Forschungsbericht 2016 - Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns
Wenn die biologische Zeit langsam läuft - welche Genveränderungen erhöhen die Lebenserwartung?
Altern ist plastisch
Warum wir altern ist eine Frage, die sich die Menschen wohl schon immer gestellt haben. Welche inneren und äußeren Faktoren tragen zum Altern bei und welche biologischen Prozesse sind vom Altern besonders betroffen? Wichtiger noch: Welche Prozesse definieren die Biologie der Jugend? Ist das Altern vorprogrammiert oder können wir den Verlauf beeinflussen?
Alterungsprozesse sind wie viele biologische Phänomene Gegenstand der Grundlagenforschung. In zahlreichen Organismen können einzelne Genmutationen die Lebenserwartung erhöhen und sogar mehr als verdoppeln [1]. Dies bedeutet, dass das Altern ein regulierter Prozess sein muss und dass bestimmte Gene direkten Einfluss auf den Verlauf des Alterns haben. In der Natur sind extreme Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen den Spezies zu beobachten, wobei die Lebenserwartung meist mit der Körpergröße korreliert. Hierbei aber gibt es bestimmte outlier. Mäuse zum Beispiel leben etwa drei Jahre, während Fledermäuse bei gleichem Köpergewicht etwa zwanzig Jahre alt werden. Auch Menschen sind ein solcher outlier. Insgesamt ist das Altern also ein plastischer Prozess: Zellen und Organe haben keine festgelegte Lebensdauer. Vielmehr unterliegt das Altern diversen Einflüssen und ist ein Prozess, der genetisch, durch die Umwelt und durch das Verhalten reguliert ist.
Das Altern ist ein wichtiger Risikofaktor für viele Krankheiten.
Jeder weiß aus eigener Erfahrung, dass das Altern mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für viele Krankheiten assoziiert ist. Besonders wichtig erscheinen hier Demenz, Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs und Diabetes. Viele alte Menschen leiden gleich an mehreren dieser Krankheiten. Diese Multimorbidität ist der Grund dafür, dass sich die menschliche Lebenserwartung nur um durchschnittlich etwa zwei bis drei Jahre verlängern würde, wenn Krebs heilbar wäre. Somit ist es besonders wichtig, das biologische Altern als solches zu verstehen, denn wenn das Altern verlangsamt wird, sinkt die Wahrscheinlichkeit für alle altersassoziierten Krankheiten.
Die Biologie des Alterns kann in einfachen Tieren untersucht werden
Da das Altern ein fundamentaler biologischer Prozess ist, können zugrundeliegende Mechanismen in wenig komplexen Organismen untersucht werden. So wurde in Hefezellen eine Klasse von Genen entdeckt, die auch während des Alterns von Säugetieren eine wichtige Rolle spielen [2]. Im einfachen Fadenwurm Caenorhabditis elegans wurden viele Gene identifiziert, die das Altern beeinflussen. So konnte gezeigt werden, dass einzelne Mutationen innerhalb des Insulinrezeptors die Lebensspanne vervielfachen können (Abb. 1; [1]).
Insulin ist im Wurm, genauso wie beim Menschen, ein Hormon, das den Zellen die Verfügbarkeit von Nahrung, also Energie, signalisiert. Dies deutet auf ein wichtiges Prinzip der Altersbiologie hin: Ist die Verfügbarkeit oder die Wahrnehmung von Energie aus der Nahrung gestört, werden Schutzprozesse ausgelöst, die das Altern verlangsamen. Dies findet sich auch in der Kalorienrestriktion bestätigt, nämlich derjenigen Intervention, die scheinbar universell die Lebenserwartung erhöht: Reduktion der Nahrungsaufnahme hat bisher in allen untersuchten Organismen zu erhöhter Lebenserwartung geführt. Beim Menschen kann dies natürlich nicht systematisch untersucht werden, doch scheint auch bei uns Kalorienrestriktion zu verbesserter Gesundheit zu führen [3].
Genetische Screens können neue Langlebigkeits-Gene identifizieren
Um die Regulation des Alterns zu untersuchen, können genetische Screens in C. elegans durchgeführt werden. Hierbei werden zunächst zufällige Mutationen in der DNA der Würmer herbeigeführt. Die Mehrheit dieser Mutationen hat keinerlei Effekt oder wirkt sich eher negativ aus. Da in C. elegans aber Hunderttausende individuelle Genome gleichzeitig untersucht werden können, lassen sich die seltenen Mutationen identifizieren, die die Lebenserwartung erhöhen. So konnte gezeigt werden, dass aktivierende Mutationen in einem Enzym des Zuckerstoffwechsels die Lebenserwartung steigern können [4]. Der Hexosamin-Syntheseweg beispielsweise nutzt Intermediate der Glykolyse, um komplexere Zuckermoleküle herzustellen, die nicht verstoffwechselt, sondern in Syntheseprozessen eingesetzt werden. Das Produkt des Hexosamin-Synthesewegs ist UDP-N-acetylglucosamin, und dessen Synthese kann durch aktivierende Mutationen im Schlüsselenzym oder durch Zugabe von N-acetylglucosamin gesteigert werden. Dies führt in C. elegans nicht nur zu erhöhter Lebenserwartung, sondern auch zu besonderem Schutz vor toxischen Proteinen. Diese toxischen Proteine spielen speziell bei Demenzkrankheiten eine wichtige Rolle, da bestimmte körpereigene Proteine mit der Zeit unlöslich werden und toxische Aggregate akkumulieren. Die Amyloidplaques in den Hirnen von Alzheimer-Patienten oder die Glutaminpeptide im Gehirn von Huntington-Patienten sind Beispiele dafür. In transgenen Würmern können heterolog exprimierte humane toxische Proteine untersucht werden, da diese wie beim Menschen auch im Wurm zu Lähmungen führen. Eine Aktivierung des Hexosamin-Synthesewegs schützt vor den Auswirkungen verschiedener Demenz-assoziierter toxischer Proteine.
Der Hexosamin-Syntheseweg ist ein essenzieller Prozess. Alle Zellen benötigen UDP-GlcNAc beispielsweise für die Synthese und Modifikation von Proteinen. Dies trifft auch auf die Zellen höherer Organismen zu und in diesem Zusammenhang spricht man von Konservierung, wenn ein biologischer Prozess im Laufe der Evolution zwischen entfernt verwandten Spezies erhalten bleibt. Der Hexosamin-Syntheseweg ist tatsächlich hoch konserviert und seine Enzyme sind beim Vergleich von Wurm und Mensch beinahe identisch. Schützt UDP-GlcNAc auch in menschlichen Zellen vor toxischen Proteinen und könnte dies im Zusammenhang mit Demenzkrankheiten von Bedeutung sein? Toxische Proteine konnten in Zellkultur untersucht werden und tatsächlich reduzierte eine GlcNAc-Gabe die Ansammlung von toxischen Glutamin Peptiden in kultivierten neuronalen Zellen.
Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass Erkenntnisse aus genetischen Screens mit C. elegans auf die Biologie des Menschen übertragbar sein könnten. Genetische Screens erlauben die systematische Befragung des gesamten Genoms nach altersrelevanten Genen. Dies führte zum Auffinden überraschender Kandidaten, so wie hier vorgestellt zur Identifikation aktivierender Mutationen. Besonders wichtig scheint hier, dass die Funktion einzelner Gene nicht mithilfe von KO-Mutationen, die ein Gen komplett ausschalten, untersucht werden muss. Vielmehr kann auf der Ebene der einzelnen Bausteine der Proteine, der Aminosäuren, schon untersucht werden, welche Veränderungen zur Langlebigkeit führen; diese können dann in Zellen höherer Tiere oder in Mäusen validiert werden.
Ausblick
Aus ethischen wie auch praktischen Gründen wird die menschliche Lebenserwartung nicht durch gezielte Mutation von bestimmten Genen erhöht werden können. Die Untersuchung von Langlebigkeits-Genen in Modellorganismen kann vielmehr diejenigen molekularen und genetischen Prozesse identifizieren, die in der biologischen Regulation des Alterns relevant sind. Mit diesem Wissen könnten dann Medikamente gegen altersassoziierte Krankheiten entwickelt werden.