Forschungsbericht 2021 - Max-Planck-Institut für Kohlenforschung

Forscher erreichen reaktive Katalysatorintermediate für gezielte Tritiummarkierung: Erste homogen-katalysierte Hydrogenolyse von Aryl(pseudo)halogeniden eröffnet einfachen und schnellen Zugang zu tritiierten Pharmazeutika 

Autoren
Tobias Ritter
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Kohlenforschung, Mülheim an der Ruhr
Zusammenfassung
Das radioaktive Wasserstoff-Isotop Tritium 3H wird in der Medizinalchemie gern als Markierung für die Entwicklung neuer Pharmazeutika verwendet. Oft wird Tritium mithilfe von heterogenen Katalysatoren in Moleküle eingebaut, die leider häufig ungewollt andere Gruppen in Wirkstoffen zerstören. Wir haben nun ein Verfahren entwickelt, in dem erstmals homogene Katalysatoren für eine Hydrogenolysereaktion an solchen Molekülen benutzt werden können, um diese mit Tritium zu markieren. Sie sind mit anderen Gruppen kompatibel und erwiesen sich als überraschend einfach in der Anwendung.
 

Tritium-Markierungen werden oft in der pharmazeutischen Entwicklung benutzt, um relevante Moleküle im Körper zu verfolgen. Auch die Verstoffwechselung chemischer Substanzen kann durch Tritium-markierte Moleküle beobachtet werden, so dass Chemiker das Verfahren gern für die Beurteilung und Testung von Arzneimittelkandidaten verwenden. Tritium wird so häufig genutzt, weil es sich chemisch fast so wie das am meisten natürlich vorkommende Wasserstoffisotop verhält. Daher unterscheiden sich die Moleküle mit dem Tritium-Label funktional fast nicht von ihren nicht-radioaktiven Basismolekülen, sie lassen sich jedoch durch die Radioaktivität genau und schon in kleinsten Spuren verfolgen.

Die Herstellung radioaktiv markierter Moleküle ist herausfordernd

Ein gängiges Verfahren, das derzeit für die Herstellung von tritiierten Molekülen für die pharmazeutische Forschung benutzt wird, basiert auf der sogenannten Hydrogenolyse von Arylhalogeniden. Viele Pharmazeutika haben Aryl-Gruppen, die mit Halogenen, wie beispielsweise Brom, funktionalisiert werden können. Dann werden heterogene Katalysatoren mit Tritium-Gas dafür benutzt, das Halogen gegen Tritium auszutauschen, um die benötigten gelabelten Moleküle zu erhalten. Das Problem dabei ist, dass heterogene Katalysatoren bei diesem Verfahren auch oft mit anderen Gruppierungen in den relevanten Molekülen reagieren und diese dabei ungewollt verändern. Das Resultat ist dann ein anderes Molekül mit einem Tritium-Label, welches aber für die ursprüngliche Fragestellung nutzlos geworden ist.

Bei der Funktionalisierung von komplexen Molekülen, wie etwa vielen Pharmazeutika, können homogene Katalysatoren oft besser zwischen verschiedenen Gruppierungen innerhalb dieser Moleküle differenzieren, also besser selektiv mit einer Gruppe reagieren und diese umsetzen, ohne die anderen zu verändern. Jedoch waren bis jetzt noch keine homogenen Katalysatoren bekannt, die Arylhalogenide mit Wasserstoffgas zu den gewünschten Produkten umsetzen konnten. Dieser Tatbestand überrascht – gehören doch katalytische Hydrogenierungen zu den am besten verstandenen und am häufigsten benutzten Reaktionen in der Chemie.

Homogen katalysierte Hydrierungen, also die Addition von Wasserstoff an viele ungesättigte Funktionalitäten in Molekülen, sind seit langem bekannt und werden in großem Maßstab selbst großtechnisch angewandt. Um Tritium in Aromaten einzuführen, benötigt es jedoch keine Wasserstoff-Addition, sondern einen Austausch, also eine Substitution von einer Gruppe, die bereits in Aromaten eingefügt ist, zum Beispiel einem Halogenid. Homogene Katalysatoren können gut und selektiv mit solchen Arylhalogeniden reagieren, anschließend jedoch nicht mehr mit Wasserstoff. Hier liegt das Problem in einem feinen mechanistischen Detail. Sobald ein Arylhalogenid mit gängigen homogenen Katalysatoren reagiert hat, gibt es keine produktive Reaktion mehr mit Wasserstoff. Und obwohl es viele homogene Katalysatoren gibt, die mit molekularem Wasserstoff schnell reagieren, reagieren diese dann nicht mehr mit Arylhalogeniden in der gewünschten Form. Sogar die katalytische Substitution von Halogeniden zu Wasserstoff ist möglich, aber nicht mit molekularen Wasserstoffgas (H2), und nur das ist für Markierungen mit Tritium gewünscht. Tritiiertes Wasser, mit dem die Reaktion eigentlich kein Problem wäre, ist sicherheitstechnisch unerwünscht, weil es schnell mit allgegenwärtigem Wasser (H2O) Isotope austauscht, und so Radioaktivität in die Umgebung oder die Körper der Wissenschaftler gelangen würde.

Ein zuvor entwickeltes Arylthianthren Salz für Reaktionen brachte den Durchbruch

Einem Team am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung gelang es nun in Kollaboration mit der Forschungs- und frühen

Entwicklungsorganisation des Schweizer Pharmakonzerns Roche, eine homogen katalysierte Hydrogenolyse zu entwickeln.[1] Den Durchbruch erreichten wir mit sogenannten Arylthianthren-Salzen, die am MPI vor drei Jahren für andere Reaktionen entwickelt wurden [2]. Homogene Palladium-Katalysatoren reagieren mit Arylthianthrenium-Salzen zu Palladium-Komplexen, die - im Gegensatz zu Palladium-Komplexen von Arylhalogeniden - Wasserstoff spalten können, um so die gewünschte Kohlenstoff-Tritium-Bindung zu generieren. Die unterschiedliche Reaktivität kann durch verschiedene Wechselwirkungen der beiden Gruppen mit Palladium erklärt werden. Halogenide oder andere Gruppen, die sich ähnlich verhalten, haben generell starke Wechselwirkungen mit Palladiumkatalysatoren und beeinflussen diese so, dass eine Reaktion mit Wasserstoff nicht mehr möglich ist. Mit der Thianthrengruppe, auf der anderen Seite konnten praktisch keine Wechselwirkungen festgestellt werden. So wird ein faktisch nacktes, also sehr reaktives Katalysatorintermediat gebildet, welches Wasserstoff spalten und so die Tritium-markierten Moleküle produzieren kann. Chemiker haben schon früher andere Tricks entwickelt, um solche „nackten“ Katalysatorstufen zu erreichen, aber diese Kniffe funktionieren hier nicht, wohl wegen der intermediären Palladium-Hydride die gebildet werden, so dass ähnliche Reaktionen bis vor kurzem unentdeckt blieben.

Der große Vorteil von Arylthianthrenium-Salzen ist, dass diese sehr leicht und auch selektiv direkt von komplexen Molekülen zugänglich sind. Des Weiteren ist die Reaktion mit Tritium robust und lässt sich auch an der Luft und sogar mit einem bisschen Wasser durchführen, was sie praktisch handhabbar macht. Ziel ist, die Methode für die Entwicklung von Wirkstoffen einzusetzen, insbesondere für solche Moleküle, die anders nicht zugänglich wären.

 

Literaturhinweise

Zhao, D.; Petzold, R.; Yan, J.; Muri, D.; Ritter, T.:
Tritiation of aryl thianthrenium salts with a molecular palladium catalyst
 
Nature 2021, 567, 223-228
F. Berger, F.; Plutschack, M. B.;  Riegger, J.; Yu, W.;  Speicher, S.; Ho, M.; Frank, N.; Ritter, T.;:
Site-selective and versatile aromatic C−H functionalization by thianthrenation.
Nature 2019, 567, 223-228
Zur Redakteursansicht