Forschungsbericht 2020 - Max-Planck-Institut für Geoanthropologie
Grünes Arabien: 120.000 Jahre alte Fußspuren als Schnappschuss vergangener Umweltbedingungen
Die Arabische Halbinsel ist in der Gegenwart durch große und extrem trockene Wüsten gekennzeichnet, die Menschen und Tieren wenige Lebensgrundlagen bieten. Deshalb hat Arabien in der Archäologie – im Vergleich zu den benachbarten Regionen Afrika und Eurasien – bislang vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erfahren. Forschungsarbeiten aus dem letzten Jahrzehnt haben jedoch gezeigt, dass die klimatischen Bedingungen in Arabien in der letzten Million Jahre erheblich schwankten und dass sich Menschen immer wieder ins Innere der Halbinsel vorwagten, wenn sich karge Wüsten in ausgedehntes Grasland mit Süßwasserseen und Flüssen verwandelten. Art und Zeitpunkt dieser Wanderungsbewegungen blieben jedoch schwer fassbar, da es an datierbaren materiellen Funden mangelte und die Auflösung der paläoökologischen Daten, die direkt mit dem Vorkommen von Menschen in Zusammenhang gebracht werden konnten, sehr gering war.
Fußabdrücke liefern detailgetreue Momentaufnahme
Im Jahr 2017 entdeckten Mitglieder unseres Forschungsteams, dem Wissenschaftler der Jenaer Max-Planck-Institute für chemische Ökologie und für Menschheitsgeschichte, der Royal Holloway University of London sowie des King’s College London und weiterer Institutionen* angehören, bei Untersuchungen in der Nefud-Wüste im Norden Saudi-Arabiens im Seebett eines prähistorischen Sees Hunderte von versteinerten menschlichen und tierischen Fußabdrücken, die nach der Erosion der darüber liegenden Sedimentschichten freigelegt worden waren. Den See nennt das Team seit diesem Fund „Alathar“ (arabisch „die Spur“). Neben den fossilen Spuren stießen wir auch auf eine geringere Anzahl von Körperfossilien.
Wir erkannten sofort das Potenzial dieser Entdeckung. Die einzigartige Anordnung der Spuren, taphonomische – das bedeutet über den Prozess der Versteinerung (Fossilisation) Auskunft gebende – Faktoren sowie der ähnliche Erhaltungszustand der Fußabdrücke lassen darauf schließen, dass die Spuren innerhalb eines sehr kurzen Zeitfensters, innerhalb weniger Tage oder gar Stunden, entstanden sind. Damit eröffnete sich uns ein unmittelbarer Blick auf die Szenerie an den Ufern des urzeitlichen Sees.
Die Fußabdrücke wurden auf ein Alter von etwa 120.000 Jahren datiert. Damit gehen sie auf eine Periode zurück, die als letzte Zwischeneiszeit bekannt ist, eine Zeit relativ feuchter Bedingungen in der gesamten Region. Damals konnten sich Menschen und Tiere in Regionen ausbreiten, die in den weniger feuchten Perioden unwirtliche und lebensfeindliche Wüsten waren. Unter den insgesamt 376 Fußabdrücken konnten solche von Menschen, Elefanten, Pferden und Kamelen sowie einiger anderer Säugetiere sicher identifiziert werden.
Früheste Ausbreitung von Homo sapiens auf der Arabischen Halbinsel
Die menschlichen Fußabdrücke stellen die frühesten sicher datierten Beweise für die Anwesenheit von Menschen in diesem Teil der Welt dar. Unser Team gelangte dabei zu der Schlussfolgerung, dass es sich bei diesen Menschen um frühe Vertreter unserer eigenen Art Homo sapiens handelte.
Zum einen, da diese Ausbreitung ins Innere der Arabischen Halbinsel etwa zeitgleich mit bereits bekannten Ausbreitungsbewegungen von Homo sapiens aus Afrika in die Levante stattfand. Auch Schätzungen zu Statur und Masse der „Spurenmacher“ deuten auf frühe Homo sapiens hin und es gibt Hinweise, dass Neandertaler erst nach der letzten Zwischeneiszeit und mit der Rückkehr kühlerer Bedingungen in die Region zogen.
Die Anwesenheit von Elefanten ist besonders bemerkenswert, da sie für die Ernährung der damaligen Menschen bedeutsam waren und man davon ausgeht, dass sie in der Levante vor etwa 400.000 Jahren lokal ausgestorben sind. Süßwasservorkommen und erhebliche Mengen pflanzlicher Nahrung wiederum sind für die Großsäuger unabdingbare Lebensgrundlagen. Die Arabische Halbinsel könnte vor diesem Hintergrund sogar ein besonders attraktiver Ort für Menschen gewesen sein, die zwischen Afrika und Levante unterwegs waren.
Enge Verbindung menschlicher und tierischer Landschaftsnutzung
Die Spuren belegen eine direkte räumliche und zeitliche Nähe von menschlicher und tierischer Wanderung und Landschaftsnutzung am Alathar.
Die dichte Ansammlung zahlreicher Spuren an einem einzigen Ort deutet auf eine Periode anhaltender Trockenheit mit abnehmenden Wasserressourcen hin. Dies bestätigen auch Befunde, die aus den Sedimenten des Paläosees gewonnen wurden.
Die Anwesenheit von Menschen am Ufer des Alathar war nicht von Dauer. Anders als an anderen Fundorten in der Region, wurden hier keine Steinwerkzeuge gefunden und die Körperfossilien wiesen keine Spuren einer Schlachtung oder Zerlegung auf. Diese Befunde lassen auf eine vorübergehende Nutzung des Seeufers durch Menschen während einer Trockenperiode in der letzten Zwischeneiszeit schließen, wahrscheinlich hauptsächlich, um den Bedarf an Trinkwasser zu decken.
* Unser Forschungskonsortium arbeitet in enger Partnerschaft mit dem saudischen Kulturministerium. Weitere Partner sind der Saudi Geological Survey, die King Saud University und andere wichtige Institutionen in Großbritannien und in Australien.
Literaturhinweise
Science Advances 6 (38), eaba8940 (2020)
The MIT Press, Cambridge, MA (2018)
Science 358 (6368), eaai9067 (2017)