Forschungsbericht 2016 - Max-Planck-Institut für Kernphysik
Neue Kontrollmöglichkeiten mit und für Röntgenlicht
Gegenseitige Kontrolle von Röntgenquanten und Kernübergängen
Mit der Inbetriebnahme der ersten Röntgen-Freie-Elektronen-Laser (XFEL) vor wenigen Jahren lassen sich nun erstmals sehr intensive Röntgenpulse mit laserähnlichen Eigenschaften erzeugen [1]. Durch die viel kleinere Wellenlänge der Röntgenstrahlung verglichen zum sichtbaren Licht entstehen damit einzigartige Anwendungen wie bisher unerreichte Abbildungsmöglichkeiten in der Biologie. Diese Anwendungen basieren auf der großen Eindringtiefe der Röntgenstrahlung und vor allem auf der Übereinstimmung ihrer Wellenlänge mit dem interatomaren Abstand im Festkörper. Aufgrund der kleinen Wellenlänge lässt sich Röntgenlicht auch sehr gut fokussieren, so dass man im Prinzip sogar einzelne Atome ins Visier der Strahlung nehmen könnte. So ein Fokus ist mit sichtbarem Licht unmöglich, da die Fokussierung wegen der Beugungseffekte durch die Wellenlänge des Lichts begrenzt ist.
Photonen (Lichtquanten) werden gerne als die schnellsten Informationsträger von morgen gesehen: Sie könnten die Elektronen von heute in den Schaltungen der zukünftigen (Quanten-)Computer ersetzen. Bisherige Experimente zur Quanteninformation verwenden dafür Infrarot- oder sichtbares Licht. Beides lässt sich gut kontrollieren, allerdings nicht so gut auf den erwünschten Skalen fokussieren. Mit Licht kürzerer Wellenlängen wie etwa Röntgenstrahlen könnte man hingegen noch deutlich kleinere Schaltungen bedienen. So stellt sich die Frage, ob sich nicht die Vorteile der kurzwelligen Röntgenstrahlung mit der guten Kontrollierbarkeit von optischen Photonen kombinieren ließen. Idealerweise würden in der Quanteninformation einzelne Röntgenphotonen die elementaren Informationseinheiten transportieren. Dank der Fokussierbarkeit und Eindringtiefe dieser energiereichen Lichtquanten könnte man räumlich lokalisierte Vorgänge robust steuern. Allerdings muss man dafür auch in der Lage sein, einzelne Röntgenquanten und deren Eigenschaften wesentlich besser als bisher zu kontrollieren.
Dies gelingt mithilfe von physikalischen Systemen, die zur Frequenz der verwendeten Strahlung resonant sind, also die entsprechende Energie aufnehmen und wieder abgeben können. Im Fall von Röntgenlicht wird diese Bedingung nicht mehr von Übergängen der Elektronen im neutralen Atom erfüllt. Stattdessen erweisen sich Übergänge in hochgeladenen Ionen oder sogar im Atomkern als geeignet. Hochgeladene Ionen haben den Nachteil, dass sie aufwändig erzeugt und gespeichert werden müssen. Dagegen gibt es eine Vielfalt an Atomkernen, welche die entsprechende Energiedifferenz, zum Beispiel zwischen dem stabilem Grundzustand und dem ersten angeregten Kernzustand aufweisen. Die gegenseitige Wechselwirkung von Röntgenstrahlung und Kernen ermöglicht zweierlei Anwendungen: Mit intensiver Röntgenstrahlung lassen sich Atomkerne gezielt anregen und so als kompakte Energiespeicher nutzen. Umgekehrt könnte man auch einzelne Röntgenphotonen mithilfe von Kernübergängen steuern und kontrollieren.
Eine sehr kompakte Form von Energiespeicherung
In Atomkernen existieren relativ langlebige angeregte Zustände, sogenannte Kernisomere. Mit ihnen lassen sich womöglich sehr große Mengen an Energie in verhältnismäßig wenig Material speichern [2]. Durch kontrolliertes Anregen der Kerne und anschließendes Abregen der Isomeren hofft man, in Zukunft sehr kompakte Energiespeicher auf nuklearer Basis zu verwirklichen. Das verleiht dem Forschungsgebiet sehr großes, auch ökonomisches, Potenzial. Der Schlüssel zur Entwicklung eines Energiespeichers ist die Identifikation und Optimierung eines effizienten Verfahrens, mit dem sich die im Atomkern gespeicherte Energie kontrolliert freisetzen lässt. Da sich der Zerfall der langlebigen Zustände direkt in den Grundzustand kaum beeinflussen lässt, hebt man den Kern aus dem Isomer-Zustand zunächst in einen anderen, aber kurzlebigen Zustand an. Dieser Übergang lässt mit externen Feldern oder Elektronen leichter steuern. Man spricht von „Triggern“ [2]. Falls nun der Zerfallsweg nicht über den Isomer-Zustand führt, wird die gesamte Energie freigesetzt. Ein für diesen Prozess geeigneter Kern ist das Molybdän-Isotop 93Mo, dessen wichtigste Energieniveaus in Abbildung 1 dargestellt sind. Eine verhältnismäßig kleine Trigger-Anregung von 5 Kiloelektronvolt setzt die Gesamtenergie von 2,4 Megaelektronvolt als Gammalicht innerhalb weniger Nanosekunden frei. Zum Vergleich: Die Energie von Photonen des sichtbaren Lichts beträgt wenige Elektronenvolt. Photonen von 5 Kiloelektronvolt sind bei den brillantesten Röntgenquellen unserer Zeit, den XFEL, bereits verfügbar.
Theoretische Studien haben untersucht, was geschehen würde, wenn man 93Mo-Kernisomere mit Röntgenlicht eines XFEL zu entladen versucht [3,4]. Dabei ergab sich überraschenderweise, dass gar nicht die primäre, direkte Einwirkung der Röntgenphotonen die Hauptwirkung auf die Isomere hat, sondern ein vorher als Nebeneffekt angesehener elektronischer Prozess [3]. Intensive Röntgenstrahlen eines XFEL erzeugen beim Auftreffen auf einen Festkörper ein Plasma: Sie schlagen Elektronen aus den Atomen heraus, so dass ein Gas aus geladenen Teilchen entsteht. Unter bestimmten Bedingungen kann der Atomkern eines hochgeladenen Ions angeregt werden, wenn das Atom ein Elektron einfängt. Dafür müssen die beim Einfangen freigesetzte Energie und die Kernübergangsenergie übereinstimmen. Was auf den ersten Blick als ein störender Nebeneffekt erscheint, führt tatsächlich zu einer deutlich höheren Rate für den Anregungsprozess aus dem Isomer-Zustand. Die theoretischen Rechnungen deuten darauf hin, dass die Röntgenphotonen ausgerechnet hierfür die passenden Ionen und Elektronen im Plasma erzeugen, die die Kernanregung durch Elektroneinfang ermöglichen [3,4]. Auf diese Weise werden um einige Größenordnungen mehr Kerne angeregt, als es durch Photonenabsorption im Kern alleine möglich wäre. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, mit dem das Kernisomer entladen wird, immer noch zu gering, um von effizienter Kontrolle sprechen zu können. Erste Experimente mit 93Mo und anderen Kernisomeren am XFEL versprechen aber wichtige Erkenntnisse auf der Suche nach einer auf Kernisomeren basierten kompakten Form von Energiespeicherung.
Einzelne gespeicherte Röntgenphotonen
Die neuen Entwicklungen im Röntgenbereich sind nicht nur spannend im Hinblick auf direkte Kontrolle von Kernen oder Kernisomeren durch Licht. Auch der umgekehrte Vorgang, die Kontrolle von Röntgenlicht mithilfe von Kernen, eröffnet neue Perspektiven. Röntgenphotonen haben gegenüber optischen Photonen den Vorteil, dass sie sich auf subatomare Flächen fokussieren lassen, was zukünftig extrem winzige photonische Schaltkreise ermöglichen könnte. Eine Speicherung von Röntgenphotonen unter Erhalt ihrer quantenmechanischen Eigenschaften ließ sich jedoch bisher noch nicht realisieren. Hierfür bieten sich Atomkerne mit niedrig liegenden angeregten Zuständen an wie Eisen (57Fe), die zusätzlich auch sogenannte Mößbauer-Kerne sind. Dies bedeutet, dass Kernanregung und -abregung in einem Festkörper rückstoßfrei erfolgen kann, was eine verstärkte Streuung des Röntgenlichts in die Vorwärtsrichtung erlaubt. Theoretische Rechnungen haben gezeigt, dass es möglich ist, mithilfe eines Magnetfelds einzelne Röntgenquanten durch diese Vorwärtsstreuung an Eisenkernen einzufangen und ohne Qualitätsverlust wiederzugewinnen [5,6]. Außerdem ist es möglich, das gespeicherte Röntgenquant zu manipulieren, und insbesondere seine Phase, also die Lage der Wellenberge und -täler, gezielt zu ändern. Damit eröffnet sich die Perspektive, eines Tages die in einem Röntgenstrahl kodierte Information in einer Matrix aus Eisenatomen in einem Edelstahlplättchen zu speichern, ein räumlich sehr kompakter Datenspeicher.
In diesem Szenario befindet sich ein Edelstahlplättchen in einem Magnetfeld, das die Energieniveaus der 57Fe-Kerne aufspaltet (siehe Abb. 2). Senkrecht zur Richtung des Magnetfelds werden polarisierte, das heißt in einer bestimmten Richtung schwingende, Röntgenlichtpulse eingestrahlt. Ihre Intensität ist so eingestellt, dass die Probe pro Puls nur ein Photon absorbiert. Schaltet man das Magnetfelds kurz nach dem Röntgenpuls ab, hebt sich die Aufspaltung der Energieniveaus auf und der Rückweg der Photonen wird blockiert: Die Anregung einschließlich aller quantenmechanischen Eigenschaften des Photons ist eingefroren und die Information gespeichert. Erst wenn man das Magnetfeld zu einem späteren Zeitpunkt wieder einschaltet, wird das Photon mit seinen ursprünglichen Eigenschaften wieder freigesetzt – die Information kann ausgelesen werden. So sollten Speicherzeiten von rund 100 Nanosekunden möglich sein [5,6]. Ein besonders robustes Szenario für die Speicherung ergibt sich, wenn die Eisenkerne als dünne Schicht zwischen Röntgenlicht reflektierenden Schichten eingebettet sind [7] (siehe Abb. 2).
Kehrt man die Richtung des Magnetfelds beim Wiedereinschalten um, ist die Phase des freigesetzten Photons um einen halben Schwingungszyklus verschoben. Darüber hinaus können abrupte Magnetfeldrotationen die Schwingungsrichtung der Röntgenpulse im Zug der Kernvorwärtsstreuung an 57Fe-Targets manipulieren (siehe Abb. 3).
Aus diesen Erkenntnissen ergibt sich ein neuartiges Schema für logische Operationen, die sich mit einzelnen Röntgenphotonen steuern lassen. Die Polarisation der Photonen spielt hierbei die Rolle des Informationsträgers, der sogenannten Qubits. Magnetfeldrotationen erlauben es, logische Elemente mit einem und sogar mit zwei Röntgen-Qubits zu realisieren [8]. Durch die besonderen Eigenschaften der Röntgenphotonen bezüglich Fokussierbarkeit und Messbarkeit können solche logischen Elemente wichtig für zukünftige Anwendungen in der Informationswissenschaft werden. Daher ist es ein lohnendes Ziel, das einzigartige Potenzial dieses bisher weniger ausgenutzten Wellenlängenbereichs der elektromagnetischen Strahlung auszuschöpfen. Allerdings stellt die experimentelle Realisierung der gegenseitigen Kontrolle von Kernen und Röntgenphotonen noch eine erhebliche Herausforderung dar.
Literaturhinweise
Physical Review Letters 112, 082501 (2014)
Physical Review Letters 109, 197403 (2012)
Physical Review Letters 116, 197402 (2016)
Science 328, 1248-1251 (2010)
Scientific Reports 6, 25136 (2016)