundlagenforschung zu bilden. Das ist nicht zuletzt deshalb möglich, weil die einzelnen Institute ihre Struktur entsprechend der Aufgabenstellung des Themas gestalten können.

In diesem Jahr, das als Jahr der Geisteswissenschaften ausgelobt wurde, präsentiert sich die Max-Planck-Gesellschaft als ein "Ort der Geisteswissenschaften" und stellt dabei das Thema "Sprache" in den Mittelpunkt.

Sprache unterscheidet den Menschen in seiner Ausdrucksfähigkeit von allen anderen Lebewesen. Allein der Mensch ist befähigt, komplexe sprachliche Systeme zu entwickeln und zur Verständigung mit anderen Menschen einzusetzen. Aristoteles schreibt in seinen "Betrachtungen zur Politik": "Die Stimme, die auch anderen Lebewesen eigen ist, ist der Ausdruck von Lust und Schmerz; die Sprache dagegen dient dazu, das Nützliche und Schädliche mitzuteilen und so auch das Gerechte und Ungerechte". Diese, wie es Aristoteles ausdrückt, "Wahrnehmung des Guten und Schlechten, des Gerechten und Ungerechten" und vor allem die "Gemeinschaft in diesen Dingen" schaffen "das Haus und den Staat" . Die Fähigkeit zu sprechen, sich über gemeinsame Ziele zu verständigen und gemäß diesen zu handeln, ist also grundlegend für den Menschen. Forschungsarbeiten am MPI für evolutionäre Anthropologie können diese Theorie übrigens aus verhaltensbiologischer Sicht bestätigen. Aber dazu später ...

Nun ist Sprache die eine Seite der Kommunikation; das Verständnis des jeweils Gesprochenen die andere. Dass Kommunikation eine Herausforderung ist, liegt zum einen an der Mehrdeutigkeit von Sprache. Sie resultiert aus den unterschiedlichen Bedeutungen der einzelnen Worte. Hat man damit schon in seiner Muttersprache Verständnisprobleme, so wird das in einer Fremdsprache weiter verschärft. Welche Blüten automatische Übersetzungen am Computer oft treiben, wissen Sie vielleicht: So wird aus dem Englischen "Out of sight, out of mind", zu Deutsch "Aus den Augen aus dem Sinn", ins Chinesische übersetzt und dann wieder ins Englische zurück der "invisible idiot", also der unsichtbare Dummkopf. Ähnliches geschieht mit dem bekannten deutschen Sprichwort: "Der frühe Vogel frisst den Wurm": Zuerst ins Englische, dann ins Französische und wieder zurück ins Deutsche übersetzt, kommt heraus: "Der erste Vogel sammelt die Endlosschraube."

Welche Möglichkeiten für interdisziplinäre Forschung - auch zwischen Geistes- und Naturwissenschaftlern - sich in der Max-Planck-Gesellschaft bieten, lässt sich am Thema Sprache sehr schön zeigen.

Am bereits erwähnten Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig werden dazu Gene, kognitive Fähigkeiten und soziale Systeme des Menschen analysiert.

Wir kennen mehr als 6000 verschiedene Sprachen. Sie bilden mit ihren mannigfaltigen Lautmustern, Wörtern, Sätzen und Bedeutungen ein Kaleidoskop linguistischer Vielfalt. Bernard Comrie und seine Mitarbeiter aus der Abteilung Linguistik erforschen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Sprachen. Mit ihrem vor zwei Jahren vorgelegten Weltatlas der Sprachstrukturen haben sie eine einzigartige Dokumentation der weltweiten Sprachvielfalt geschaffen. Auch für die grundlegenden kognitiven, möglicherweise zum Teil angeborenen Strukturen der menschlichen Sprachfähigkeit sind diese Daten von großer Bedeutung.

Tatsächlich liegt eines der größten Geheimnisse der Sprache nach wie vor in der Frage, wie sie von Kleinkindern auf der ganzen Welt mit so offensichtlicher Leichtigkeit erworben wird. Michael Tomasello und sein Team - viele darunter sind Psychologen - haben bei ihren Untersuchungen an Kleinkindern festgestellt, dass der Schlüssel dazu in der sozialen Intelligenz der Menschenkinder liegt. Anders als Menschenaffen sind sie von Geburt an auf Lernen eingestellt: Kinder lernen Sprache, indem sie andere Menschen sprechen hören und erfahren, was diese mit Sprache bewirken. Sie beginnen schon sehr früh, sich selbst und andere als intentional handelnde Personen zu begreifen und Intentionen mit anderen zu teilen. Affenkinder tun das nicht. Es ist also nicht nur die Anatomie des Kehlkopfes, die uns von unseren nächsten Verwandten unterscheidet, sondern vor allem auch die "Anatomie der Psyche".

Wir gehen heute davon aus, dass die Grundlage unserer Sprachfähigkeit unter anderem mit der Veränderung eines ganz bestimmten Gens gelegt wurde, dem FOXP2. Auch Affen, ja sogar Mäuse besitzen dieses Gen - Sie können allerdings lange warten, bis eine Maus das Sprechen anfängt! - Das Gen führt nicht per se zur Sprachfähigkeit. Bei der menschlichen Version sind einige Basenpaare ausgetauscht, was zur Änderung von drei Aminosäuren im dazugehörigen Protein führt. Diese winzigen Modifikationen könnten zu Änderungen innerhalb eines komplexen genetischen Netzwerks geführt haben, wodurch der Mensch schließlich zum Sprachwesen wurde. Das vermuten zumindest Svante Pääbo und seine Mitarbeiter, die die genetischen Analysen durchgeführt haben. Das Wissenschaftsmagazin Science hat diese Arbeiten 2002 zum Durchbruch des Jahres gekürt.

Als weitere Voraussetzung für die Entwicklung der Sprache gilt zudem die lange Reifedauer des Gehirns nach der Geburt. Der moderne Mensch kommt nämlich relativ unreif zur Welt: Bei unserer Geburt verfügen wir nur über 25 Prozent unseres späteren Gehirnvolumens. Im ersten Lebensjahr erreicht das Gehirn etwa die Hälfte seines endgültigen Volumens. Voll ausgewachsen ist es erst nach dem zehnten Lebensjahr. Es reift damit langsamer und länger als bei allen anderen Primaten. Das ist sicherlich ein ganz wesentlicher Grund für unsere Lernfähigkeit im Kindesalter.

Mit den modernen Methoden der Computertomografie haben Jean-Jacques Hublin und seine Mitarbeiter die fossilen Überreste des Schädels eines Homo erectus Kindes untersucht. Dabei konnten sie zeigen, dass das Gehirnwachstum des Homo erectus nach der Geburt ähnlich früh abgeschlossen war wie etwa bei Schimpansen. Das Team um Hublin geht davon aus, dass das insgesamt geringe Hirnvolumen und die wesentlich kürzere Reifung die kognitiven Fähigkeiten des frühen Menschen sehr eingeschränkt haben. Komplexe Sprache und Verständigung dürften damit unmöglich gewesen sein. Sprache hat sich also offenbar erst spät in der Evolution entwickelt.

Meine Damen und Herren,
Sie sehen, das Zusammenwirken unterschiedlicher geistes- und naturwissenschaftlicher Disziplinen unter einem Institutsdach kann Licht in die Evolution des Menschen und in die Entwicklung von Sprache bringen. - Vielleicht haben Sie sich auf dem Wissenschaftsschiff, das hier in Kiel vor Anker lag, die interaktive Sprachweltkugel und andere Exponate ansehen können!

Aber die Erforschung der menschlichen Sprache, und, eng damit verbunden, der menschlichen Kognition muss nicht notwendigerweise unter einem Dach stattfinden. Auf diesem facettenreichen Gebiet arbeiten ganz verschiedene Institute der Max-Planck-Gesellschaft.

Am MPI für Psycholinguistik befassen sich Steve Levinson und sein Team mit zwei klassischen Fragen der abendländischen Philosophie. Nämlich: Ist das menschliche Denken universal? Und: Bestimmt die Sprache unser Denken? Levinson und seine Kollegen am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik im niederländischen Nijmegen haben diese Fragen anhand verschiedener Sprachen und Kulturen empirisch untersucht. Konkret haben die Wissenschaftler zum Beispiel beobachtet, wie Menschen räumliche Verhältnisse beschreiben und auf welche Weise sie räumliche Anordnungen denken - mit erstaunlich unterschiedlichen Ergebnissen:

Wenn Sie in Ihrem Hotel heute Morgen nach dem Frühstückszimmer gefragt haben, könnte Ihnen der Portier zum Beispiel gesagt haben: Es ist rechts von der Rezeption. Damit meint er die von Ihnen aus gesehen rechte Seite. Andere Sprachen kennen kein solches Bezugssystem, das sich am menschlichen Körper ausrichtet. Auch im Deutschen verwenden wir oft lieber andere Bezüge, sogenannte intrinsische. Zum Beispiel: "Das Telefon steht neben dem Eingang." Hier spielt es keine Rolle, aus welcher Richtung man das Telefon sucht. Es gibt aber auch Kulturen, die absolute Bezugssysteme wie Himmelsrichtungen verwenden. In der Sprache australischer Ureinwohner befindet sich das Telefon beispielsweise nördlich vom Eingang. Und selbst wenn es um den eigenen Köper geht, sagt man dort: "An meinem westlichen Bein krabbelt eine Fliege." Bei der Aufgabe, Gegenstände auf einem Tisch anzuordnen, folgen diese Sprecher weiterhin den Himmelsrichtungen, legen also den Apfel nördlich von der Birne. Rechts-links-orientierte Sprecher dagegen, postieren den Apfel rechts von der Birne. Im Ergebnis kann das ein wesentlicher Unterschied sein, wenn sich die Person zum Beispiel um 180° dreht. Levinson und seine Mitarbeiter konnten damit zeigen, dass verschiedene Sprecher räumliche Gegebenheiten auch unterschiedlich "denken".

Doch wie lernen wir überhaupt Sprache? "Sprachvermögen" ist zwar Teil unserer genetischen Ausstattung, aber niemand kann bei seiner Geburt schon sprechen. Ebenfalls am MPI für Psycholinguistik haben Wolfgang Klein und seine Mitarbeiter beobachtet, in welchen Schritten Kinder und Erwachsene ohne Unterricht Sprachen lernen. Dabei haben sie herausgefunden, dass ausländische Arbeiter, die keinen Sprachkurs besuchen, nach einer gewissen Zeit ein klar strukturiertes und effizientes Sprachsystem ausbilden. Erstaunlicher Weise findet sich diese Struktur bei Personen in so unterschiedlichen Ländern wie England, Deutschland oder Schweden. Und sie ist unabhängig davon, ob die Person als Muttersprache Punjabi, Italienisch oder Finnisch spricht. Diese so genannte "Basisvarietät" kommt ohne Konjugation und Deklination aus, und spiegelt offenbar gewisse fundamentale Organisationsweisen von Sprachen wider. Auffällig ist, dass Kinder nie ein solches System verwenden. Ihre Sprachentwicklung verläuft ganz anders: Sie ist vor allem von dem Ziel geprägt, möglichst genau so zu sprechen wie ihre soziale Umgebung.

Insgesamt ist zu beobachten, dass sich die kognitive Leistungsfähigkeit im Verlauf des Lebens stets in Wechselwirkung mit sozialen Beziehungen entwickelt. Das gilt bis ins hohe Alter. Ältere Menschen mit einem großen sozialen Netz und zahlreichen sozialen Aktivitäten sind im Durchschnitt geistig fitter als ihre Altersgenossen, die nur wenige soziale Kontakte pflegen. Nun könnte es sein, dass kognitiv leistungsfähigere alte Menschen auch sozial aktiver sind und die soziale Teilhabe die Kognitionsfähigkeit gar nicht direkt beeinflusst. Ulman Lindenberger - Ich hoffe für Sie, dass Sie am Mittwoch seinen spannenden Vortrag nicht verpasst haben! - Lindenberger und seine Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung haben nachgewiesen, dass im höheren und hohen Alter soziale Teilhabe den alterungsbedingten Rückgang in der kognitiven Leitungsfähigkeit tatsächlich aufhalten kann. Menschen brauchen offensichtlich den Austausch mit anderen - nicht nur für das psychische, sondern auch für das geistige Wohlbefinden.

Es gibt in der Max-Planck-Gesellschaft also ein außerordentlich vielfältiges Spektrum an Kompetenzen auf dem Feld von Sprache und Kognition. Und das gilt es über die Institute hinweg zu bündeln. Daher planen die Geistes-, Sozial- und Humanwissenschaften zusammen mit den beiden anderen Sektionen ein Netzwerk Kognitionsforschung. Es soll die Forschungsaktivitäten auf diesem Gebiet koordinieren und zu mehr Synergien führen.

Solche Kooperationen fördere ich seit einigen Jahren aus dem Strategischen Innovationsfonds. MaxNetAging ist auch ein Beispiel dafür. Es führt Kompetenzen in der Alternsforschung in und außerhalb der Max-Planck-Gesellschaft zusammen. Darüber hinaus sollen in einem neuen Max-Planck-Institut für die Biologie des Alterns die molekularen Prozesse des gesunden Alterns erforscht werden. Dieses wissenschaftlich und gesellschaftspolitisch wichtige Thema treibt mich seit Beginn meiner Amtszeit um. Daher freue ich mich sehr, dass unser Senat gestern die Gründung dieses Instituts sowie die Berufung von drei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nach Köln beschlossen hat. Alle drei kommen übrigens aus dem Ausland.

An vielen Instituten der Max-Planck-Gesellschaft arbeiten ausländische Direktoren. Ihr Anteil beträgt mittlerweile mehr als ein Viertel. Häufig holen wir für die Max-Planck-Gesellschaft auch Deutsche aus dem Ausland zurück - wie Peter Druschel an das vor zweieinhalb Jahren gegründete Institut für Softwaresysteme oder Hans Schöler an das MPI für molekulare Biomedizin.

Wissenschaftler auf der Ebene, wie wir sie für Deutschland gewinnen, werden überall auf der Welt gesucht. In diesem Wettbewerb hilft uns, dass unsere Institute ungewöhnliche Forschung zulassen. Vor allem, dass wir eine attraktive, nicht zeitlich limitierte Forschungsfinanzierung für jede Direktorin und jeden Direktor bieten. Die finanzielle Ausstattung ist nur dann in Gefahr, wenn sich ex post zeigt, dass die Abteilung trotz dieser Gelder keine hervorragenden Leistungen vorweisen kann. International besetzte Fachbeiräte beurteilen alle zwei Jahre die Institute. Und wo angezeigt, ziehen wir die entsprechenden Konsequenzen.

Wir sind überzeugt, dass die finanzielle Sicherheit der Kreativität den nötigen Raum gibt. Nur so ist zukunftsweisende, wagemutige Forschung möglich: Forschung, die ganz neue Ansätze zulässt, neue Perspektiven eröffnet und Durchbrüche erzielen kann. Das ist ein wesentlicher Grund für den Erfolg der Max-Planck-Gesellschaft. Etwas, das keinesfalls durch die Finanzierung von einzelnen, zeitlich befristeten Projekten aufgefangen werden kann.

Unsere großzügigen Forschungsbedingungen sind eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Berufungen. Aber wir berufen nicht nur Wissenschaftler, sondern zugleich Menschen mit persönlichen Interessen. Entsprechend wettbewerbsfähig müssen auch die Gehälter sein. Das deutsche Besserstellungsverbot hilft da nicht weiter! Wir konkurrieren mit Einrichtungen in der Schweiz oder in den USA. Und letztere bieten sogar Zusatzleistungen, wie die Schul- oder Studiengebühren für die Kinder oder finanzielle Hilfen beim Hauskauf. Und das bei einem ohnehin höheren Gehalt! Ich bin sicher, dass neben der staatlichen Förderung die Gelder privater Mäzene für die deutsche Wissenschaft in Zukunft unverzichtbar werden. Daher danke ich allen, die uns insbesondere durch die Exzellenzstiftung zur Förderung der Max-Planck-Gesellschaft schon jetzt so großzügig unterstützen. Ich würde mich freuen, wenn der Kreis weiter wachsen würde.

Meine Damen und Herren,
gerade wenn es um den Kontakt zu herausragenden Wissenschaftlern geht, stellen wir immer wieder fest: Es genügt nicht, nur von Deutschland aus zu agieren. Wir haben daher in Shanghai gemeinsam mit der Chinesischen Akademie der Wissenschaften ein Partnerinstitut eingerichtet. Derzeit überlegen wir, auch in Amerika und Asien auf ähnliche Weise aktiv zu werden. Die Geistes-, Sozial- und Humanwissenschaftliche Sektion hat bereits seit Jahrzehnten Erfahrungen mit Instituten im europäischen Ausland. Denken Sie an das Institut für Psycholinguistik in Nijmegen und die beiden kunsthistorischen Institute in Italien.

Wir sind für den Aufbau von Instituten im Ausland grundsätzlich offen, entscheidend sind die wissenschaftliche Sinnhaftigkeit, der Mehrwert für die Max-Planck-Gesellschaft und die gesicherte Finanzierung überwiegend aus dem Ausland. Wir glauben an unsere Struktur - und das tun offenbar auch andere. Ich persönlich bin der Überzeugung: Je bekannter die Max-Planck-Gesellschaft international als Marke wird, desto leichter wird es uns fallen, hervorragende Wissenschaftler für die MPG zu gewinnen - sei es in Deutschland oder sei an einem Standort im Ausland.

Meine Damen und Herren,
Deutschland muss sich im globalen Wettbewerb der Wissensgesellschaften um Erkenntnisfortschritt und Innovation positionieren. Machen wir uns nichts vor: Der Ausbau der Wissensgesellschaften schreitet weltweit voran - mit oder ohne Deutschland. Wenn es also unser Ziel ist, in- sagen wir 10 Jahren - eines der leistungsfähigsten Forschungs- und Innovationssysteme zu haben, dann brauchen wir eine klare Strategie.

Wir haben ein differenziertes Forschungssystem, auf das wir stolz sein können. Wir sollten dessen Stärken fördern und dessen Schwächen beheben. Programme wie der Pakt für Forschung und Innovation und die Exzellenzinitiative spielen dabei sicherlich eine Rolle. Doch kann sich die Strategie nicht alleine darin erschöpfen.

Es geht nicht nur um die Forschungsmittel an sich. Auch beim persönlichen Angebot müssen wir angesichts des Kampfes um die Köpfe wettbewerbsfähige Angebote unterbreiten und attraktive Rahmenbedingungen schaffen.

Attraktive Rahmenbedingungen beinhalten natürlich auch, dass wir uns als ein integrationsbereites Land aufstellen. Das heißt, die Regelungen für die Einwanderung von Höherqualifizierten zu verbessern. Ich unterstütze das aktuell wieder diskutierte Punktesystem sehr, das die dauerhafte Zuwanderung nicht nur nach Sprachkenntnissen, sondern auch nach Kriterien wie Alter oder beruflicher Qualifikation regeln würde.

Ein weiterer Teil der Strategie muss die Internationalisierung der deutschen Forschung sein, wie sie derzeit auch vom Bundesministerium für Bildung und Forschung vorangetrieben wird. Für die Max-Planck-Gesellschaft bedeutet das neben den vielfältigen Kooperationen: Wir müssen - mit Augenmaß - auch institutionell außerhalb Deutschlands präsent sein!

Meine Damen und Herren,
im Wettlauf um die Zukunft müssen Politik, Gesellschaft und Wissenschaft in Deutschland vielleicht nicht dieselbe Sprache sprechen. - Aber sie müssen sich über die Ziele verständigen, um gemeinsam handeln zu können. Wie optimistisch ich in dieser Hinsicht bin, sehen Sie daran, dass ich mich für eine weitere Amtszeit zur Verfügung gestellt habe!

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