Forschungsbericht 2016 - Max-Planck-Institut für Astrophysik
Die Vorhersage des Sunyaev-Zeldovich-Signals aus kosmologischen, hydrodynamischen Simulationen
Einleitung
Dreidimensionale, kosmologische und hydrodynamische Simulationen der Strukturen im Universum sind inzwischen präzise genug, um einen direkten Vergleich mit Beobachtungen herzustellen. Diese Simulationen schließen die Lücke zwischen der Schwerkraft-getriebenen Entwicklung der Dunklen Materie und der Entstehung von sichtbaren Strukturen wie Galaxien und Galaxienhaufen. Die Dunkle Materie dominiert – zusammen mit dem Einfluss der dunklen Energie – die Entwicklung großräumiger Strukturen und bildet das Grundgerüst, entlang dessen sichtbare Strukturen entstehen. Um das Erscheinungsbild von Galaxien und Galaxienhaufen zu verstehen, bedarf es aber noch weiterer physikalischer Prozesse. Moderne kosmologische hydrodynamische Simulationen umfassen nicht nur die Schwerkraft sondern auch viele andere relevante physikalische Prozesse. Sie tragen damit wesentlich dazu bei, unsere aktuellen Modelle des Universums präziser und aussagekräftiger zu machen.
Der kosmische Mikrowellen-Hintergrund
Beobachtungen der kosmischen Mikrowellen-Hintergrund-Strahlung (CMB) von Satellitenmissionen – wie WMAP und Planck – sowie durch eine Vielzahl von bodengestützten Experimenten – wie ACT (Atacama Cosmology Telescope) oder SPT (South Pole Telescope) – liefern derzeit die genauesten Messungen der Dichteschwankungen im frühen Universum. Darüber hinaus schränken sie die Werte der Parameter in unserem kosmologischen Modell ein – aber sie können noch einiges mehr. Sie tragen auch den Abdruck der kosmologischen Strukturen in sich, die seit 13,8 Milliarden Jahren wachsen – seit der Zeit der letzten Streuung von CMB-Photonen, als sich der primordiale Nebel lichtete und das Universum durchsichtig wurde. So wird insbesondere das Schwarzkörperspektrum des CMB durch Compton-Streuung der CMB-Photonen im heißen Gas in Galaxienhaufen (ICM) verzerrt. Dieser „Schatten“ des ICM kann in Daten bei verschiedenen Wellenlängen im Mikrowellenbereich nachgewiesen werden, ein Effekt, der nach einer wegweisenden Arbeit von Rashid Sunyaev (Direktor am Max-Planck-Institut für Astrophysik (MPA)) im Jahr 1972 als Sunyaev-Zeldovich (SZ) Effekt bekannt ist.
Daten bei unterschiedlichen Wellenlängen sind erforderlich, um das SZ-Signal vom CMB selbst und von verschiedenen anderen Mikrowellen-Strahlungsquellen am Himmel zu trennen. In den letzten Jahren wurde das SZ-Signal vom Planck-Satelliten gemessen und erregte weltweit die Aufmerksamkeit von Kosmologen. So schien diese Messung Werte der kosmologischen Parameter zu implizieren, die inkonsistent waren mit Messungen des CMB an der Oberfläche der letzten Streuung. Mit anderen Worten: Die aus dem frühen Universum abgeleiteten Parameter (vom CMB) standen im Widerspruch mit denen aus dem späten Universum (vom SZ-Effekt). Sollte dies tatsächlich zutreffen, so könnte es ein Hinweis auf zusätzliche Prozesse in unserem Universum sein, wie zum Beispiel die Verlangsamung der Strukturbildung durch massereiche Neutrinos.
Vorhersagen aus Simulationen
In der jetzt durchgeführten Studie untersuchten Wissenschaftler am MPA und an der Universitäts-Sternwarte München das SZ-Signal, das durch große, kosmologische, hydrodynamische Simulationen des Strukturwachstums im Universum vorhergesagt wird; diese Simulationen sind Teil des Magneticum-Pathfinder-Projekts. Zum ersten Mal umfassen derartige Simulationen des Universums ein Volumen groß genug, um eine gute statistische Darstellung der Gesamtstruktur zu haben, und enthalten gleichzeitig eine Vielzahl von physikalischen Prozessen in den Berechnungen, um Einzelheiten kleinerer Strukturen realistisch zu reproduzieren. Drei dieser Prozesse sind besonders wichtig für die Entwicklung des sichtbaren Universums: die Kondensation von Materie in Sterne; ihre weitere Entwicklung, wenn die umgebende Materie durch Sternwinde und Supernova-Explosionen aufgeheizt wird und das intergalaktische Medium (IGM) mit chemischen Elementen anreichert; sowie das Feedback von supermassereichen schwarzen Löchern, die enorme Mengen an Energie an das IGM abgeben.
Die Ergebnisse dieser Simulation bei unterschiedlichen Zeitschritten – die die Entwicklung der Strukturen von der Frühzeit des Universums bis heute abdecken – werden dann zu einer großen „Himmelskarte“ gestapelt, etwa 8x8 Grad (fast 20-mal größer als der Mond), die die Vorhersage des SZ-Aufdrucks auf den CMB darstellt [1]. Abbildung 1 zeigt diese Karte, inklusive eines vergrößerten Ausschnitts, der die unglaubliche Detailfülle dieser modernen Simulationen veranschaulicht.
Die Wahrscheinlichkeitsverteilungsfunktion (PDF) des SZ-Signals in dieser simulierten Himmelskarte zeigt einen deutlichen Ausläufer bei großen Werten, der von Galaxienhaufen stammt (Abb. 2). Aufgrund der begrenzten Empfindlichkeit und räumlichen Auflösung des Planck-Satelliten, kann nur ein kleiner Bruchteil dieses vorhergesagten Signals zurzeit beobachtet werden. Im Bereich, der Planck zugänglich ist, stimmen die vorhergesagten und beobachteten Signale bemerkenswert gut überein.
Interpretation der Ergebnisse
Ein einfaches analytisches Modell kann dazu beitragen, die Wahrscheinlichkeitsverteilungsfunktion des SZ-Effektes qualitativ zu verstehen. Um ein solches analytisches Modell zu entwickeln, brauchten die Wissenschaftler jedoch die genaue Zahl der erwarteten Galaxienhaufen mit einer bestimmten Masse. Auch hier erlaubt die hohe Präzision und das große kosmische Volumen, das durch die Simulation abgedeckt ist, den Forschern diese sogenannte „Massenfunktion“ für den betreffenden Bereich von Massen und kosmischer Zeit genau zu bestimmen [2].
Es stellt sich heraus, dass das analytische Modell für die Interpretation der beobachteten Massenfunktion sehr wichtig ist. Statt Galaxienhaufen zu zählen, kann man die Veränderung des SZ-Signals über den Himmel hinweg analysieren. Das bedeutet, dass die Forscher eine vollständige statistische Analyse der Schwankungen durchführten, statt nur die höchsten Spitzen in der SZ-Karte zu zählen. Die einfachste Statistik ist das sogenannte Leistungsspektrum, das zeigt, wie viel Struktur bei einer gegebenen Skala vorhanden ist (Abb. 3). Die Planck-Daten stimmen hervorragend sowohl mit der Simulation als auch dem analytischen Modell überein, die beide mit den aus den Planck-CMB-Daten berechneten kosmologischen Parametern berechnet wurden. Da es keine Diskrepanz zwischen dem vorhergesagten Signal und den Planck-SZ-Daten gibt, ist damit die Spannung zwischen dem frühen und dem späten Universum aufgelöst.
Wie diese Arbeit zeigt, haben moderne kosmologische hydrodynamische Simulationen eine Präzision erreicht, um detaillierte Vorhersagen für das Erscheinungsbild des sichtbaren Universums zu treffen. Sie tragen wesentlich dazu bei, unsere aktuellen Modelle des Universums präziser und aussagekräftiger zu machen und erweisen sich als hilfreich dabei, bessere analytische Modelle zu kalibrieren. Darüber hinaus werden sie wesentlich zur korrekten Interpretation von Beobachtungsdaten durch aktuelle und zukünftige Experimente beitragen.