Forschungsbericht 2020 - Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme, Standort Tübingen

Fortschritte auf dem Gebiet der Brain-Computer-Interaktion (BCI): Vom Labor in die reale Welt

Autoren
Matthias R. Hohmann, Lisa Konieczny, Michelle Hackl, Brian Wirth, Talha Zaman, Raffi Enficiaud, Moritz Grosse-Wentrup und Bernhard Schölkopf
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme, Standort Tübingen, Abteilung Empirische Inferenz
Zusammenfassung
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Tübingen und der Universität Wien haben eine Open-Source-Software namens MYND vorgestellt, mit der Menschen erstmals von zu Hause aus und ohne Aufsicht von Expertinnen und Experten an der Forschung im Bereich Brain-Computer-Interfaces (BCI) teilnehmen können. Ihre Forschung könnte das Fachgebiet einen entscheidenden Schritt voranbringen, indem MYND die laborbasierte Grundlagenforschung durch Experimente zur Mensch-Computer- Interaktion in realen Umgebungen ergänzt.
 

Der Bereich der Gehirn-Computer-Interaktion (BCI) hat großes Potential sowohl für medizinische Anwendungen als auch für Technologien im privaten Bereich. Langfristig soll BCI gelähmten Menschen helfen, mittels ihrer Gedanken mit der Außenwelt zu kommunizieren. Bisher fand jedoch die meiste Forschung über BCIs zur direkten Kommunikation und Kontrolle in Laboren statt, was lebensnahe Entwicklungen auf diesem Gebiet begrenzte. Der Grund dafür ist, dass die Datenerhebung im Labor auf eine kleine Anzahl von Personen beschränkt ist und die Ergebnisse sich möglicherweise nicht auf reale Umstände übertragen lassen. Hinzu kommt, dass das komplexe medizinische Equipment, das in diesem Forschungsbereich verwendet wird, die Systeme für nicht fachkundige Benutzerinnen und Benutzer, Angehörige oder Pflegepersonal unzugänglich macht.

 

Am Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme haben wir uns gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Universität Wien haben diesen Herausforderungen nun mit MYND gestellt (“MYND: Unsupervised Evaluation of Novel BCI Control Strategies on Consumer Hardware”). Dabei handelt es sich um eine Open-Source-Software, die alltagsfähige Aufzeichnungsgeräte mit einer einfach zu bedienenden App kombiniert. Unsere Arbeit haben wir 2020 auf dem ACMSymposium on User Interface Software and Technology (UIST), einem führenden Forum für Innovationen im Bereich der Mensch-Computer-Interaktion, präsentiert.

In der BCI-Forschung nutzen maschinelle Lernmodelle aufgezeichnete neuronale Aktivität, um bestimmte mentale Zustände zu erkennen. Die meisten Systeme werden jedoch nur im Labor und nicht in realen Umgebungen getestet. MYND bietet nun die Möglichkeit, Studien außerhalb des Labors mit erschwinglicher Hardware durchzuführen. MYND dient somit als Werkzeug, das Grundlagenforschung effektiv ergänzt, indem es Fragen zum tatsächlichen Alltagsgebrauch stellt.

Mit MYND hoffen wir, einen Rahmen zu schaffen, der es Forscherinnen und Forschern ermöglicht, konzeptuelle BCI-Systeme unter realistischen Bedingungen zu evaluieren. Schließlich sollen Gehirn-Computer-Schnittstellen funktionieren, wo und wann immer Benutzerinnen und Benutzer sie brauchen. Besonders inmitten der weltweiten COVID-19-Pandemie hat sich gezeigt, dass der eingeschränkte Zugang zu Laboren die Datenerfassung und die Forschung in den empirischen Wissenschaften stark beeinträchtigen kann. MYND geht diese Herausforderung effektiv an.

Im Verlauf der MYND-Studie haben wir 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, ein alltagstaugliches Elektroenzephalogramm (EEG) zu verwenden, ein Gerät, das am Kopf angebracht wird und die neuronale Aktivität des Gehirns aufzeichnet. Die Probandinnen und Probanden beschäftigten sich dann mit bestimmten mentalen Aufgaben: In einer ersten Aufgabe sollten sie abwechselnd an eine glückliche Erinnerung denken und eine Rechenaufgabe lösen. In der zweiten wurden sie gebeten, sich abwechselnd an ein Lied zu erinnern und eine Rechenaufgabe zu lösen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer führten beide Aufgaben mehrmals im Laufe einer Woche durch und zeichneten dabei die neuronale Aktivität auf. Nach Abschluss der Studie waren Modelle des maschinellen Lernens in der Lage, die mentale Aufgabe aus der aufgezeichneten neuronalen Aktivität mit einer signifikanten Genauigkeit von 68,5 Prozent beziehungsweise 64 Prozent abzuleiten.

Dabei stellten wir fest, dass die Erkennungsgenauigkeit – das heißt wie unterschiedlich die neuronalen Aktivitätsmuster zwischen den mentalen Aufgaben waren - mit dem Fortschreiten der Studie abnahm. Dies könnte daran gelegen haben, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer jeden Tag die gleiche Übung durchgeführt haben. Dies könnte möglicherweise behoben werden, wenn Nutzerinnen und Nutzer MYND dazu verwenden würden, selbst entwickelte Strategien nach einem Zeitplan ihrer Wahl zu verfolgen – etwas, das in einer traditionellen Laborumgebung nicht möglich wäre. Die Open-Source-Software eröffnet somit die Möglichkeit, die BCI-Laborforschung um Aspekte der Mensch-Computer-Interaktion zu erweitern.

Wir sind zuversichtlich, dass unser Ansatz eine tragfähige Grundlage für weitere Forschungen über die Nutzung von BCI im täglichen Leben schaffen wird. Die Open-Source-Software MYND ist für die Entwicklung und externe Forschungsbeiträge auf github verfügbar, zusammen mit einer Dokumentation und Anleitung für die wahrscheinlichsten Anpassungen, wie das Hinzufügen von neuer Aufzeichnungshardware oder experimentellen Szenarien.

Literaturhinweise

Hohmann, M. R.; Konieczny, L.; Hackl, M.; Wirth, B.; Zaman, T.; Enficiaud, R.; Grosse-Wentrup, M.; Schölkopf, B.
MYND: Unsupervised Evaluation of Novel BCI Control Strategies on Consumer Hardware
Hohmann M. R.
UIST Talk
https://youtu.be/MEBZ2lwOTrk
Hohmann, M. R.
Software Publication
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