Forschungsbericht 2017 - Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik
Erstmals Gravitationswellen kollidierender Neutronensterne gemessen
Der erstmalige direkte Nachweis von Gravitationswellen im September 2015, ausgesandt von zwei verschmelzenden Schwarzen Löchern, ist ein Meilenstein der modernen Physik, der mit dem diesjährigen Nobelpreis belohnt wurde.
Gravitationswellen sind winzige Kräuselungen der Raumzeit, die entstehen, wenn sich große Massen beschleunigt bewegen. 1916 sagte Albert Einstein die Existenz solcher Wellen voraus, schlussfolgerte aber, dass diese zu schwach wären, um sie jemals messen zu können. Mit immer ausgefeilteren experimentellen Methoden und Messtechniken sowie immensen Fortschritten im Bereich der Computersimulation und Datenanalyse begann hundert Jahre später dennoch die Ära der Gravitationswellen-Astronomie mit dem ersten gemessenen Gravitationswellensignal.
Da Gravitationswellen immer dann entstehen, wenn sich Massen beschleunigt bewegen, senden nicht nur Schwarze Löcher, sondern auch andere massereiche Himmelskörper Gravitationswellen aus. Ein Beispiel sind Neutronensterne: kompakte Überreste von Supernova-Explosionen, bestehend aus extrem dichter Materie. Sie besitzen einen Durchmesser von 20-30 Kilometern und beinhalten mitunter mehr als doppelt so viel Masse wie unsere Sonne.
Der erste indirekte Nachweis von Gravitationswellen von Neutronensternen gelang den US-amerikanischen Astrophysikern Russell A. Hulse und Joseph H. Taylor bereits 1974 und brachte ihnen knapp 20 Jahre später den Physik-Nobelpreis ein. Es dauerte bis zum 17. August 2017, als Gravitationswellendetektoren auf der Erde das Signal von zwei umeinander kreisenden und schließlich kollidierenden Neutronensternen auffangen konnten [1]. Es erhielt die Bezeichnung GW170817.
Schnelle Lokalisierung trotz erschwerter Datenanalyse
Die beiden LIGO-Detektoren in den USA beobachteten GW170817 rund 100 Sekunden lang. Doch ein lautes Störsignal überlagerte die Messung in einem der Geräte und behinderte so die Datenanalyse. Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik konnten diese Störung aus dem Signal entfernen und ermöglichten somit eine Lokalisierung des Ursprungsortes. Da zusätzlich zu den LIGO-Detektoren auch der europäische Virgo-Detektor in Betrieb war, wurde die Himmelsposition so genau bestimmt, dass binnen 12 Stunden nach der Entdeckung Astronomen die Ursprungsgalaxie für das Ereignis identifizierten.
Neue Erkenntnisse durch Multimessenger-Astronomie
Im Gegensatz zur Kollision von Schwarzen Löchern wird beim Verschmelzen von zwei Neutronensternen auch elektromagnetische Strahlung abgegeben. Die sehr präzise Lokalisierung durch LIGO und Virgo erlaubte es schon wenige Stunden nach der Messung einer Handvoll von Observatorien rund um den Globus den Himmelsbereich abzusuchen, aus dem das Signal kam. Schließlich waren etwa 70 astronomische Observatorien auf der Erde und im All an Folgebeobachtungen beteiligt und untersuchten elektromagnetische Signale dieses Ereignisses [2]. Es erfolgten Messungen im optischen, infraroten, ultravioletten sowie Röntgen-, Radio- und Gammabereich. Das ermöglichte die Überprüfung einer Vielzahl von theoretischen Modellen solcher Ereignisse. Zum Beispiel bestätigt die Identifizierung von GW170817 als Doppelneutronensternsystem und die Beobachtung eines Gammastrahlenblitzes nur 1,7 Sekunden nach dem Verschmelzungsvorgang die Vermutung, dass Kollisionen von Neutronensternen für die bereits länger bekannten, hoch energetischen Gammablitze verantwortlich sind.
Weiterhin weisen die Signale im optischen und infraroten Spektrum darauf hin, dass sich unter den extremen Bedingungen beim Zusammenprall der Sterne neue, schwere Elemente gebildet haben, unter anderem Gold und Platin. Damit ist ein großer Schritt zur Lösung des jahrzehntelangen Rätsels um den Ursprung von Elementen schwerer als Eisen im Universum getan.
Aufbauend auf einer Idee des emeritierten Direktors des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik, Bernard F. Schutz, gelang mithilfe von GW170817 auch eine neue, unabhängige Bestimmung der Expansionsgeschwindigkeit des Universums [3].
Auf das Innere kommt es an
Eines der größten ungelösten Rätsel der Kernphysik ist es, Materie mit extrem hohen Dichten – größer als die Dichte eines Atomkerns – zu beschreiben. Solche Materiedichten unter den üblichen Laborbedingungen zu erzeugen ist unmöglich. Untersuchungen von Neutronensternen erlauben direkte Rückschlüsse darauf, wie sich Materie unter solch extremen Zuständen verhält.
Dafür ist eine detaillierte Untersuchung des Gravitationswellensignals nötig. Um dieses aus dem Detektorrauschen herauszufiltern und die Eigenschaften von GW170817 zu verstehen, sind komplexe Analyseverfahren und hochpräzise Wellenformmodelle essenziell. Mitarbeiter der Abteilung Astrophysikalische und kosmologische Relativitätstheorie haben wesentlich dazu beigetragen, diese Analysealgorithmen und Wellenformmodelle zu entwickeln und kontinuierlich zu verbessern. Mit diesen Methoden gelang es, von den beiden Neutronensternen des Ereignisses GW170817 die Massen und Eigenrotationen zu bestimmen und Aussagen über die Eigenschaften extrem dichter Materie zu treffen [4, 5].
Neuste analytische Rechnungen und numerische Simulationen weisen auf schwächere abstoßende Kernkräfte in den Neutronensternen hin als es manche Modelle vorhersagen. Wären starke abstoßende Kernkräfte aktiv, so wären die Neutronensterne leichter verformbar, was einen messbaren Unterschied des Gravitationswellensignals zur Folge gehabt hätte.
Die Gravitationswellen-Astronomie hat ihre Bewährungsprobe bestanden
Astrophysikerinnen und Astrophysiker erleben gerade eine ausgesprochen fruchtbare und spannende Zeit: Winzige Wellen der gekrümmten Raumzeit sind nun messbar. Kollidierende Neutronensterne enthüllen ihr Inneres und liefern Details über die Entstehung schwererer Elemente im Universum. Doch nicht nur das gemessene Gravitationswellensignal, mehr noch die gemeinsame Messung von Gravitationswellen und elektromagnetischer Strahlung stellt einem Durchbruch im Bereich der Multimessenger-Astronomie dar.
Literaturhinweise
Physical Review D96, 121501(R) (2017)
DOI: https://doi.org/10.1103/PhysRevD.96.121501