Forschungsbericht 2018 - Max-Planck-Institut für Physik
Ohne „Geister“: Eine neue Theorie der Gravitation
Die Gravitation ist in vielerlei Hinsicht ein ganz besonderes physikalisches Phänomen. Sie ist die einzige Naturkraft, die wir als Schwerkraft tatsächlich wahrnehmen können. Gleichzeitig ist sie jedoch auch die bei weitem schwächste aller bekannten Naturkräfte. Für theoretische Physiker stellt sie eine große und spannende Herausforderung dar. Denn über 100 Jahre nach Albert Einsteins Entwicklung der Allgemeinen Relativitätstheorie wirft die theoretische Beschreibung der Gravitation immer noch viele Fragen auf. Das langfristige Ziel der Arbeit meiner Gruppe besteht darin, diese exotische Kraft mit anderen etablierten physikalischen Modellen in Einklang zu bringen.
Eigenschaften des Gravitationsteilchens
Zu diesen bewährten Theorien zählt das Standardmodell der Teilchenphysik. Es liefert eine mathematische, feldtheoretische Beschreibung aller Elementarteilchen und der Kräfte, die auf sie wirken. In einer Feldtheorie werden jedem Raumpunkt ein oder mehrere Feldwerte zugeordnet, die den physikalischen Zustand charakterisieren. Jedem Feld entspricht letztendlich auch eine Art von Teilchen.
In den vergangenen Jahren ist es gelungen, das Standardmodell mit hoher Präzision zu überprüfen. Eine charakteristische Eigenschaft der Teilchen ist eine innere Drehimpulsquantenzahl, Spin genannt. Zum Beispiel hat das Higgs-Boson, das für die Masse der Teilchen verantwortlich ist, die Spinzahl 0, das Elektron die Spinzahl 1/2, und das Photon (der Vermittler der elektromagnetischen Kraft) hat einen Spin von 1. Manche dieser Teilchen haben eine Masse, andere sind masselos. Unabhängig von der Masse sind Feldtheorien für Teilchen mit Spinzahl kleiner als 2 sehr gut verstanden.
Die Allgemeine Relativitätstheorie hingegen postuliert ein hypothetisches Teilchen mit Spinzahl 2, das die Gravitationskraft vermittelt: das Graviton. Dieses ist per Definition masselos, und seine Beschreibung durch die Allgemeine Relativitätstheorie ist inzwischen sehr gründlich untersucht. Viele Jahrzehnte lang versuchten Theoretiker vergeblich, auch ein massives Spin-2-Teilchen zu beschreiben. Warum?
Teilchen mit Spinzahl kleiner als 2 können sowohl masselos als auch massiv sein und treten in der Natur auch in beiden Formen auf. Deshalb erscheint es logisch, dass auch ein massives Spin-2-Teilchen sich theoretisch beschreiben lassen müsste und eventuell existiert. Die Beschreibung eines solchen Elementarteilchens ist ein wichtiges fehlendes Puzzleteil in der Gesamtheit aller mathematisch konsistenten Feldtheorien.
Beschreibung eines massiven Spin-2-Teilchens
Im Jahr 2011 wurde das Problem der feldtheoretischen Beschreibung massiver Spin-2-Teilchen endlich gelöst. Die entsprechende Theorie ist eine Erweiterung der Allgemeinen Relativitätstheorie mit einer ganz speziellen mathematischen Struktur. Wir nennen sie Ghost-Free Bimetric Theory (kurz: Bimetric Theory). Denn ihr spezieller Aufbau vermeidet eine mathematische Inkonsistenz, einen sogenannten Ghost (Geist), der ein Problem in früheren vorgeschlagenen Theorien darstellte. Die Bimetric Theory beschreibt sowohl ein massives als auch ein masseloses Spin-2-Teilchen, die miteinander wechselwirken.
Obwohl nun die Lücke der fehlenden Theorie des massiven Spin-2-Teilchens geschlossen ist, gibt es noch viele weitere Fragen zu beantworten. Eine der wichtigsten ist die nach einer Quantentheorie der Gravitation. Das Standardmodell für Teilchen mit Spinzahl kleiner als 2 ist eine solche Quantenfeldtheorie, eine Kombination aus Feld- und Quantentheorie. Dagegen ist die Allgemeine Relativitätstheorie eine klassische Feldtheorie, von der wir nicht sicher wissen, wie sie in Einklang mit der Quantenmechanik gebracht werden kann.
Einen vielversprechenden Vorschlag für eine Vereinheitlichung von Gravitation und Quantenphysik bietet die Stringtheorie. Diese beschreibt Teilchen nicht als punktförmige Objekte, sondern mithilfe von eindimensionalen Strings (Saiten). Die Stringtheorie ist eine sehr elegante, mögliche Lösung des Problems der Quantengravitation. Wie wissen aber nicht genau, wie sie mit dem Standardmodell und dessen überprüfbaren Vorhersagen zusammenhängt.
Conformal Gravity ohne "Geist"
Das Forschungsfeld meiner Arbeitsgruppe ist die Bimetric Theory und ihre Einordnung in das Gesamtkonzept der theoretischen Physik. Insbesondere interessiert uns ein möglicher Zusammenhang mit der Stringtheorie. Im vergangenen Jahr sind wir diesem Ziel einen wichtigen Schritt nähergekommen [1, 2]. Es gelang uns, eine exakte Relation zwischen der Bimetric Theory und einer weiteren Theorie namens Conformal Gravity nachzuweisen. Conformal Gravity ist ebenfalls eine Gravitationstheorie, die in der Vergangenheit viel Aufmerksamkeit erfuhr. Allerdings leidet sie im Gegensatz zur Bimetric Theory unter Inkonsistenzen, die durch einen ähnlichen Geist wie dem oben erwähnten hervorgerufen werden.
Unsere Arbeit zeigt, wie man Conformal Gravity von ihrem Geist befreien kann. Hierfür muss man die feldtheoretische Beschreibung um fehlende Beiträge erweitern. Die resultierende, komplettierte Theorie entspricht dann genau unserer Bimetric Theory. Da das Verhältnis von Conformal Gravity zur Stringtheorie bereits besser verstanden ist, hoffen wir nun, dass wir daraus schließlich ableiten können werden, wie die Bimetric Theory und die Stringtheorie zusammenhängen. Um dies zu erreichen, fehlen uns allerdings noch einige wichtige Zwischenschritte.
Zum Beispiel benötigen wir eine supersymmetrisierte Version unserer Bimetric Theory. Die Supersymmetrie ist ein notwendiger Bestandteil der Stringtheorie. Ihre Realisierung ist sehr gut verstanden in Feldtheorien für Teilchen mit Spinzahl kleiner als 2. Auch die supersymmetrisierte Version der Allgemeinen Relativitätstheorie ist bekannt. Die Arbeitsgruppe sucht derzeit nach der supersymmetrischen Theorie für massive Spin-2-Teilchen, die uns hoffentlich einen weiteren Schritt näher zur Stringtheorie bringen wird.
Literaturhinweise
Journal of High Energy Physics (JHEP) 09, 044 (2018).
Universe 1(2), 92-122 (2015).