Forschungsbericht 2010 - Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung
Der Schlaf und das Erwachen von Pflanzensamen
The sleeping and waking of plant seeds
Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung, Köln
Samen brauchen ihren Schlaf zum Überleben
Ein lebensfähiger Same ist in der Lage, zu keimen und sich in eine ausgewachsene Pflanze zu entwickeln. Dennoch ist es nicht immer von Vorteil, jederzeit und sofort zu keimen, denn die sich entwickelnde Pflanze könnte durch abiotischen Stress wie Winterkälte oder Sommerdürre getötet werden, wohingegen schlafende Samen an solche Faktoren bestens angepasst sind. Deswegen haben Pflanzen einen Mechanismus entwickelt, um saisonal harsche Bedingungen zu umgehen. Dieser schlafende Zustand wird Samenruhe (Dormanz) genannt und verhindert frühzeitig die Keimung während ungünstiger Umweltbedingungen. Bei umweltbedingt besseren Konditionen wird der Same dann geweckt und keimt. Samen sind normalerweise ruhend, wenn sie von der Mutterpflanze abgeworfen werden, und verlieren diesen Zustand mit der Zeit oder durch spezifische Umwelteinflüsse. Samen, die geringe Dormanz aufweisen und die nicht idealen Umweltbedingungen ausgesetzt sind, können wiederum erneut Dormanz induzieren, die so genannte sekundäre Dormanz. Samen können also zwischen schlafendem und wachem Zustand hin und her wechseln.
Die meisten unserer Kulturpflanzensamen haben nur einen leichten Schlaf
Dormanz war bisher eine Eigenschaft, gegen die während der Domestikation heutiger Kulturpflanzen selektiert wurde. Dies geschah schon sehr früh in der Kulturgeschichte der Landwirtschaft, da die ersten Farmer gern Samen zur Aussaat benutzten, die zügig keimten. Als Folge dessen besitzen heutige Kulturpflanzensamen einen eher kurzen Schlaf, der eine einheitliche und schnelle Keimung auf dem Feld erlaubt. Dennoch hat gerade dies auch negative Auswirkungen, wie beispielsweise den Auswuchs von sich noch an der Frucht der Mutterpflanze befindenden Samen, was bei Gerste, Weizen oder Raps immer wieder vorkommt (Abb. 1). Dies geschieht immer dann, wenn die Feuchtigkeit vor der Ernte sehr hoch ist, zum Beispiel nach starkem Sommerregen, und führt unweigerlich zu einer minderen Qualität der Ernte. Im Gegensatz dazu können viele Wildkräuter in tiefe Dormanz verfallen und sind in der Lage, so für Jahre zu verweilen, ehe sie zur Keimung angeregt werden. Deshalb ist eine effektive Bekämpfung von Wildkrautsamen im Boden nebst der Beseitigung des sich entwickelnden „Unkrauts“ auf unseren Äckern bis heute unerlässlich.
Ein Weckruf für Samen
Die benötigten Gegebenheiten für das Aufwecken von Samen können von Pflanzenart zu Pflanzenart unterschiedlich sein. Arabidopsis thaliana, eine auf dieses Merkmal sehr gut untersuchte Pflanze, benötigt sanfte Kälte über wenige Tage oder Trockenlagerung für eine längere Periode, um besser zu keimen. Dies sind typische Erfordernisse für das Keimen vieler Pflanzenarten, die wie A. thaliana aus gemäßigten Zonen stammen.
Induktion von Dormanz und Keimung wird durch das physiologische Gleichgewicht zweier Pflanzenhormone bestimmt: Abscisinsäure und Gibberellin. Hoher Gehalt an Abscisinsäure wird für die Entwicklung und Aufrechterhaltung der Dormanz benötigt, wohingegen Gibberellin für die Samenkeimung verantwortlich ist [1]. Gene, die das Gleichgewicht dieser Hormone steuern, sind an diesem Vorgang beteiligt, jedoch sind die molekularen Mechanismen noch weitgehend unbekannt. Es ist ebenfalls noch nicht erforscht, wie Kälte oder Trockenlagerung zu einem Weckruf und somit zu Keimung führen kann.
Natürliche und induzierte Variation der Dormanz
Unterschiede in Dormanz und Keimung bei zwei Pflanzen der gleichen Art, die unter identischen Bedingungen aufgezogen wurden, werden durch Genvariationen hervorgerufen. Sowohl natürliche als auch künstlich durch Mutagene induzierte Variationen werden als Grundlage der genetischen Forschung genutzt. Arabidopsis wächst in ihrem natürlichen Habitat nahezu überall auf der Nordhemisphäre und Pflanzen aus unterschiedlichen Regionen zeigen viele verschiedene Eigenschaften, auch bezüglich der Dormanz. Die Determinierung der natürlich-individuellen Genvariationen und die nachfolgende Isolation beteiligter Gene ermöglicht es, molekulare Komponenten der Dormanz zu entschlüsseln. Die zweite Herangehensweise ist die gezielte Mutation eines elterlichen Pflanzengenoms und die Analyse der Nachkommen. Bei Abweichungen in der Dormanz sollten die entsprechenden Gene betroffen sein, die dann leichter zu identifizieren sind (Abb. 2). Wissenschaftler der Seed Dormancy Group am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung verfolgen beide Strategien.
Dormanz wird durch generelle und Spezialgene kontrolliert
Für die Kontrolle der Dormanz und Keimung müssen Umwelteinflüsse wie Temperatur erkannt und vom internen Regulationssystem des Samens verstanden werden. Zwei Beispiele für solche Regulatorgene sind HUB1 (HISTONE MONOUBIQUITINATION 1) und DOG1 (DELAY OF GERMINATION 1). Samen mit nicht funktionalen Versionen dieser Gene verfügen über keine oder zu geringe Dormanz (Abb. 2). HUB1 wurde im Rahmen einer künstlich induzierten Genmutation identifiziert, während DOG1 durch Forschung an natürlichen Pflanzenvariationen entdeckt wurde.
Das HUB1 Protein ist ein genereller Regulator für Pflanzenentwicklung und ist in allen Pflanzengeweben auffindbar. Es wird benötigt, um kleine Proteine, genannt Ubiquitine, an Histone (Histon H2B) zu binden, welche für das Komprimieren von DNA im Zellkern verantwortlich sind. Das Anfügen von Ubiquitin führt zu Veränderungen der Eigenschaft von Histon H2B und zu veränderter Genexpression. HUB1 wird also für die korrekte Genexpression, einschließlich des DOG1-Gens, benötigt [2]. DOG1 wird in hub1-Mutanten im Vergleich zum Wildtyp nur sehr schwach exprimiert.
Das DOG1 Gen wird nur im Samen exprimiert, wo es für den Aufbau und den Erhalt von Dormanz zuständig ist [3]. Das DOG1 Protein wird noch vor dem Abwerfen der Samen von der Mutterpflanze gebildet und sein Gehalt in der frischen Trockensaat korreliert mit dem Grad der Dormanz (Abb. 3). Leider ist die genaue Funktion des Proteins noch nicht bekannt, weshalb weitere Untersuchungen notwendig sind. Das DOG1 Gen existiert nicht nur in Arabidopsis; Gene mit homologen Sequenzen werden überall im Pflanzenreich angetroffen. Nicht nur seine Sequenz, sondern auch die Funktion ist konserviert: So wurde zum Beispiel das DOG1-Gen aus Weizen beziehungsweise Gerste in Arabidopsis Pflanzen mit natürlich niedriger Dormanzrate eingefügt, wo es stärkere Dormanz induzieren konnte [4].
Andere inzwischen charakterisierte Dormanz-Gene können in "generell wirkende" und "speziell wirkende" Gene unterteilt werden. Die Beziehung zwischen all diesen Genen wird aktuell erforscht, was zu einem Modell führen wird, das den Mechanismus der Regulation von Dormanz und Keimung beschreibt. Solch ein Modell könnte hilfreich sein, um Dormanz und generelle Keimung von Samen besonders im Freiland unter natürlichen Bedingungen zu verstehen und vorauszusagen. Dieses Wissen könnte in Zukunft genutzt werden, um eine bessere Kontrolle der Dormanz von Kulturpflanzen zu erlangen und Ernteerträge zu sichern und zu optimieren.