Forschungsbericht 2016
Der schlafende Wurm
Wie und warum schlafen wir?
Manchmal erscheint Schlaf wie Zeitverschwendung. Wir verbringen etwa ein Drittel unseres Lebens mit Schlafen. Welche wichtigen Dinge könnten wir alle erledigen, wenn wir nicht schlafen würden? Allerdings können wir auf Schlaf nicht verzichten! Schlafprobleme, insbesondere Ein- und Durchschlafprobleme, sind in unserer Gesellschaft weit verbreitet und die davon betroffenen Mitmenschen leiden unter den Folgen von schlechtem oder zu wenig Schlaf: Sie sind müde, unkonzentriert und wenig produktiv. Das schlafende Drittel unseres Lebens ist also gut investiert. Aber warum braucht unser Körpers Schlaf? Warum können wir uns nicht erholen, indem wir einfach nur wach im Bett liegen und nichts tun? Irgendetwas scheint im Schlaf regeneriert zu werden, aber was, ist nach wie vor ein Rätsel.
Nicht nur wir Menschen brauchen Schlaf, sondern auch Tiere. Schlaf wurde in allen darauf gründlich untersuchten Tieren nachgewiesen, die ein Nervensystem haben. Somit schlafen nicht nur Affen, Hunde und Vögel, sondern auch Schnecken, Fliegen und vermutlich sogar Quallen. Weil Schlaf im Tierreich so weit verbreitet ist geht man davon aus, dass er schon vor sehr langer Zeit entstand - vermutlich bereits nach oder mit der Entstehung von Nervensystemen. Möglicherweise reichen die Wurzeln des Schlafes aber noch weiter zurück.
Man geht davon aus, dass der Schlaf ähnliche Funktionen in verschiedenen Tierarten erfüllt. Daher sollte es möglich sein, durch das Studium von Schlaf in einfachen Modellorganismen bereits Grundlegendes über die Regulation und Funktion des Schlafes zu lernen, das auch für den Schlaf des Menschen von Bedeutung sein könnte. Modellsysteme, die aktuell für die Schlafforschung verwendet werden, reichen von Mäusen über Fische und Fliegen bis hin zu Würmern.
Das Gehirn kontrolliert den Schlaf
Zentral für die Kontrolle des Schlafes in Säugetieren sind spezialisierte Nervenzellen im Gehirn, sogenannte Schlaf-aktive, Schlaf-induzierende Neurone. Diese Nervenzellen werden beim Übergang von der Wach- in die Schlafphase aktiv und induzieren den Schlaf direkt durch das Ausschütten von inhibitorischen Neurotransmittern, nämlich Gammaaminobuttersäure (GABA) und Neuropeptiden. Dies führt zu einer Inhibierung von Wachsein-induzierenden Neuronen [1]. Schlaf ist somit ein aktiver Prozess, der vom Gehirn gesteuert wird und nicht eine passive Folge von Erschöpfung. Mit anderen Worten: Das Gehirn wird aktiv ausgeschaltet, damit es sich erholen kann. Über die Kontrolle von Schlaf-aktiven Nervenzellen ist nur wenig bekannt und man weiß bisher nicht, was zu einer Aktivierung von Schlaf-Neuronen zu Beginn des Schlafs führt.
Der schlafende Wurm
Die Arbeitsgruppe um Henrik Bringmann möchte verstehen, wie Schlaf reguliert wird und wie der Schlaf seine regenerierende Wirkung entfaltet. Versuchsobjekt ist der Fadenwurm Caenorhabditis elegans.
C. elegans ist ein in der modernen Biologie etabliertes Modelltier für die Erforschung von grundlegenden molekularen Mechanismen. Die Arbeit mit C. elegans ist in vielerlei Hinsicht einfacher als die Arbeit mit Säugetiermodellen: Der Wurm hat unter guten Wachstumsbedingungen eine kurze Generationszeit von nur knapp drei Tagen und er lässt sich in großen Mengen züchten - beides erlaubt umfassende genetische Untersuchungen. Der Fadenwurm ist transparent, wodurch sich seine Gehirnaktivität und andere physiologische Prozesse nicht-invasiv beobachten lassen. Nicht zuletzt hat der Wurm ein sehr kleines Gehirn, das aus nur rund 300 Nervenzellen besteht und deren Verknüpfung untereinander bekannt ist. Wie andere Tiere schläft auch C. elegans. Juvenile Würmer schlafen mehr als adulte, und kranke Tiere mehr als gesunde. Die Arbeitsgruppe hat ein mikrofluidisches Verfahren entwickelt, mit dem die Würmer in winzigen Kammern gehalten und ihr Schlaf-Verhalten direkt untersucht werden kann (Abb. 1; [2]).
Ein einziges Neuron reicht zum Einschlafen
Am Institut wurden genetische Screens durchgeführt, um Schlafmutanten zu identifizieren. Eine der daraufhin gefundenen Mutanten zeigte keinerlei messbaren Schlaf mehr. Dies konnte, so zeigte die nachfolgende Untersuchung, auf die Deletion von APTF-1, eines Transkriptionsfaktors aus der AP2-Familie, zurückgeführt werden. Dieses Gen ist hochkonserviert und Mutationen in AP2 führen auch beim Menschen zu Schlafstörungen. Durch die Analyse von AP2 konnte ein einziges Neuron determiniert werden, das allein für den Wurm zum Schlafen notwendig ist: Ist nur dieses eine Neuron außer Funktion, wird der betreffende Wurm nie wieder schlafen können. Das Neuron, RIS genannt (Abb. 2), enthält inhibitorische Neurotransmitter, und zwar, ähnlich wie bei Säugetieren, GABA und Neuropeptide.
Durch ein besonderes bildgebendes Verfahren, dem sogenannten funktionalen Imaging, konnte im Wurm-Gehirn gezeigt werden, dass das RIS-Neuron immer dann physiologisch aktiv wird, sobald ein Übergang vom Wach- zum Schlafzustand stattfindet (Abb. 3).
Durch optogenetische Verfahren konnte der molekulare Mechanismus der Schlafinduktion aufgeklärt werden
Eine artifizielle, optogenetisch erzeugte Aktivierung von RIS durch einen lichtgesteuerten Ionenkanal kann zu jedem beliebigen Zeitpunkt ein waches Tier zum Schlafen bringen [3]. Die Aktivierung des Neurons, wie bereits beschrieben, bewirkt, dass die inhibitorischen Neurotransmitter abgegeben werden mit der Folge, dass die Aktivität des Nervensystems global gedämpft wird. Der kritische Neurotransmitter, so zeigte sich, ist ein Peptid mit dem Namen FLP-11 (Abb. 4; [4]). Das Schlaf-System von C. elegans hat somit eine erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Schlaf-System der Säugetiere: Beide Systeme bestehen aus Schlaf-aktiven Schlaf-induzierenden Nervenzellen und nutzen GABA und Peptide zur Schlafeinleitung. Das RIS-System stellt dabei die ultimative Vereinfachung eines Schlaf-Systems dar, da es im Kern aus nur einer einzigen Schlaf-Nervenzelle besteht.
Die Erforschung des Schlafneurons RIS in C. elegans stellt eine große Chance dar, die Regulation von Schlaf zu verstehen und mit überschaubarem Aufwand die Kontrolle des Schlafes in C. elegans aufzuklären. Wir wissen nur sehr wenig über die Funktionen des Schlafes. Sobald wir aber verstehen, wie Schlaf kontrolliert wird, können wir dieses Wissen nutzen, um Schlaf zu manipulieren oder die Menge des Schlafes und seine Qualität zu verändern und die Mechanismen, die dahinter stehen, aufzudecken.
C. elegans ist zwar ein hervorragendes System, um die Grundlagen des Schlafes zu eruieren. Doch der Schlaf in Säugetieren inklusive des Menschen ist deutlich komplexer als der Schlaf des Fadenwurmes. Wie können wir diese zusätzlichen Komplexitätsebenen studieren? Da der Schlaf der Tiere vermutlich einen gemeinsamen evolutionären Ursprung hat, sollte es möglich sein, Ergebnisse aus der Schlafforschung beim Wurm auch auf Säugetiermodelle zu übertragen. Ein etabliertes System hierfür ist die Maus, da sie molekularbiologisch zugänglich ist und ihr Schlafverhalten mittels Tests und physiologischen Untersuchungen beobachtet und gemessen werden kann. In vergleichenden Experimenten könnten beispielsweise homologe Gene der Maus ausgeschaltet werden, für die gezeigt wurde, dass sie den Schlaf in C. elegans kontrollieren. Die Ergebnisse könnten einen direkten Weg weisen, Schlafkrankheiten beim Menschen besser zu verstehen und zu behandeln.