Forschungsbericht 2016 - Max-Planck-Institut für Biogeochemie
Die Qual der Wahl: Was machen Pflanzen, wenn Rohstoffe knapp werden?
Pflanzen als Kleinunternehmer einer globalen Zuckerfabrik
Der globale Pflanzenbestand setzt jährlich enorme Mengen an Ressourcen um. Pflanzen binden durch Fotosynthese jedes Jahr etwa 123 Petagramm Kohlenstoff aus der Atmosphäre [1]. Diese umgerechnet 123 Milliarden Tonnen entsprechen einem mit Kohle beladenen Güterzug, der 375-mal die Erde umspannt! Auch wenn der Großteil dieses Kohlenstoffs früher oder später durch Zellatmung wieder in die Atmosphäre abgegeben wird, stellt die durch Fotosynthese gebildete Biomasse die Nahrungsgrundlage für alle heterotrophen (nicht fotosynthetischen) Lebensformen wie Menschen, Tiere, Mikroorganismen und Pilze dar. In der Fotosynthese wird der Kohlenstoff zunächst zusammen mit Wasserstoff und Sauerstoff zu kurzen Molekülen mit sechs Kohlenstoffatomen, dem Traubenzucker, zusammengefasst, der als energiereicher Grundbaustein für alle anderen organischen Substanzen dient (siehe Abb. 1) [2].
Die meisten Pflanzen sind sessile (festgewachsene) Organismen und können daher unwirtlichen Situationen wie Trockenheit oder Insektenbefall nicht durch Abwanderung entkommen. Sie müssen den zur Verfügung stehenden Zucker effizient und situationsgerecht verwenden, ähnlich einem Kleinunternehmen, das sich an Bedrohungen durch neue Marktsituationen mit gezielten Maßnahmen wie Investitionen anpassen muss.
Der Kohlenstoffhaushalt: eine Ressourcenbilanz der Pflanzen
Anders als bei einem Unternehmen sind die Entscheidungsmechanismen von Pflanzen in der Verwaltung ihrer Energie, Rohstoffe und Speicherstoffe oft nicht eindeutig. Wie reagieren Pflanzen auf konkrete Umwelteinflüsse durch Verteilung von Ressourcen? Wissenschaftlich Theorien gehen davon aus, dass Pflanzen unter Trockenstress mehr Ressourcen in ihr Wurzelwachstum stecken, um damit ein größeres Bodenvolumen auf der Suche nach Wasser erschließen zu können [3]. Oder sie verteidigen sich gegen Angriffe von Fressfeinden, indem sie Substanzen herstellen, die sie entweder unattraktiv oder sogar giftig machen. Wie dabei knappe Ressourcen verteilt werden, bezeichnet man als Allokation.
Trotz ihrer offensichtlichen Schlüsselfunktion in der Reaktion auf widrige Umweltbedingungen sind die bisherigen Erkenntnisse zur Allokation ungenügend. Dies liegt vor allem daran, dass viele der Prozesse und Funktionen, die auf Kohlenstoff als Energie- oder Rohstoffquelle angewiesen sind, sich nicht oder nur schwer experimentell erfassen lassen, etwa wie die zum Wurzelwachstum notwendige Zellatmung im Wurzelbereich oder die Freisetzung flüchtiger Substanzen. Das hat zur Folge, dass sich viele Untersuchungen auf leicht erfassbare, Kohlenstoff-verbrauchende Einzelprozesse wie das Wachstum von struktureller Biomasse konzentrieren und somit nur ein Teilbild der Allokation vermitteln können [4]. Mit einem solchen Teilbild lassen sich Pflanzen aber weder als gesamter Organismus noch in ihrem Zusammenspiel mit der Umwelt verstehen. Dies entspräche in der Analogie dem Versuch, die Finanzbilanz eines Unternehmens nur anhand der bestehenden Produktionsanlagen bewerten zu wollen, ohne dabei Einnahmen, Investitionen und Einlagen zu berücksichtigen.
Pflanzen unter Ressourcenlimitierung: Investitionsmuster werden deutlich
Die Fähigkeit eines Unternehmers, die richtigen Entscheidungen zu treffen, offenbart sich besonders in finanziell schwierigen Situationen. Die Forschungsgruppe Plant Allocation am Max-Planck-Institut für Biogeochemie wendet diese Logik auf Pflanzen an, um Muster, Prioritäten und Strategien der Kohlenstoffallokation zu erkennen. Mit einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Anlage (siehe Abb. 2) lassen sich der Kohlenstoffhaushalt der Pflanzen kontrollieren und ihre Ressourcen künstlich limitieren. Erfasst man all ihre Reaktionen, so wird die gesamte Kohlenstoffbilanz ermittelt, einschließlich schwer messbarer Verbrauchsprozesse wie die Wurzelatmung, die Abgabe flüchtiger Substanzen, das Erzeugen von Verteidigungsstoffen sowie die Speicherung des Kohlenstoffs. Diese Daten liefern dann umfassende Einblicke in die Ressourcenbilanz der Pflanze und deuten auf Entscheidungsmuster hin.
Wachstum oder Marketing, eine alte, aber immer noch offene Frage
Unternehmen schützen sich in einem heftig umkämpften Markt, indem sie beispielsweise ihre Produktion steigern oder aggressives Marketing betreiben. Auch Pflanzen wenden diverse Strategien zur Abwehr von Fressfeinden an. Sie steigern entweder ihr Wachstum oder bilden kostspielige chemische Abwehrsubstanzen. Aufgrund begrenzter Ressourcen muss eine Pflanze aber die Bildung von Abwehrstoffen gegenüber anderen Funktionen wie das Pflanzenwachstum abwägen. Eine kleine Pflanze mit wenigen Blättern muss diese vor Fressfeinden gut schützen, eine große Pflanze kann hingegen einige „billige“ Blätter opfern, ohne sich ernsthaft zu gefährden; so zumindest die Theorie [5].
Wie wichtig die Bildung von Abwehrstoffen für die Ressourcenbilanz der Pflanzen ist, wird dann am deutlichsten, wenn die Versorgung mit dem essentiellen Rohstoff Kohlenstoff knapp wird. Am Beispiel der Pfefferminzpflanzen zeigte sich, dass Abwehrstoffe zu produzieren hier einen sehr hohen Stellenwert hat, sogar höher als das Wachstum beizubehalten. Leidet die Pfefferminze unter starkem Kohlenstoffmangel, wird der Anteil des aktuell gebundenen Kohlenstoffs zur Bildung von Monoterpenen, dem Hauptbestandteil ätherischer Öle, beibehalten. Der Anteil für andere Kohlenstoff-verbrauchende Prozesse, wie das Pflanzenwachstum oder die Produktion von Speicherstoffen wird jedoch reduziert (siehe Abb. 3, links) [6]. Interessanterweise wurde eine ähnliche Umverteilung der Ressourcen unter Kohlenstofflimitierung auch im Winterweizen beobachtet. Den aktuell gebundenen Kohlenstoff investierte diese Pflanze jedoch nicht in die Bildung von Abwehrstoffen, sondern in die Produktion flüchtiger Substanzen (siehe Abb. 3, rechts) [7]. Die Emission dieser flüchtigen Stoffe soll vermutlich physiologischen Stress der Pflanze mindern.
Von vielen, oft komplexen Substanzen, die Pflanzen aufwändig herstellen und gasförmig ausscheiden, sind Funktion und Rolle für die Pflanze noch weitgehend unbekannt. Man nimmt an, dass einige davon wie der Kohlenwasserstoff Isopren oxidativen Stress mindern [8]. Oxidativer Stress verändert Lipide, Proteine, Amino- und Nukleinsäuren und kann dadurch zu Störungen physiologischer Prozesse führen. Unabhängig von ihrer genauen Funktion ist zudem völlig ungewiss, wie die Herstellung und Emission flüchtiger Substanzen von der Kohlenstoffversorgung der Pflanze abhängen. Dieser Frage geht die Forschungsgruppe Plant Allocation zurzeit unter Mitwirkung des Max-Planck-Instituts für Chemische Ökologie in Jena nach. Erste Ergebnisse zeigen, dass auch Fichten unter experimentellem Kohlenstoffmangel die Produktion und Emission flüchtiger Substanzen wie Mono- und Sequiterpene hochfahren. Wahrscheinlich tun sie dies ebenfalls, um oxidativen Stress zu reduzieren. Mit steigender Zufuhr von Kohlenstoff steigt dann die Ausgasung von Methanol und Aceton an [7], die möglicherweise als Abfallprodukte des gesteigerten Stoffwechsels anfallen.
Pflanzen im Handel mit Partnern: wer bestimmt den Preis?
Der Handel mit anderen Unternehmen erlaubt es, die für die eigene Produktion notwendigen Ressourcen zu erwerben. Die Handelsbedingungen wie etwa die Preise bestimmt oft der stärkere Partner. Pflanzen handeln unter anderem mit Mykorrhizen, fadenförmigen Bodenpilzen, welche die Pflanzen bei der Aufnahme von Nährstoffen, insbesondere Phosphor, unterstützen und die die Pflanzen im Gegenzug mit energiereichen Zuckern versorgen. Doch wer bestimmt die Bedingungen in diesem symbiontischen Handel, die Pflanze oder der Pilz? Um dies zu untersuchen, wurde experimentell eine Situation geschaffen, in der es der Pflanze an Kohlenstoff mangelt, und sie gleichzeitig wichtige Nährstoffe aber nur durch den Handel mit dem Pilz beziehen kann: Reduziert man die Kohlenstoffbilanz des Spitzwegerichs, so wächst er geringer und verringert außerdem die Abgabe von Zucker an Mykorrhizen um rund 60 Prozent; er erhält jedoch im Gegenzug genauso viel Stickstoff wie unter normalen Bedingungen (Abb. 4) [9]. Es scheint also, dass die Pflanze in diesem Handel der stärkere Partner ist, sie bestimmt den Preis. Der ausgeklügelte Versuchsaufbau erlaubte aber noch weitergehende Erkenntnisse: Unter Kohlenstoff-Mangel baut die Pflanze den neu fixierten Kohlenstoff wie auch den preisreduzierten Stickstoff des Pilzes verstärkt in den Spross und die Blätter, also die oberirdischen Pflanzenteile, ein. Der Gesamtorganismus investiert damit gezielt in die fotosynthetisch aktiven Organe, die den Kohlenstoffmangel ausgleichen sollen.
Nächste Schritte: von Bilanzen zu langfristig festgelegten Strategien der Ressourcenverteilung
Die bisherigen Untersuchungen der Forschungsgruppe Plant Allocation ließen wichtige Muster der Ressourcenverteilung von Pflanzen erkennen: eine Art Zwischenbilanz der Kohlenstoffverteilung. Bilanzen bieten zwar eine Orientierung über zeitlich begrenzte Vermögens-, Finanz- und Ertragslagen, sagen jedoch wenig über die langfristig angelegt Planung, also die zugrunde liegende Unternehmensstrategie aus. Bei Lebewesen sind diese Pläne genetisch kodiert, sie werden durch gezielte Regulation von Genexpression und Enzymaktivität als Reaktion auf die aktuellen Umweltsituationen optimal umgesetzt. Bisherige Untersuchungen zur Analyse komplexer Pflanzenstrategien sind auf Zell- oder Gewebeebene beschränkt [10], Kenntnisse auf organismischer Ebene fehlen bislang. Aktuelle und zukünftige Projekte der Forschungsgruppe Plant Allocation untersuchen, wie Ressourcenänderungen genetisch verfügbare Reaktionsmuster und die Aktivierung von Proteinen beeinflussen, also wie der Gesamtorganismus einschließlich Symbionten und Schädlingen die Investitionsstrategie der Pflanzen umsetzt.