Forschungsbericht 2020 - Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften

Religion, Moral und ökonomische Transformation

Autoren
Ladwig, Patrice
Abteilungen
Max-Planck – Cambridge Zentrum für Ethik, Wirtschaft und sozialen Wandel (Max Planck-Cambridge Centre for Ethics, Economy and Social Change)
Zusammenfassung
Die Zusammenhänge von Religion, Moral und Wirtschaft wurden schon von den Klassikern der Religionssoziologie bearbeitet, aber neue Formen des Wirtschaftens, ihre globalen Verflechtungen und deren Auswirkungen auf religiöse Akteure verlangen neue Ansätze. Im Buddhismus findet man etwa rituelle Techniken der Selbstkultivierung, die zur Effizienzsteigerung genutzt werden, aber auch rituelle Ökonomien, die Wohlstand nach moralischen Kriterien umverteilen. Wirtschaften wird nicht als rein rational und säkular verstanden, sondern ist in religiöse Praktiken und moralische Werte eingebettet.

Die Krise des Kapitalismus, die 2008 im Finanzsektor begann, hat zunehmend zu einem Umdenken in der Wirtschaft geführt. Es gibt eine neu entstehende Literatur, die sich mit Fragen des Wirtschaftens jenseits von Kosten- und Nutzenkalkulationen beschäftigt. Da wirtschaftliche Transformationen immer mit Veränderungen im ethischen Verständnis einhergehen, werden neben ökologischen Aspekten auch immer mehr die ethischen und moralischen Dimensionen wirtschaftlichen Handelns hinterfragt. Die Studien des Soziologen Max Weber (1864–1920) zum Zusammenhang von Wirtschaftsethik und Religion gelten heute als Klassiker, wurden aber vor über einhundert Jahren publiziert. Natürlich hat sich das Forschungsfeld seit Weber stark erweitert und Sozialwissenschaftler betreiben heute auch Forschungen an Börsen und in Unternehmen der IT-Branche. Aber in vielen Regionen des globalen Südens, jenseits von Großkonzernen, Aktienmärkten und sozialer Marktwirtschaft, sind die Menschen inzwischen auch in die Globalisierung eingebunden und sehen sich mit tiefgreifenden ökonomischen Veränderungen konfrontiert. Diese Entwicklungen sind nicht nur im wirtschaftlichen Alltagsleben bedeutsam, sondern wirken sich auf eine Vielzahl anderer Lebensbereiche aus, auch auf die Religion. Diese darf hier aber nicht nur als abstraktes Glaubenssystem verstanden werden, sondern als soziale Praktik, die Institutionen und verschiedene Akteure mit einschließt. Die Wechselwirkungen sind auf beiden Seiten zu verorten: Religiöse Handlungsweisen beeinflussen wirtschaftliches Agieren, aber offensichtlich haben wirtschaftliche Veränderungen auch Folgen für religiöse Gemeinschaften und ihr Verständnis von sozialer und wirtschaftlicher (Un-)Gleichheit.

Rituale werden von Soziologen, Sozialanthropologen und Historikern häufig als Analysefeld in diesem Bereich herangezogen, weil sie oft mit größerer Klarheit als andere soziale Handlungen ethische Werte und Ideale ausdrücken, die für das soziale Leben zentral sind. Sie verleihen auf diese Weise kollektiven Schlüsselwerten und Normen Ausdruck in der sozialen Praxis. Einerseits können Rituale hier als „Verstärker“ für wirtschaftlichen Wandel auftreten und neu erworbenen Wohlstand reflektieren und dazu motivieren, erfolgreicher zu werden. Andererseits können Rituale aber auch als Korrektiv oder Kritik an bestehenden Besitz- und Verteilungsverhältnissen verstanden werden und darauf abzielen, Konflikte zwischen Ethik und Wirtschaft zu thematisieren. Zwei Beispiele aus dem Buddhismus sollen diese beiden Punkte veranschaulichen.

In Europa und Nordamerika wird der Buddhismus in der Öffentlichkeit selten mit Ökonomie in Verbindung gebracht, sondern als Meditations- und Askesereligion verstanden. In den Ländern Ost- und Südostasiens trifft man aber auf einen Buddhismus, der gleichzeitig traditionell, aber auch modern ist und wo sich auf den verschiedensten Ebenen Verbindungen von religiös-ritueller Praxis und Wirtschaft zeigen. Neue Forschungen thematisieren zum Beispiel das vermehrte Aufkommen von Praktiken der Selbstkultivierung. Diese speisen sich oft aus traditionellen Meditationspraktiken, werden heute aber auch genutzt, um sich etwa durch Stresslinderung und Effizienzsteigerung besser auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten. Zu Hause, in Unternehmen oder in religiösen Organisationen wird so daran gearbeitet, sich selbst zu einer effektiveren und produktiveren Person zu machen, indem man disziplinierter, konzentrierter oder kreativer wird. Ein Beispiel ist hier die Fo-Guang-Shan-Bewegung in Taiwan. Diese „humanistisch“-buddhistische Reformbewegung, die inzwischen ein weltweites Netzwerk hat, hat ehemals klösterliche Techniken und Rituale der ethischen Selbstkultivierung für Laiengläubige adaptiert [1]. Neben der Vermittlung von buddhistischen Werten des Mitgefühls und der Toleranz werden die Gläubigen auch dazu angeleitet, effektive und materiell erfolgreiche Akteure in einer globalisierten kapitalistischen Wirtschaft zu werden. Inzwischen sind Techniken und Rituale der Selbstkultivierung zu einer globalen Industrie geworden: Die rasche Verbreitung der Achtsamkeitsmeditation in Europa und den USA oder der globale Boom des Yoga sind klare Beweise dafür, dass diese modernisierten Rituale dazu benutzt werden, neue Methoden und Werte des effektiven Selbstmanagements zu vermitteln, die Disziplin und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit kombinieren.

Auch jenseits des Buddhismus werden in der ganzen Welt zum Beispiel christliche und islamische religiöse Praktiken in ähnlicher Weise in den Mittelpunkt von betrieblichen Ausbildungssystemen gestellt, um das Engagement und die Produktivität der Arbeitnehmer zu verbessern [2]. Obwohl die Arbeitsethik schon immer ein wichtiger Teil der protestantischen Selbstdisziplin war, wurde sie in Korea auf innovative Weise mit den Geschäftspraktiken christlicher Unternehmen kombiniert, die sowohl transnationale Geschäftsexpansion als auch missionarische Aktivitäten betreiben [3].

Rituale als kollektive Ausdrucksformen von gesellschaftlichem Wandel können jedoch auch direkt mit der Verteilung von Gütern und Wohlstand verbunden sein. Rituale weisen hier oft Charakteristika auf, die man mit wirtschaftlichem Handeln verbindet, die aber auch im religiösen Bereich von Bedeutung sind: Investition, Umverteilung und Konsumption. Im südostasiatischen Buddhismus werden Klöster (und die Ausbildung von Novizen und Mönchen) ausschließlich durch Spenden unterhalten. In diesen Fällen kommen Prinzipien einer „moralischen Ökonomie“ [4] zur Geltung: Wohlhabende Gemeindemitglieder stehen oft in der moralischen Pflicht, größere Summen an Klöster zu spenden. Letztere finanzieren damit die säkular-religiöse Ausbildung von jungen Novizen und Mönchen, die meist aus armen Bauernfamilien stammen [5]. Um diese ethische Komponente des wirtschaftlichen Erfolges zu untersuchen, forschte ich 2019 in einer großen Klosterschule in Luang Prabang im Norden von Laos und dokumentierte, wie Teile der neuen Mittel- und Oberschicht ihre Gewinne zum Beispiel aus dem Tourismussektor rituell spenden, um die Erweiterung des Klosters und den Lebensunterhalt der 500 Schüler zu unterstützen. Während meiner Feldforschung in der laotischen Hauptstadt Vientiane dokumentierte ich die Spendentätigkeit einer erfolgreichen Geschäftsfrau und ihrer Firma, welche die Renovierung eines ländlichen Tempels sponserte. Hier muss beachtet werden, dass Laos, wie viele Länder im globale Süden, nur ein sehr rudimentäres staatliches finanziertes Sozialsystem hat und Familien und religiöse Institutionen diese Rollen weiterhin innehaben. Beide Beispiele zeigen daher, dass der Wohlstand des wirtschaftlichen Erfolgs nicht nur als private Angelegenheit betrachtet wird, sondern dass Teile des Kapitals in eine rituelle Ökonomie eingespeist werden. Damit werden neue Formen der Verteilungsgerechtigkeit geschaffen, welche die Effekte einer wachsenden sozialen Ungleichheit wenigstens teilweise kompensieren kann.

Literaturhinweise

Laidlaw, J. ; Mair, J.

Imperfect Accomplishment: The Fo Guang Shan short-term Monastic Retreat and Ethical Pedagogy in Humanistic Buddhism

Cultural Anthropology 34 (3), 328–358 (2019)

Rudnyckyj, D.

Spiritual Economies: Islam, Globalization, and the Afterlife of Development

Ithaca, Cornell University Press (2010)

Han, J.

“If You Don’t Work, You Don’t Eat”: Evangelizing Development in Africa

In: New Millennium South Korea: Neoliberal Capital and Transnational Movements, 142–158 (Ed. Song, J.). London, Routledge (2011)

Scott, J.

The Moral Economy of the Peasant: Rebellion and Subsistence in Southeast Asia

New Haven, Yale University Press (1976)

Ladwig, P.

Schools, Ritual Economies, and the Expanding State: The Changing Roles of Lao Buddhist Monks as “Traditional Intellectuals”

In: Buddhism, modernity, and the state in Asia: forms of engagement, 63–91 (Ed. Whalen-Bridge, J.; Kitiarsa, P.). New York, Palgrave (2013)

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