Forschungsbericht 2017 - Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie

Das B10K Genom-Projekt – eine weltweite Initiative zur Sequenzierung von Vogelgenomen

Autoren
Kraus, Robert H. S.
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Ornithologie, Teilinstitut Radolfzell, Radolfzell
Zusammenfassung
Vögel gehören zu den wichtigsten Tiergruppen in der biologischen, aber auch medizinischen und pharmazeutischen Forschung. Neue Verfahren machten die Genomsequenzierung in den letzten Jahren einer breiten Basis zugänglich. Das internationale Projekt B10K hat es zum Ziel, die Genome aller Vogelarten zu sequenzieren. Vergleichende Arbeiten zur Merkmalsevolution auf genomischer Ebene werden zu besserem Verständnis der Biodiversität und einer Verknüpfung mit translationaler Forschung führen. Die Max-Planck-Forscher in Radolfzell arbeiten dazu an der vergleichenden Immunsystemevolution von Vögeln.

Vögel gehören zu den global wichtigsten Tiergruppen

Vögel ziehen die Öffentlichkeit an wie kaum eine andere Tiergruppe. Das liegt an ihrer Allgegenwärtigkeit und der Einfachheit, mit der man sie überall beobachten kann – in Städten, auf dem Land oder auf hoher See. Gleichzeitig sind sie mit über 10.000 Arten die artenreichste Gruppe der landlebenden Wirbeltiere. Ihre Vielfalt förderte die Neugier vieler Entdecker, die zu den eminentesten Persönlichkeiten auf dem Gebiet der frühen Biologie gehörten; zum Beispiel wurde Charles Darwins Theorie zur Evolution maßgeblich von der Formenvielfalt der Finken auf den Galápagos Inseln inspiriert, was ihnen den Namen „Darwinfinken“ gab.

Darüber hinaus sind Vögel medizinische und pharmazeutische Modelle und wichtig für die globale Nahrungsmittelproduktion, z.B. Hühner, von denen es weltweit mehr als doppelt so viele gibt wie Menschen. Daher war das Huhn auch unter den ersten Wirbeltieren, deren Genom vollständig sequenziert wurde, um detaillierte Einblicke in das Erbgut dieser wirtschaftlich immens wichtigen Tiere zu erhalten, so wie in den letzten Jahren viele wissenschaftliche Meilensteine durch Genomsequenzierung erreicht wurden.

Genomsequenzierung als ein Motor moderner Grundlagenforschung

In den 1970er Jahren wurde die Sequenzierung vergleichsweise kleiner Abschnitte der DNA technisch möglich (Nobelpreis 1980) und in den frühen 1980er Jahren trug die Polymerasekettenreaktion PCR (Nobelpreis 1993) zur Automatisierung und Steigerung des Durchsatzes der traditionellen DNA-Sequenzier-Technologie bei. Doch DNA-Sequenzierung war teuer und aufwändig. So brauchte ein internationales Konsortium aus hunderten von Wissenschaftlern 10 Jahre und 2,7 Milliarden USD, um das menschliche Genom zu sequenzieren. Es wurden daher nur wichtige Modellorganismen wie Fruchtfliege, Maus oder Huhn sequenziert.

Vollständige Genomanalysen blieben für die Ökologie- und Evolutionsforscher daher zunächst ein Traum. Doch Anfang der 2000er Jahre läutete die Entdeckung neuartiger Sequenzier-Techniken eine Revolution auf dem Markt ein. Mit ihnen wurde es möglich, komplette Genome in nur wenigen Tagen und zu einem millionenfach geringeren Preis zu sequenzieren. Die außerordentliche Bedeutung der Genomsequenzierung für die Biowissenschaften ließ mittlerweile eine 3. Generation der Sequenzier-Technologie heranreifen.

Möglichkeiten der vergleichenden Genomik

Heute können wir vergleichsweise schnell und einfach Genome sequenzieren. Während in der Forschung mit Modellorganismen das (z. B. zelluläre) Detail im Vordergrund steht, befassen sich Ökologen und Evolutionsbiologen mit den Zusammenhängen von Biodiversität und Ökosystemen. Die vergleichende Genomik erlaubt Einblicke in die evolutionären Anpassungen der Arten und gewinnt damit Erkenntnisse, die durch die Forschung an nur einem Organismus nicht zu erlangen wären. Die Anpassungen bestimmter Merkmale an unterschiedliche Lebensräume oder das Klima und deren genetische Basis erweitern heute unser Verständnis darüber, wie das Immunsystem auf Krankheiten reagiert oder warum manche Arten aufgrund des globalen Wandels aussterben und andere nicht. Erst im vergleichenden Ansatz und auf gesamt-genomischer Ebene können wir Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Organismen erkennen.

Vögel als Vorreiter der vergleichenden Genomik

Das Konsortium B10K (kurz für: bird 10000 genomes) hat sich die Genomsequenzierung aller Vogelarten zum Ziel gesetzt (Abb. 1). Der erste Durchbruch gelang mit der Publikation von acht Artikeln in der international höchst renommierten wissenschaftlichen Zeitschrift Science im Dezember 2014. Am gleichen Tag wurden über 20 weitere Artikel in vielen anderen Zeitschriften veröffentlicht. Diese Phase 1 des B10K Projekts umfasste 48 Genome fast aller Vogelordnungen. In Phase 2 werden zurzeit Genome von Vertretern der Vogelfamilien (ca. 300) bearbeitet, und Phase 3 und 4 werden sich jeweils mit den Gattungen (ca. 2500) und Arten befassen.

Das Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell ist an Phase 2 beteiligt und bereitet für die Gruppe der Wasservögel Phase 3 vor. Die Forscher arbeiten im großen Rahmen des Vogelfamiliendatensatzes neben einer neuen Phylogenie der Vögel an weiteren Aspekten vergleichender Genomik.

Die Immungene der Vögel

Die Max-Planck-Wissenschaftler interessieren sich vor allem für die Analysen des Immunsystems. Bei vorherigen vergleichenden Studien fand man, dass es zwischen den Vögeln teils große Unterschiede gibt, wobei manche Arten ein bestimmtes Gen oder ganze Gruppen von Genen besitzen und andere nicht. So wurde gezeigt, dass z. B. Huhn, Zebrafink und Stockente (als Vertreter ganzer Vogelordnungen) eine unterschiedliche Anzahl an Defensin-Genen aufweisen. Diese kodieren für Effektormoleküle, die für die Bekämpfung von Pathogenen unmittelbar verantwortlich sind. Ein verblüffenderes Beispiel ist das Fehlen des sogenannten RIG-I Gens in Hühnern gegenüber der Stockente. Dies ist insofern von großem Interesse, weil dieses Gen z. B. eine Schlüsselrolle in der Immunantwort gegen Vogelgrippe spielt. Stockenten sind überwiegend immun gegen die meisten Stämme der Vogelgrippe, wohingegen Hühner sehr anfällig sind.

Erkenntnisse zur Evolution des Immunsystems können mit makro-ökologischen Daten zur Artverbreitung in verschiedenen Erdzeitaltern verknüpft werden. So wird sich verstehen lassen, welchen Einfluss die demografische Entwicklung (z. B. Bestandsentwicklung und Wanderbewegung) vor dem Hintergrund globaler Veränderungen auf die Immungen-Diversität hat. Dieses Wissen hält wertvolle Ansätze für den Naturschutz und Erhalt der Biodiversität bereit. Zusätzlich wird die Medizin und Pharmazie zunehmend Erkenntnisse aus der vergleichen Genomik mit in ihre Forschungen mit aufnehmen und dadurch ein translationaler Ansatz unserer ansonsten evolutionären Forschung sichtbar.

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