Forschungsbericht 2018 - Max-Planck-Institut für Astrophysik
Nadeln im Heuhaufen
Unser Verständnis davon, wie supermassereiche schwarzer Löcher entstehen, ist noch sehr lückenhaft. Der polnische Astronom Andrzej Soltan zeigte 1982, dass die Summe der Emissionen aller beobachteten Quasare eine bemerkenswert genaue Schätzung der Gesamtmasse der schwarzen Löcher heute ergibt. Quasare sind extrem leuchtkräftige Zentren von Galaxien. Sie besitzen ein schwarzes Loch, das aus einer umgebenden Scheibe Gas und Staub aufsammelt. Die Materie fällt in das schwarze Loch hinein und strahlt. Soltans Argument basierte auf der erwarteten Umwandlungseffizienz der Materie in einer solchen Akkretionsscheibe in Strahlungsenergie. Diese entfernten Objekte sollten somit die wichtigsten Orte für das Wachstum von schwarzen Löchern im Universum sein.
Eine neue Klasse von Galaktischen Kernen?
Leider sind Quasare keine idealen Objekte, um die Wachstumsmechanismen von schwarzen Löchern zu untersuchen. Die Emission aus dem zentralen Kern ist um viele Größenordnungen heller als die der umgebenden Galaxie, wodurch deren detaillierte Untersuchung extrem schwierig ist. Aus diesem Grund konzentrieren sich Studien, die die möglichen Mechanismen für das Wachsen von schwarzen Löchern untersuchen, auf so genannte aktive galaktische Kerne (AGN) vom Typ II. Bei diesen Systemen wird angenommen, dass eine sehr dichte Gas- und Staubschicht (der sogenannte Torus) die Strahlung der Akkretionsscheibe abblockt (Abbildung 1). Große spektroskopische Beobachtungskampagnen von Galaxien wie der Sloan Digital Sky Survey haben einen Katalog von Hunderttausenden nahe gelegenen AGN vom Typ II ergeben, die nach dem Verhältnis ihrer optischen Emissionslinien ausgewählt wurden. Bei höheren Rotverschiebungen, also weiter entfernten Objekten, werden Typ-II-AGN üblicherweise durch ihre Emission im Röntgenbereich identifiziert.
Bisher scheinen Untersuchungen der Galaxien dieser Systeme theoretische Szenarien auszuschließen, in denen schwarze Löcher bei dem Verschmelzen von zwei oder mehr Galaxien wachsen. Simulationen der gravitativen Wechselwirkungen und der Gasdynamik zweier verschmelzender Galaxien zeigen, dass die Gezeitenkräfte zu Stoßwellen im Gas führen. Dieses verliert dadurch an Energie und strömt zum Zentrum der Verschmelzung. Allerdings lassen sich die energiereichen Prozesse, die sehr nahe am schwarzen Loch auf das Gas einwirken, nur sehr schwer zuverlässig simulieren.
Neue AGN-Studien
Forscher am MPA kombinierten nun mit einer neuen Methode Daten aus mehreren Beobachtungsprogrammen, die mit dem Wide-Field Infrared Survey Explorer-Satelliten (WISE), dem FIRST Survey (Radio Images of the Sky at Twenty-Centimeter) am Very Large Array (VLA) und dem Sloan Digital Sky Survey durchgeführt wurden. Diese Kombination von Daten aus verschiedenen Wellenlängenbereichen ermöglichte eine zuverlässigere Auswahl einer großen Anzahl von aktiven Galaxien, bei denen eine starke Emission von heißem Staub in einem zentralen Torus abgestrahlt wird. Die Radiodaten erwiesen sich dabei als kritisches Element der Selektion, da es sehr viele Galaxien gibt, in denen der heiße Staub weit verteilt ist und wahrscheinlich nicht durch das schwarze Loch aufgeheizt wird. Dies war in früheren Arbeiten nicht berücksichtigt worden.
Die Folgearbeiten zeigten, dass die neue Auswahl Galaxien mit deutlich anderen Eigenschaften ergibt. Mehr als 80 % der Galaxien in der neuen Studie sind verschmelzende oder interagierende Systeme. Sternspektren zeigen, dass in vielen von ihnen im Zentralbereich eine ungewöhnlich starke Sternentstehung stattfindet. Die Emissionslinien weisen auf stark ionisiertes Gas hin, wobei die Hauptquelle der Ionisation wahrscheinlich ein wachsendes schwarzes Loch ist und nicht die jungen Sterne im Kern. Die Radioemission ist in der Regel kompakt und zentral gelegen und zu hell, um von den beobachteten jungen Sternen im Kern zu kommen. Sie stammt aus der nahen Umgebung des schwarzen Lochs.
Mit 1300 Galaxien ist die neue Studie groß genug, um schlüssig zu zeigen, dass diese AGN derzeit den Großteil des Wachstums von schwarzen Löchern in den massereichsten Galaxien des lokalen Universums markieren.
Die Herausforderung besteht nun darin, sich auch Galaxien aus einer früheren Entwicklungsphase des Universums anzusehen. Solche Galaxien sind weiter entfernt, was mit einer Vergrößerung der Beobachtungswellenlänge (der sogenannten Rotverschiebung) verbunden ist. Die Selektion ähnlicher Galaxien bei höheren Rotverschiebungen erfordert jedoch vergleichbare Datensätze in unterschiedlichen Wellenlängenbändern. Erst damit können wir untersuchen, wie die wachsenden schwarzen Löcher in diesen jüngeren Systemen das Gas in ihrer Galaxien beeinflussen.
Literaturhinweise
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, 473, 5210-5220 (2018),