Forschungsbericht 2016 - Max-Planck-Institut für Festkörperforschung
Lithium ultraschnell zwischen zwei Graphenlagen
Um den weltweit steigenden Energiebedarf aus regenerativen, aber nur zeitweise verfügbaren Quellen sinnvoll decken zu können, müssen effiziente Energiespeichertechnologien entwickelt und implementiert werden. Wiederaufladbaren Batterien kommt dabei eine wachsende Bedeutung zu [1]. Die größten derzeit projektierten Anlagen sollen eine ganze Stadt mit 100 Megawatt für bis zu vier Stunden versorgen können [2, 3]; das entspricht etwa einem Zehntel der Nettoleistung eines durchschnittlichen Kernkraftwerks. Dabei findet heute überwiegend die zuerst von Sony 1991 kommerzialisierte Lithium-Ionen-Technologie Anwendung.
Die Lithium-Ionen-Batterie
Wie alle Batterien besteht eine Lithium-Ionen-Batterie aus zwei Elektroden, die durch einen Ionen-leitenden Elektrolyten miteinander verbunden sind (siehe Abb. 1). Allerdings enthalten die Elektroden hier hauptsächlich sogenannte Einlagerungsverbindungen, in denen sich Elektronen und Lithium-Ionen gleichzeitig bewegen können. Ein und dasselbe Ion (Li+) kann reversibel sowohl in die Kathode (Pluspol beim Entladen) als auch in die Anode (Minuspol beim Entladen) eingelagert und wieder entnommen werden. Beim Entladen bewegen sich Li+-Ionen und Elektronen von der Anode zur Kathode – erstere durch den Elektrolyten und letztere durch einen externen Stromkreis (beispielsweise eine Stadt, ein Auto oder ein Smartphone). Für jeweils ein Elektron wird dabei ein Li+-Ion in die Kathode, typischerweise ein Oxid der Übergangsmetalle mit geschichteter Kristallstruktur wie Li1-xCoO2, eingelagert. Mit steigendem Lithiumgehalt der Kathode sinkt die Spannung zwischen beiden Elektroden. Durch Anlegen einer Ladespannung in umgekehrter Richtung lässt sich die Batterie wieder aufladen. In diesem Fall wird pro Elektron ein Li+-Ion in die Anode eingelagert, die typischerweise aus Graphit besteht. Das dabei entstehende LixC6 bezeichnet man auch als Interkalationsverbindung, da Li+-Ionen lediglich zwischen die einzelnen Kohlenstoffschichten von Graphit eingeschoben (interkaliert) werden, ohne deren Struktur wesentlich zu verändern.
Die maximale Geschwindigkeit, mit der ein (Ent-)Ladevorgang erfolgen kann, wird unter anderem durch die begrenzte Leitfähigkeit der Elektroden beschränkt. Materialien, die bei Raumtemperatur gleichzeitig über eine hohe Leitfähigkeit sowohl für Elektronen als auch für Ionen verfügen, sind schwer zu finden. Eine mögliche Lösung besteht in der räumlichen Trennung der Diffusionspfade für Elektronen und Ionen in optimierten Mehrphasensystemen [4]. Alternativen bieten aber auch nanotechnologische Ansätze, die zunehmend zur Optimierung elektrochemischer Energiespeicher eingesetzt werden [5]. So ist es seit dem Jahr 2004 möglich, einzelne Kohlenstoffschichten (Graphen) aus Graphit zu extrahieren [6]. Dieses Nanomaterial ist wegen seiner guten Elektronen-Leitfähigkeit und seiner möglicherweise erhöhten spezifischen Kapazität für Lithium als Beigabe in Elektroden interessant [7]. In einer Doppellage aus nur zwei Graphen-Schichten zeigte sich nun erstmals eine viel größere Lithium-Beweglichkeit als in Graphit – höher sogar als diejenige von Kochsalz in Wasser [8]. Diese im Folgenden weiter beschriebene Forschungsarbeit führte die Gruppe von Jurgen H. Smet am MPI-FKF in Kooperation mit der Abteilung von Joachim Maier durch.
Nur zwei Lagen Kohlenstoff – die dünnste Elektrode
Um Doppellagen-Graphen hinsichtlich seines Verhaltens als Einlagerungselektrode zu untersuchen, wird eine der Lithium-Ionen-Batterie ähnliche Probengeometrie realisiert, wie in Abbildung 2(a) dargestellt. Eine Graphen-Doppellage wird aus Graphit extrahiert und auf einem SiO2-terminierten Siliziumwafer aufgebracht. Ein Elektrolyt verbindet diese mit einer Gegenelektrode aus metallischem Lithium, die gleichzeitig als Lithium-Quelle beziehungsweise -Senke und Referenzelektrode dient. Die Besonderheit dieser galvanischen Zelle ist, dass die Doppellage nur an einem Ende mit dem Elektrolyten in Berührung steht. Lithium kann nur an dieser Stelle in die Doppellage eintreten, muss aber dann an ihr entlang diffundieren, um Konzentrationsunterschiede auszugleichen. Dabei füllt sich auch der vom Elektrolyten unbedeckte Teil nach und nach mit Lithium. Der Vorgang lässt sich durch kontrolliertes Einstellen der Spannung UG zwischen beiden Elektroden steuern.
Wie in Abbildung 2(a) gezeigt, verfügt die Probe über eine Reihe zusätzlicher Titankontakte. Diese ermöglichen die Messung des elektronischen Transports, wie sie bei der Untersuchung von Nanostrukturen und niederdimensionalen Systemen üblich, aber bisher in der Kombination mit Elektrochemie nicht etabliert ist. So kann entlang der Doppellage ein schwacher elektrischer Strom I aufgeprägt werden, der bei angelegtem Magnetfeld der Stärke B eine sogenannte Hall-Spannung Uxy erzeugt. Diese fällt quer über der Probe ab, ist direkt proportional zu B und steht ferner in direktem Zusammenhang mit der lokalen Anzahl von Elektronen. Letztere ändert sich durch die Interkalation von Li+-Ionen, was zu einer messbaren Änderung der Hall-Spannung führt, wie in Abbildung 2(b) oben dargestellt ist. Daraus lässt sich die lokale Konzentration interkalierten Lithiums nLi bestimmen. In Abbildung 2(b) unten ist gezeigt, wie sich nLi während der wiederholten Interkalation und Deinterkalation ändert. Der Prozess erweist sich als hochgradig reversibel. Da dies gemäß Abbildung 2(a) weit außerhalb des Elektrolyten gemessen ist, muss Lithium in der Tat entlang der Doppellage diffundiert sein.
Wo genau bewegen sich die Li+-Ionen?
Interkalation im strengen Sinn bedeutet, dass sich Lithium zwischen den Kohlenstoffschichten befindet. Allerdings könnten sich Li+-Ionen prinzipiell auch auf oder unter Doppellagen-Graphen bewegen. Im vorliegenden Fall lässt sich dies jedoch ausschließen. Hinweise dazu liefern Untersuchungen von Proben nach erfolgreicher Interkalation. Wie in Abbildung 3 gezeigt, weisen diese systematische Anlagerungen aus Lithium-haltigem Material an den Rändern von Doppellagen-Graphen auf. Grund ist die hohe Reaktivität des interkalierten Lithiums, für das eine Graphenschicht zwar undurchlässig ist, an dessen Rändern es aber mit Spezies der Restatmosphäre (alle Experimente finden unter Hochvakuum statt) reagieren kann. Wie in Abbildung 3(b) gezeigt, lässt sich der Lithiumgehalt mittels Flugzeit-Massenspektrometrie nachweisen (Vergleich mit Abb. 3(a)). Anlagerungen an Rändern von zuvor in die Doppellage geätzten Löchern belegt, dass sich Li+-Ionen in der Tat bis in die Mitte der Doppellage bewegen. Das abrupte Enden solcher Anlagerungen am natürlichen Übergang zu einer Einzellage in Abbildung 3(c) schließt aus, dass sich Li+-Ionen auch auf oder unter Graphen bewegen. Ferner ließ sich keine Änderung der Hall-Spannung jenseits eines solchen Übergangs beobachten. Das bedeutet, dass Li+-Ionen ausschließlich zwischen Kohlenstoffschichten diffundieren.
Wie schnell bewegen sich die Li+-Ionen?
Die Kinetik der Diffusion interkalierter Li+-Ionen lässt sich gemäß der Fick’schen Diffusionsgesetze beschreiben. Demnach verursacht ein Gradient in der Lithiumkonzentration nLi die Migration der Li+-Ionen, bis sich deren räumlich gleichmäßige Verteilung in Doppellagen-Graphen einstellt. Der bestimmende Parameter ist der sogenannte chemische Diffusionskoeffizient Dδ, der umso größer ist, je beweglicher die Li+-Ionen sind. Wenn man ihre Konzentration nLi während der Interkalation gleichzeitig an verschiedenen Positionen entlang einer Doppellage misst, so kann man ihre Migration quasi direkt nachvollziehen. Dazu eignet sich das synchronisierte Aufzeichnen der Hall-Spannung Uxy,i an vier Positionen i einer Probe wie in Abbildung 2(a) schematisch gezeigt. In gleicher Farbe zeigen die durchgezogenen Linien in Abbildung 4(a) die entsprechende Messung während eines Interkalationsvorgangs (benachbarte Positionen liegen hier 20 Mikrometer auseinander). Wie intuitiv zu erwarten ist, steigt die Lithiumkonzentration (nLi) zuerst nahe des Elektrolyten an, gefolgt von den drei anderen Positionen in geordneter Reihenfolge. Dieses Szenario lässt sich numerisch simulieren, wobei die Lithiumkonzentration nahe des Elektrolyten als zeitabhängige Randbedingung in die Berechnung einfließt. Der gemessene Konzentrationsanstieg an den weiter entfernten Positionen muss sich dann mittels des richtigen chemischen Diffusionskoeffizienten Dδ direkt reproduzieren lassen. Wie in Abbildung 4(a) gezeigt, liefert Dδ = 4·10-5 Quadratzentimeter pro Sekunde eine zufriedenstellende Übereinstimmung mit den Messdaten. Bei wiederholter Interkalation der gleichen Probe steigt Dδ sogar bis auf 7·10-5 Quadratzentimeter pro Sekunde. Beide Werte übertreffen alle publizierten Messungen von Lithium-Diffusion in Graphit (Abb. 4(b)). Lithium bewegt sich zudem schneller in Doppellagen-Graphen als Kochsalz in Wasser mit 1,6·10-5 Quadratzentimeter pro Sekunde [9].
Ausblick
Der hier verfolgte experimentelle Ansatz lässt sich unmittelbar auf andere 2D-Materialien sowie Dünnschichtsysteme übertragen. Über Elektronentransport-Methoden hinaus können dabei auch andere Techniken zum Zug kommen, die bei vollständiger Bedeckung der zu untersuchenden Probe durch den Elektrolyten typischerweise nicht anwendbar sind. Dazu zählen verschiedene Lokale-Sonden-Methoden und Oberflächenanalyseverfahren. Im Zusammenhang mit elektrochemischen Phänomenen auch jenseits der Interkalation öffnet sich damit ein weites Feld für zukünftige Forschungsarbeiten. Von diesen profitieren können aber auch anwendungsnahe Bereiche, die, wie im Fall der diskutierten Energiespeicher, zunehmend auf Nanotechnologien oder Nanomaterialien setzen, jedoch nur bedingt über geeignete Charakterisierungsmethoden verfügen. Das mikroskopische Verständnis – wie über die ultraschnelle Diffusion von Lithium-Ionen in Doppellagen-Graphen – kann jedoch Schlüssel sein, um geeignete Lösungen für zukünftige Technologien zu entwickeln.