Forschungsbericht 2021 - Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik

Welche Auswirkungen hat die Sars-CoV-2-Pandemie für den älteren Teil der europäischen Bevölkerung? 

Autoren
Gruber, Stefan; Sand, Gregor; Börsch-Supan, Axel
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik, München
Zusammenfassung
Der Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (SHARE) ist eine repräsentative Umfrage zur Lebenssituation der Bevölkerung im Alter von 50+ in 27 europäischen Ländern und Israel. Mit seiner multidisziplinären und internationalen Ausrichtung ist SHARE ein ideales Setting für die Analyse der Pandemiefolgen. Der vorliegende Beitrag skizziert zentrale Ergebnisse der SHARE-Corona-Studie zu gesundheitlichen, ökonomischen und sozialen Auswirkungen der Sars-CoV-2-Pandemie und der politischen Eindämmungsmaßnahmen für die Lebenssituation des älteren Teils der europäischen Bevölkerung.
 

Der Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe reagierte auf den Ausbruch der Pandemie mit einer Sonderbefragung zu gesundheitlichen und sozioökonomischen Folgen. Der Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (SHARE) ist eine repräsentative Langzeitumfrage zur Lebenssituation der Bevölkerung im Alter von 50+, die 2004 begonnen wurde und mittlerweile über 140.000 Personen aus 27 europäischen Ländern sowie Israel umfasst. SHARE wird zentral koordiniert von einem interdisziplinären Team um Axel Börsch-Supan am Munich Center for the Economics of Aging (MEA), einer Abteilung des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik.

Der Ausbruch der Sars-CoV-2-Pandemie traf SHARE während der achten Erhebungswelle. Im März 2020 mussten zum Schutz der Befragten und Interviewer alle persönlichen Face-to-face-Interviews abgebrochen werden. Bereits wenige Wochen danach startete das SHARE-Team eine angepasste Umfrage, den sogenannten SHARE Corona Survey, der Informationen zur spezifischen Lebenssituation der älteren Bevölkerung während der Pandemie anhand computergestützter Telefoninterviews erfasste [1]. Die erste Befragungsrunde des SHARE Corona Survey fand im Sommer 2020 statt. In einer zweiten Runde im Sommer 2021 wurden die Teilnehmer erneut interviewt, um Veränderungen zwischen dem Beginn der Pandemie und der Situation ein Jahr später abzubilden. Die Forschungsinfrastruktur von SHARE ist mit seiner multidisziplinären und internationalen Ausrichtung ein ideales Setting, um zu analysieren, wie die Risikogruppe der älteren Menschen über 50 Jahren mit den gesundheitlichen und sozioökonomischen Auswirkungen der Pandemie zurechtkommt und welche unbeabsichtigten Folgen politische Maßnahmen zur Eindämmung der Virusverbreitung haben können. Seit Oktober 2020 wird das Projekt unter dem Akronym SHARE-COVID19 im Programm Horizon 2020 der Europäischen Union gefördert.

Zentrale Studienergebnisse zur gesundheitlichen, ökonomischen und sozialen Lebenssituation

Die bisherigen Ergebnisse der verschiedenen Forschungsbereiche des SHARE-COVID19-Projektes sind im Bericht „Results of the 1st SHARE Corona Survey Project“ ausführlich dargestellt [2]. Im Folgenden werden die wichtigsten Resultate skizziert.

Während der Pandemie war der Zugang zu bestimmten Bereichen der Gesundheitsversorgung eingeschränkt. Besonders Befragte in prekärer wirtschaftlicher Lage, mit schlechtem Gesundheitszustand und hoher Inanspruchnahme gesundheitlicher Leistungen berichteten einen ungedeckten medizinischen Bedarf. Hinsichtlich der mentalen Gesundheit während der Pandemie zeigte sich, dass in Ländern mit hohen Todeszahlen in der ersten Welle und strikten Lockdown-Maßnahmen über einen längeren Zeitraum der Anteil der Befragten größer war, für den sich die mentale Gesundheit seit Ausbruch der Pandemie verschlechterte.

Eine Studie analysiert die Impfbereitschaft der älteren Bevölkerung vor dem Hintergrund demografischer, sozioökonomischer und gesundheitlicher Faktoren. Es zeigt sich dabei ein deutliches West-Ost-Gefälle innerhalb Europas: In den meisten osteuropäischen und baltischen Staaten ist die Impfunsicherheit und -verweigerung stärker ausgeprägt als in anderen Regionen Europas. Besonders hoch war der Anteil nicht geimpfter Personen im Südosten, in Rumänien und Bulgarien (Stand: August 2021).

Eine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit während der Pandemie erhöhte das Risiko für finanzielle Schwierigkeiten signifikant, vor allem für Frauen, Selbstständige und Personen mit niedrigem Bildungsabschluss. Schützend vor Einkommenseinbußen wirkten ein hohes Bildungsniveau, ein hohes Erwerbseinkommen vor der Pandemie und ein Alter jenseits des Renteneintrittsalters. Insgesamt verschärfte die Pandemie die ökonomischen Ungleichheiten für Haushalte unterhalb des Renteneintrittsalters. Neben individuellen Merkmalen spielen auch die unterschiedlichen Lohnhilfen der Länder eine wichtige Rolle. In Ländern, in denen das Kurzarbeitergeld großzügiger vergeben wurde, waren die Befragten besser vor finanziellen Schwierigkeiten geschützt.

Die Bevölkerung war dazu aufgerufen, Mobilität und soziale Kontakte zu reduzieren, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Frauen und ältere Personen schränkten ihre Aktivitäten stärker ein als Männer und jüngere Befragte. In der ersten Welle zeigten sich deutliche Länderunterschiede beim Selbstschutzverhalten der Bevölkerung (zum Beispiel soziale Kontakte reduzieren oder Maske tragen). Ein relativ geringes Maß wurde in nordeuropäischen, ein hohes Maß hingegen in den besonders hart von der ersten Welle betroffenen südeuropäischen Ländern beobachtet.

Besonders die Reduzierung sozialer Kontakte könnte sich für den älteren Teil der Bevölkerung negativ auswirken. Zwar haben ältere Menschen im Durchschnitt ein kleineres soziales Netzwerk als jüngere, jedoch ist für sie die Bedeutung der wenigen Kontakte besonders groß. Häufig waren Kontakte zu bestimmten Teilen des sozialen Netzwerks nur noch in technisch vermittelter Form möglich. Diese hatten im Gegensatz zu persönlichen Kontakten jedoch keine protektive Wirkung auf das psychische Wohlbefinden der Befragten.

Die negativen Folgen der Pandemie variierten nach den Wohnverhältnissen. Befragte, die außerhalb einer großen Stadt wohnten, berichteten weniger von Schlafproblemen und depressiven Gefühlen, vor allem, wenn sie nicht alleine lebten. Befragte in einer Ein- oder Zweiraumwohnung hatten ein erhöhtes Risiko dafür, depressive Symptome zu entwickeln. Besonders stark von Einsamkeit betroffen waren Einpersonenhaushalte.

Das Projekt SHARE-COVID19 wird diese Ergebnisse durch weitere Analysen und Fragestellungen ergänzen. Künftige Untersuchungen werden Veränderungen zwischen der anfänglichen Phase der Pandemie und der Situation ein Jahr später abbilden. Schließlich werden aus der Summe der multidisziplinären und länderübergreifenden Ergebnisse politische Empfehlungen abgeleitet.

Literaturhinweise

Scherpenzeel, A.; Axt, K.; Bergmann, M.; Douhou, S.; Oepen, A.; Sand, G.; Schuller, K.; Stuck, S.; Wagner, M.; Börsch-Supan, A.
Collecting survey data among the 50+ population during the COVID-19 outbreak: The Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (SHARE)
Survey Research Methods, 14 (2), 217–221 (2020)
 
SHARE-ERIC
Results of the 1st SHARE Corona Survey Project SHARE-COVID19 (Project Number 101015924, Report No. 1, March 2021)
SHARE-ERIC, Munich (2021)
Bergmann, M.; Hannemann, T.-V.; Bethmann, A.; Schumacher, A.
Determinants of SARS-CoV-2 Vaccinations in the 50+ Population
 
SHARE Working Paper Series 72-2021. Munich Center for the Economics of Aging (MEA). SHARE-ERIC, Munich (2021)
 
Litwin, H.; Levinsky, M.
Network-exposure severity and self-protective behaviors: The case of Covid-19
In: SHARE-ERIC. Results of the 1st SHARE Corona Survey Project SHARE-COVID19 (Project Number 101015924, Report No. 1, March 2021), 22–23. SHARE-ERIC, Munich (2021)
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