Forschungsbericht 2020
Die Oberflächenchemie der Katalyse
Chemische Affinitäten wecken
Das Wort Katalyse verwendete erstmals der „Vater der Chemie“ Jöns Jakob Berzelius 1835, um "eine Substanz zu beschreiben, die durch ihre bloße Anwesenheit (chemische) Affinitäten zu wecken vermag...". Mit anderen Worten: Katalysatoren beschleunigen Reaktionen und gehen unverändert aus diesen hervor. So erklärt die Katalyse beispielsweise, warum winzige Mengen an Chlor große Verluste von Ozon in der Stratosphäre verursachen – jedes Chloratom wirkt katalytisch und zerstört Millionen von Ozonmolekülen.
Jedes heute produzierte Auto hat winzige Platinpartikel in seinem Auspuffrohr, die das Autoabgas Kohlenmonoxid mittels Katalyse zerstören. Diese Art der Katalyse bezeichnet man als heterogene Katalyse, weil die reagierenden Stoffe in unterschiedlichen Phasen vorliegen, hier im Gas und an einer Metalloberfläche. Dieser Prozess entfernt Stickoxide aus Abgasen oder synthetisiert Ammoniak, den Rohstoff für alle Düngemittel. Die Katalyse ist die wohl größte Entdeckung der Chemie, die heterogene Katalyse ihre wichtigste Umsetzung in der realen Welt.
Heterogene Katalyse
Die heterogene Katalyse ergibt sich aus der eigentümlichen Natur von Reaktionen an Oberflächen. Wenn Kohlenmonoxid (CO)- und Sauerstoff (O2)-Moleküle zusammenstoßen, reagieren sie nicht, da zu viel Energie benötigt wird, um die O-O-Bindung aufzubrechen. Auf einer Platinoberfläche (Pt) hingegen dissoziiert O2 unter Bildung von Pt-O-Bindungen. CO bindet ebenfalls gut an Pt, sodass es in engen Kontakt mit Pt-O kommen kann. Die Pt-gebundenen CO-Moleküle und Pt-O reagieren und bilden Kohlendioxid, das dann die Oberfläche verlässt und Pt für weitere Reaktionen zur Verfügung stellt.
200 Jahre nach Entdeckung der Katalyse verlassen wir uns immer noch auf Versuch und Irrtum, um neue Katalysatoren zu finden. Der Nobelpreisträger Richard Feynman schrieb einmal: "Einem Professor der theoretischen Physik muss immer gesagt werden, wonach er suchen soll. Er benutzt sein Wissen nur, um die Beobachtungen der Experimentatoren zu erklären." Das heißt, um neue Katalysatoren zu entwerfen oder um zu verstehen, wie sie funktionieren, müssen wir die Oberflächenchemie besser verstehen. Dies erfordert Methoden zur Beobachtung der elementaren Reaktionsschritte bei der Katalyse und die Anwendung theoretischer Modelle, die vorhersagen, wie sich Reaktionen an Oberflächen verhalten.
Vorhersagen über neue Reaktionen an Oberflächen
Vor kurzem war es noch unmöglich, die CO-Oxidationsrate an Pt zu messen. Der Ort auf einer Oberfläche, an dem die Katalyse stattfindet – das sogenannte aktive Zentrum – ist von entscheidender Bedeutung und im Allgemeinen unbekannt. In der Vergangenheit hatten Experimentatoren Metallkristalle möglichst perfekt poliert mit dem Ziel, Stufen, Ecken und andere Defekte zu beseitigen und so eine perfekt ebene Oberfläche mit nur einem einzigen aktiven Zentrum zu erhalten. 2018 ist es uns dann gelungen, die Geschwindigkeiten von Oberflächenreaktionen ortsspezifisch für drei aktive Zentren an Terrassen und Stufen zu messen (Abb. 1). Diese Arbeit zeigt, dass das Polieren in früheren Experimenten nicht ausreichend war, um Reaktionen an Stufendefektstellen zu verhindern, die die Kohlendioxid (CO2)-Produktion dominieren. Mithilfe einer Theorie zur Simulation des Experiments konnten wir nachfolgend die genaue Struktur der aktiven Zentren des Katalysators identifizieren. Damit sind wir einen Schritt weiter, theoretische Vorhersagen über neue Reaktionen auf Oberflächen zu formulieren.
Heute können wir mithilfe geeigneter Näherungen die Raten von Gasphasenreaktionen dank fundamentaler Gesetze der Physik genau vorhersagen. Die Theorie zur Vorhersage neuer Oberflächenreaktionen zu erweitern ist ehrgeizig, aber in Reichweite. Ein Beispiel ist die Wasserstoff (H)-Atom-Adsorption an Graphen – ein Problem, das auch von praktischem Interesse ist, weil die H-Atom-Adsorption an Graphen einen Halbleiter erzeugen kann, der nur ein einziges Atom dick ist. Mit den Methoden der Gasphasen-Berechnungsdynamik konnten wir eine Animation der Atombewegung aufzeichnen, die bei der Bildung einer C-H-Bindung entsteht, sobald ein H-Atom mit einer Graphenoberfläche kollidiert (Abb. 2, [2]). Die C-H-Bindung bildet sich auf einer derart kurzen Zeitskala, dass kein zeitgemäßes Lasersystem dieser Reaktion folgen und kein modernes Mikroskop die Atome auflösen kann. Jedoch basierend auf experimentell validierter Theorie gehen wir mit unserem Wissen über diese technologischen Grenzen hinaus.
Theorien für ein besseres Verständnis der Katalyse und Oberflächenchemie
Die Näherung von Born und Oppenheimer ist die Grundlage der theoretischen Gasphasenchemie; sie bricht jedoch für Reaktionen an Metalloberflächen zusammen. Wir haben dies zeigen können, indem wir Elektronen nachgewiesen haben, die durch die Kollision eines energiereichen Moleküls aus einer Metalloberfläche herausgeschleudert wurden [3]. Außerdem folgerten wir, dass wenn Oberflächenreaktionen „heiße“ Elektronen erzeugen können, ihr Anregungsgrad die Geschwindigkeit der Oberflächenreaktionen bestimmen könnte. Um diesen Effekt nachzuweisen, bauten wir eine Apparatur, die H-Atome mit perfekt definierten Energien erzeugen und diese mit unübertroffener Genauigkeit und Präzision messen kann. Wir beobachteten Stöße von H-Atomen an Metall- und Nichtmetalloberflächen und ermittelten, wie viel ihrer Energie an den Festkörper verloren ging. Durch den Vergleich der beiden Messdaten konnten wir nachweisen, dass Stöße von energiereichen H-Atomen an Metalloberflächen effizient Elektronen anregen. Ließe man diesen Effekt außer Acht, wäre es unmöglich zu erklären, dass H-Atome überhaupt an Metalloberflächen haften bleiben [4]. Es liegt also auf der Hand, dass eine neue (post-Born-Oppenheimer)-Theorie der Oberflächenchemie benötigt wird, die wir zu entwickeln begonnen haben [5].