Forschungsbericht 2020 - Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung
Klonale Vermehrung durch Saatgut: Vom Modellsystem zur Kulturpflanze
Sexuelle Fortpflanzung
Die meisten Tiere und Pflanzen vermehren sich durch sexuelle Fortpflanzung. Sexuelle Fortpflanzung erfordert genetische Beiträge weiblicher und männlicher Keimzellen. Eine Eizelle und ein Spermium des weiblichen beziehungsweise männlichen Elternteils, die miteinander verschmelzen, bilden jeweils einen neuen Nachkommen, der seine ganz eigene, individuelle genetische Ausstattung besitzt. Die Keimzellen entstehen durch eine hochspezialisierte Art der Zellteilung, Meiose genannt, die bei allen sich sexuell vermehrenden Organismen, auch bei Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, und auch in den Pflanzen, die wir essen oder die wir als Tierfutter verwenden, stattfindet.
Die Meiose birgt zwei Schlüsselfunktionen während der sexuellen Fortpflanzung [1]. Erstens ist die Meiose die einzige Zellteilung, bei der auf eine Runde der Chromosomenreplikation zwei Runden der Chromosomentrennung folgen, was zur Halbierung der Anzahl der Chromosomen in den Keimzellen führt. Zweitens können sich während der Meiose homologe Chromosomen rekombinieren und ganz neue genetische Kombinationen erzeugen, die jeden Nachkommen einzigartig machen.
Die Befruchtung ist derjenige Prozess, bei dem sich zwei Keimzellen treffen - die Samenzelle verschmilzt mit der Eizelle [2]. Die befruchtete Eizelle beginnt sich zu teilen und bildet einen Embryo – in Pflanzen genauso wie in Tieren und beim Menschen. Da die Chromosomenzahl sowohl in den Spermien als auch in den Eizellen halbiert wurde, wird der Embryo zwar auf die richtige Chromosomenzahl zurückgebracht, dennoch ist er genetisch einzigartig. Wichtig ist, dass die Embryogenese aus der Eizelle heraus nicht ohne Befruchtung beginnt.
Um eine klonale, also nicht aus sexueller Fortpflanzung heraus erfolgte Vermehrung zu erreichen, darf bei der Bildung von Samen, die die pflanzlichen Embryonen beherbergen, weder Meiose noch Befruchtung stattfinden. Das allgemeine Ziel besteht also darin, die gesamte mütterliche genetische Information in der Eizelle zu erhalten und die Embryogenese ohne die Beteiligung eines männlichen Elternteils auszulösen (Abb. 1). Bei diesen beiden Punkten wurden in letzter Zeit große Fortschritte erzielt.
Mitose statt Meiose
Aktuelle Forschungen haben ergeben, dass die Meiose derart verändert werden kann, dass die Chromosomenzahl nicht halbiert wird und keine Rekombination stattfindet, wodurch mitotische Zellteilungen imitiert werden, die in allen Zellen einer Pflanze oder eines Tieres allgegenwärtig auftreten. Dieser Ansatz, bekannt als "Mitose statt Meiose" (MiMe), ist das Ergebnis der Mutation dreier Gene, die für jeden der drei Hauptunterschiede zwischen Meiose und Mitose wesentlich sind. MiMe wurde zuerst bei der Modellpflanze Arabidopsis thaliana [3] etabliert und dann erfolgreich bei Reis angewendet [4]. Das Produkt von MiMe ist eine genetisch nicht reduzierte und nicht rekombinierte Eizelle, die den Hybridzustand der Mutterpflanze beibehält. Jedoch reicht dies für eine klonale Vermehrung nicht aus, da für die Induktion der Teilung der Eizelle noch eine Befruchtung erfolgen muss.
Überspringen der Befruchtung
Ein Durchbruch gelang bei Reis, wo Eizellen zur Bildung eines Embryos veranlasst werden konnten, indem die Expression eines Gens (BBM1) induziert wurde [5]. In herkömmlichen Reispflanzen wird BBM1 lediglich in der Samenzelle exprimiert und aktiviert das Programm der Embryonalentwicklung erst dann, wenn das Spermium mit der Eizelle verschmolzen ist. Durch die Auslösung der Expression von BBM1 in der Eizelle erfolgt die Embryogenese sozusagen direkt, nämlich ohne Befruchtung. Die Kombination von MiMe - eine Eizelle, die die gesamte mütterliche genetische Information enthält - mit der modifizierten BBM1-Expression - embryonale Entwicklung ohne Befruchtung - führt zur Produktion klonaler Nachkommen, oder anders ausgedrückt: Zur Produktion von neuem, Ertrag versprechendem Hybridsaatgut [5]. Eine Alternative ist die Kombination von MiMe mit einer Eliminierung des männlichen Genoms. In Zukunft wird ein Hauptschwerpunkt dieses Forschungsgebietes darin bestehen, die Rate der klonalen Samenbildung von derzeit 35% auf 100% zu erhöhen, wozu ein besseres Verständnis der genetischen Kontrolle der Embryogenese erforderlich wäre
Anwendungen in der Landwirtschaft
Die jüngsten Entwicklungen stellen einen Riesenschritt im Hinblick auf die Anwendung der klonalen Saatgutproduktion bei Nutzpflanzen dar. Sie ermöglichen die Fixierung von Genotypen und damit die direkte Weitergabe des Hybridzustandes von einer Generation zur nächsten. Dadurch würden die Kosten für die Produktion von Hybridsaatgut gesenkt, die Hybridzüchtung insgesamt erleichtert und die Vitalität derjenigen Nutzpflanzen erheblich gesteigert, die derzeit nicht als Hybriden angebaut werden, beispielsweise Gerste und Weizen. Zusammen würde dies dazu beitragen, die Erträge für eine wachsende Weltbevölkerung zu sichern und nachhaltigere landwirtschaftliche Prozesse zu fördern.
Literaturhinweise
Current Biology 26, 125–139 (2016)
Cell Research 26, 1242–1254 (2016)
Nature 565, 91–95 (2019)