"Wir dienen den Unis"

Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Peter Gruss, hat mit dem Magazin "Der Spiegel" über die Zusammenarbeit und den Wettstreit mit den Elite-Universitäten gesprochen

30. Januar 2008

Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG), gemeinhin als Juwel der deutschen Forschung betrachtet, behindere den Aufstieg deutscher Universitäten an die Weltspitze: Dieses "ungelöste Max-Planck-Problem" prangert der Nobelpreisträger Günter Blobel zusammen mit acht namhaften deutschen Forschern in einem Aufruf in der "FAZ" an. Nie werde es den deutschen Universitäten gelingen, neben den Max-Planck-Instituten eine zweite, ebenbürtige Elite heranzubilden. Blobel und seine Mitstreiter fordern deshalb, die Max-Planck-Institute (MPIs) möglichst in die Universitäten zu integrieren. Nur so könnten die nachwachsenden Talente wirklich von den Koryphäen der MPG profitieren (Der Spiegel Nr. 3/ 14.1.2008).

SPIEGEL: Herr Professor Gruss, wie sehr hat Sie der Vorwurf von Herrn Blobel und seinen acht Kollegen überrascht?

Gruss: Kritik an der Max-Planck-Gesellschaft taucht ja zyklisch auf. Mein Vorgänger hat sich schon mit dem Thema befasst, ich selbst habe mich bei meinem Amtsantritt dazu geäußert, und nun ist es wieder einmal so weit. Aber gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt wundert mich der Vorstoß schon. Wir erleben gerade einen tiefgreifenden Wandel in der Wahrnehmung der Universitäten. Noch nie habe ich eine ähnliche Aufbruchstimmung erlebt - die übrigens auch in die Bevölkerung abstrahlt. Der Wert der Forschung wird plötzlich wieder hoch geschätzt, und das ist vor allem ein Verdienst der Exzellenzinitiative.

SPIEGEL: Ein ungelöstes Max-Planck-Problem gibt es also nicht?

Gruss: Ganz im Gegenteil. Wir schaden den Unis nicht, wir dienen ihnen. Etwa 90 Prozent unserer Direktoren sind zugleich Professoren an den Universitäten …

SPIEGEL: … als außerplanmäßige oder Honorarprofessoren, was die Studenten kaum wahrnehmen.

Gruss: Immerhin 30 Direktoren führen auch ein volles Amt an einer Uni. Und wir leisten insgesamt etwa 2900 Semesterwochenstunden. Im übrigen ist die MPG an 70 Prozent aller Exzellenzcluster und an der Hälfte aller Graduiertenschulen beteiligt. Das zeigt doch, dass wir unsere Funktion erfüllen: Wir sind Kristallisationskeime für neue Forschungsaktivitäten. Nehmen Sie nur das Beispiel Köln: Dass die Alternsforschung jetzt im Rahmen der Exzellenzinitiative erfolgreich war, ist nicht zuletzt der MPG zu verdanken, die dort ein neues Institut gründet.

SPIEGEL: Worauf führen sie den, wie Sie sagen, zyklischen Unmut dann zurück?

Gruss: Ich weiß nicht, ob es Neid ist. Aber jedenfalls haben die Max-Planck-Institute eine Ausstattung, die international konkurrenzfähig ist. Und die Universitäten haben diese vielerorts nicht.

SPIEGEL: Wird sich dies nun im Zuge der Exzellenzinitiative ändern?

Gruss: Die Exzellenzinitiative ist ein erster Schritt, aber ausreichen wird er nicht. Zudem fragt sich, ob neun Elite-Unis nicht ein bisschen viele sind für Deutschland.

SPIEGEL: Wenn dies nur der erste Schritt ist, wie sieht der nächste aus?
Gruss: Zum einen sollten nun auch die Länder erkennen, dass das Pro-Kopf-Aufkommen pro Student für Elite-Universitäten anders justiert werden sollte. Denn bisher sind die Universitäten zu einseitig abhängig von Drittmitteln. Solche kurzfristige Förderung mag flexibel sein, aber sie erlaubt keinerlei langfristige Planungssicherheit. Die müsste aus den Haushalten der Länder kommen.

SPIEGEL: Aber es geht nicht nur ums Geld?

Gruss: Nein, auch um Strukturen. Vor allem bedarf es der Einsicht, dass die Universitäten Spitzenleistungen zwar hervorbringen können, aber nicht überall. Es gehört Kraft dazu, zu sagen: Dieses Feld bauen wir aus und leisten uns Vergleichbares zu einer Max-Planck-Abteilung. Denn man muss dann natürlich auch sagen: Dieses Geld wird in anderen Feldern fehlen.

SPIEGEL: Die Universitäten haben also einen zu starken Drang, das Geld gleichmäßig zu verteilen?

Gruss: Es gehört Mut dazu, Profil gestalten zu wollen. Und dieser Mut hat in der Vergangenheit oft gefehlt.

SPIEGEL: Die MPIs verstehen sich als Kristallisationskeime neuer Forschung. Doch bisher hat offenbar alle Strahlkraft nicht gereicht, um eine einzige Universität in die internationale Oberliga aufsteigen zu lassen. Woran hat es gehapert?

Gruss: Wenn die Frage lautet: Kann die Universität genesen am Modell Max-Planck, dann heißt meine Antwort: Warum nicht? Wenn man unsere Entscheidungsstrukturen, unsere Rekrutierungsverfahren, unsere interne Qualitätskontrolle anschaut, dann können die Universitäten da sicher manches abgucken. Wenn aber die Frage lautet: Ist die MPG durch eine Integration in die Universität womöglich noch effizienter, dann ist meine Antwort ein klares Nein.

SPIEGEL: Was wäre so schlimm daran, ein MPI als Universitäts-Institut mit Sonderstatus zu betreiben?

Gruss: Wir haben ein Prinzip, das sich unterscheidet von demjenigen der Universität. Unser Prinzip ist ausgerichtet auf neue Forschungsfelder. Wir schließen jede Abteilung nach der Emeritierung. Diese Flexibilität kann sich eine Universität schon deshalb nicht leisten, weil sie einen Lehrauftrag hat und sicherstellen muss, dass die Breite der Ausbildung gewahrt ist. Deshalb lautet meine klare Aussage: Kooperation ja, Integration nein. Das würde das Prinzip der MPG unterhöhlen und langfristig zu ihrem Niedergang führen.

SPIEGEL: Ist das in Karlsruhe grundsätzlich anders? Dort soll eine Eliteuniversität entstehen durch die Verschmelzung mit dem dortigen Forschungszentrum.

Gruss: Zunächst muss man feststellen, dass eine Verschmelzung vielleicht das Fernziel in Karlsruhe sein mag, aber vorerst geht es vor allem um intensivere Kooperation. Dagegen habe ich nichts. Im übrigen will ich nur anmerken: Mit Universität und Forschungszentrum entsteht in Karlsruhe ein Gebilde mit der Hälfte des Max-Planck-Etats. Da bin ich gespannt, ob die Forschungserfolge vergleichbar sein werden.

SPIEGEL: Warum funktioniert in den USA, was Ihrer Meinung nach in Deutschland nicht denkbar ist? Dort sind Spitzeninstitute durchaus in Universitäten wie Harvard oder Stanford integriert.
Gruss: Zunächst sind dies beides Privatuniversitäten, von denen jede mehr Mittel hat als die gesamte MPG. Hinzu kommt, dass wir hierzulande eine viel geringere Spendenbereitschaft haben.

SPIEGEL: Milliardäre gibt es auch hier …

Gruss: Wohl wahr. Und ich bin ja auch froh, dass es uns in der MPG gelungen ist, über unsere Exzellenzstiftung in 18 Monaten 350 Millionen Euro zu sammeln. Das zeigt: Es geht, aber es geht nicht so leicht wie in den USA. Hier fragt man: Warum spendet einer? Dort lautet die Frage: Warum tut er’s nicht?

SPIEGEL: Ist es nicht sehr einfach, alles aufs Geld zu schieben? In den USA wird ein ähnlicher Teil des Bruttoinlandsprodukts in Forschung investiert wie in Deutschland.

Gruss: Es gibt auch andere Unterschiede. So geben die US-Universitäten ihren Präsidenten ganz andere Freiräume und Durchgriffsmöglichkeiten. Zudem können die Universitäten, weil sie eigenes, hausinternes Geld haben, zum Beispiel viel einfacher neue Institute gründen. Das erleichtert es enorm, sich Profil zu verschaffen. Außerdem gibt es in den USA Graduierten-Universitäten, die kaum oder gar keine Erstsemester unterrichten. Ein Beispiel ist die Rockefeller University, wo Herr Blobel forscht - weshalb es mich sehr wundert, dass er den Aufruf unterschrieben hat. In Rockefeller, so würde ich behaupten, hat er weniger als zwei Stunden Lehrverpflichtung die Woche.

SPIEGEL: In Deutschland übernimmt ja die MPG einen Teil der Doktoranden-Betreuung …

Gruss: Allerdings. Mit 4000 Doktoranden stehen wir bundesweit ziemlich einzig da. Das zeigt doch, dass wir nicht nur forschen, sondern auch lehren.

SPIEGEL: Wäre es da nicht nur folgerichtig, ähnlich wie an der Rockefeller University, auch das Promotionsrecht einzufordern?

Gruss: Um es ganz deutlich zu sagen: Die MPG strebt das Promotionsrecht als Organisation nicht an.

SPIEGEL: Auch nicht im geplanten Max Planck Graduate Center in Mainz?

Gruss: In Mainz hat man den Gedanken der Exzellenzinitiative zuende gedacht. Das dort geplante Projekt soll zu gleichen Teilen von der Universität und der MPG getragen werden. Wir hoffen, dass sich hier die Universität gemeinschaftlich mit den vor Ort befindlichen Max-Planck-Instituten in bestimmten Bereichen profilieren kann, und zwar weltweit sichtbar. Das gilt zum Beispiel für den Bereich Polymerchemie, wo die Mainzer Weltklasse sind.

SPIEGEL: Warum nicht gleich über ein volles Promotionsrecht Klarheit schaffen?

Gruss: Wir brechen nicht ein in eine Domäne, die die Universität für sich reklamiert, nämlich die Ausbildung bis hin zur Promotion. Das Prinzip, dass es keine Promotion ohne Universität gibt, bleibt auch im Graduate Center Mainz bewahrt.

SPIEGEL: Wird Mainz das einzige solche Zentrum bleiben?

Gruss: Interesse an anderen Orten gibt es bereits.

SPIEGEL: Wie steht es zum Beispiel mit Berlin? Dort schmiedet der Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner den Plan einer künftigen Super-Uni, an der die Berliner Unis ebenso wie die Forschungszentren und MPIs beteiligt sein sollen.

Gruss: Letztlich will Herr Zöllner genau das gleiche, was in Mainz jetzt versucht wird, nämlich die Exzellenzinitiative weiterführen. Wir sollten uns durchaus jetzt schon überlegen: Was geschieht, wenn die Mittel der Exzellenzinitiative auslaufen?

SPIEGEL: Wird die MPG auch künftig noch neue Institute in Deutschland gründen?

Gruss: Eines ist sicher: Ein Zuwachs unseres Etats um jährlich drei Prozent, von denen mindestens die Hälfte durch Inflation und Tariferhöhungen aufgefressen wird, reicht für solche Gründungen nicht.

SPIEGEL: Also wird es neue Max-Planck-Institute nur noch im Ausland geben?

Gruss: Jedenfalls haben wir in den USA 190 Millionen Dollar bekommen für ein neues Institut in Florida. Das zeigt übrigens, dass das Erfolgsprinzip der MPG weltweit Akzeptanz findet.

SPIEGEL: Und wo lassen Sie sich als nächstes nieder?

Gruss: Wir haben bereits Anfragen aus Europa. Mehr möchte ich aber erst sagen, wenn wir einen Schritt weiter sind.

Das Interview führte Johann Grolle und

Christian Schwaegerl

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