Forschungsbericht 2017 - Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie
Lichtinduzierte Supraleitung: Fußbälle leiten Strom ohne Widerstand
Das Phänomen Supraleitung
Elektrischer Strom wird von Elektronen gebildet, die sich bei einer angelegten Spannung durch ein Material bewegen. Mit dem Stromfluss ist in der Regel ein elektrischer Widerstand verbunden, da die Elektronen beim Transport mit den schwereren Atomen des Kristallgitters zusammenstoßen und dabei einen Teil ihrer Energie abgeben.
Supraleiter hingegen transportieren elektrischen Strom ohne jeden Widerstand und damit verlustfrei. Dies funktioniert durch die Verbindung von jeweils zwei Elektronen zu sog. Cooper-Paaren, die den Strom ohne Stöße an den Atomen transportieren können. Bemerkenswert dabei ist, dass sich die Elektronen aufgrund ihrer elektrischen Ladung eigentlich voneinander abstoßen. Üblicherweise funktioniert Supraleitung aber nur bei sehr tiefen Temperaturen, was sich nachteilig für alltägliche Anwendungen erweist und lediglich Nischenanwendungen wie in Kernspintomografen oder Teilchenbeschleunigern erlaubt.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Supraleitung in Metallen entdeckt, bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt von ca. −273°C und 20 bis 30°C darüber. Diese sog. Sprungtemperatur kennzeichnet den Übergang von normalleitender zu supraleitender Phase. Um 1990 haben Forscher Supraleitung in Kupferoxid-Keramiken (Kupraten) nachgewiesen, und schnell wurden Sprungtemperaturen oberhalb der mit flüssigem Stickstoff erreichbaren Temperatur von −196°C erreicht. Die damals ungewöhnlich hohen Sprungtemperaturen in diesen Materialien brachten ihnen den Namen Hochtemperatur-Supraleiter ein.
Die Alkali-Fulleren Supraleiter A3C60
Supraleitende Eigenschaften haben auch Kristalle, in denen sich fußballähnliche C60-Moleküle − die sog. Fullerene − periodisch in einem würfelförmigen Gitter anordnen, das durch Alkali-Atome interkaliert wird. Abbildung 1a zeigt modellhaft einen solchen A3C60-Molekülkristall. Die Alkali-Atome bewirken eine Dotierung der Kohlenstoffmoleküle, d.h. sie stellen Elektronen für den elektrischen Stromfluss zur Verfügung, die bei Abkühlung unter die Sprungtemperatur im Bereich von ca. −250°C supraleitende Cooper-Paare bilden. Interessanterweise lässt sich die Sprungtemperatur durch die Auswahl der Alkali-Atome einstellen, die unter anderem den Abstand der C60-Moleküle kontrollieren. Der genaue Mechanismus für dieses Verhalten ist bis heute nicht geklärt, zeigt aber den auch bei Hochtemperatur-Supraleitern häufig beobachteten Zusammenhang zwischen der Molekülstruktur und der Fähigkeit zur Supraleitung der auch daran abzulesen ist, dass die Sprungtemperatur dieser Materialien vom angelegten mechanischen Druck bestimmt wird.
Licht-induzierte Supraleitung oberhalb der Sprungtemperatur
Einer Forschergruppe um Andrea Cavalleri ist es nun gelungen, den Supraleiter K3C60 durch Bestrahlung mit Lichtpulsen im mittleren Infrarotbereich auch oberhalb der Sprungtemperatur für kurze Zeit in einen supraleitenden Zustand zu versetzen [1].
Den Effekt solcher licht-induzierter Supraleitung hatte die Arbeitsgruppe zuvor an einer Kupferoxid-Keramik sogar bei Raumtemperatur nachgewiesen [2]. Eine potenzielle Erklärung war die kurzzeitige Verschiebung bestimmter Atome des Kristallgitters durch den Laserpuls [3]. Die veränderte, im thermischen Gleichgewicht nichtexistente Atomstruktur erlaubt dann möglicherweise den kurzzeitigen verlustfreien Transport der Cooper-Paare.
Im vorliegenden Experiment verwendeten die Forscher Pulse mit einer Dauer von wenigen hundert Femtosekunden (Milliardstel einer Mikrosekunde) und einer Wellenlänge von sieben Mikrometern, um selektiv Schwingungen der Kohlenstoff-Atome anzuregen – in der Hoffnung, ähnlich wie bei den Kupraten bei hohen Temperaturen eine kurzzeitige Supraleitung zu induzieren. Genau genommen schwingen die Atome so, dass sich die Fünfecke der C60-Fußbälle ausdehnen und wieder zusammenziehen (Abbildung 1b).
Die hierdurch hervorgerufenen Änderungen der elektrischen Transporteigenschaften wurden mit zeitlich verzögert auftreffenden Terahertz-Pulsen abgetastet, die in der Lage sind, charakteristische Fingerabdrücke der Supraleitung in diesem Frequenzbereich aufzudecken. Einer dieser Fingerabdrücke ist die Reflektivität, welche in Abbildung 2a jeweils ober- und unterhalb der Sprungtemperatur dargestellt ist. Der supraleitende Zustand zeigt unterhalb der Photonenenergie von ca. 7 Millielektronenvolt (meV) die Reflektivität 1, hervorgerufen durch die Entstehung einer Energielücke.
Faszinierenderweise ist der oberhalb der Sprungtemperatur durch die Lichtanregung hervorgerufene Zustand nahezu identisch mit dem supraleitenden Gleichgewichtszustand unterhalb dieser Temperatur. Die blaue Messkurve in Abbildung 2b zeigt oberhalb der Sprungtemperatur eine durch die mittelinfrarote Anregung induzierte Energielücke der Breite einiger meV, charakteristisch für die Supraleitung in K3C60. Darüber hinaus wurden weitere spektroskopische Eigenschaften im Terahertz-Frequenzbereich analysiert, die den lichtinduzierten, widerstandslosen (supraleitenden) Zustand manifestieren. Abbildung 2c schließlich zeigt den zeitlichen Verlauf des supraleitenden Zustands, repräsentiert durch eine aus den Experimenten extrahierte Änderung einer bestimmten Messgröße. Kurz nach der Anregung durch den rot dargestellten mittel-infraroten intensiven Laserpuls nimmt das Material für nahezu zwei Pikosekunden (Millionstel einer Mikrosekunde) den supraleitenden Zustand ein.
Der Effekt war bis zu einer Temperatur von −170°C deutlich nachweisbar, bei noch höheren Temperaturen nimmt seine Stärke jedoch ab. Dennoch zeigt das Experiment eine der höchsten Sprungtemperaturen, die jemals außerhalb der Materialklasse der Kuprate gemessen wurden.
Raumtemperatur-Supraleitung auch ohne Licht?
Im Vergleich zu den Kupraten zeigen die Alkali-Fullerene einen wesentlich einfacheren chemischen Aufbau. Die Forscher hoffen daher, in Zusammenarbeit mit theoretischen Arbeitsgruppen den lichtinduzierten supraleitenden Zustand anhand dieser Molekülgruppe besser verstehen zu können. Auf dem Weg dahin sind experimentelle Arbeiten darauf ausgerichtet, die Lebensdauer des lichtinduzierten supraleitenden Zustands zu verlängern. In einem ersten Schritt wurde bereits ein Lasersystem entwickelt, das intensive mittel-infrarote Lichtpulse mit wählbarer Pulslänge zwischen 1 und 1000 Pikosekunden bereitstellt.
Langfristig bleibt es natürlich erstrebenswert, ein Rezept für Materialien zu entwickeln, die auch ohne Lichtanregung bei Raumtemperatur supraleitend sind. Die hier gewonnenen und auch in zukünftigen Arbeiten erzielten Kenntnisse leisten hierzu einen wichtigen Beitrag.
Literaturhinweise
Nature Materials 13, 705-711 (2014)