Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht
Kommentar zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: Orientierung in einer anspruchsvollen Querschnittsmaterie
Commentary on Supply Chain Act: Orientation for a demanding interdisciplinary topic
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg
Kurz nach dem Inkrafttreten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) am 1. Januar 2023 ist dazu ein Großkommentar erschienen, der zu einem wesentlichen Teil von einem Team in meiner Arbeitsgruppe verfasst worden ist [1]. Meine Mitarbeiter Claas-Lennart Götz, Philipp Alexander Hülse, Christian Kolb, Stefan Korch und Christian Stemberg sind mit eigenen Kommentierungen beteiligt. Das Werk ist ein Gemeinschaftsprojekt mit dem am 10. Februar 2022 unerwartet verstorbenen Peter Mankowski, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Internationales Privat- und Prozessrecht sowie Rechtsvergleichung an der Universität Hamburg, und seinen Mitarbeitenden. Er bleibt posthum Mitherausgeber des Kommentars.
Komplexe Verflechtungen
Das LkSG verpflichtet ab 2023 Unternehmen mit über 3.000, ab 2024 auch Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten im Inland, international anerkannte Menschenrechts- und bestimmte Umweltstandards zu achten. Dadurch sollen insbesondere Kinderarbeit, Sklaverei und Zwangsarbeit, die Missachtung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, die Vorenthaltung eines angemessenen Lohns, die Missachtung des Rechts, Gewerkschaften zu bilden, die Verwehrung des Zugangs zu Nahrung und Wasser sowie der widerrechtliche Entzug von Land und Lebensgrundlagen bekämpft werden.
Die neuen Verpflichtungen wurzeln also im internationalen Recht. Wie aber können Unternehmen zu Adressaten völkerrechtlicher Bestimmungen werden? Wie sehen die Sanktionen aus? Das Recht welchen Staates kommt bei Haftungsansprüchen in internationalen Lieferketten zur Anwendung? Welches Gericht ist zuständig?
Im LkSG trifft eine Vielfalt rechtlicher Materien aufeinander. Es schafft Schnittstellen zwischen dem Gesellschafts- und Unternehmensrecht, dem Vertragsrecht, dem internationalen Privatrecht und dem internationalen Zivilverfahrensrecht sowie dem öffentlichen Recht und dem Völkerrecht. Flankierend kommen strafrechtliche Vorschriften hinzu. Zur wissenschaftlichen Durchdringung ist es hier geboten, intradisziplinär – also unter Einbeziehung der relevanten juristischen Disziplinen – zusammenzuarbeiten.
Internationaler Kontext
Mit dem LkSG folgt Deutschland mehreren europäischen Ländern, die in den vergangenen Jahren entsprechende Gesetze geschaffen haben. Hinsichtlich der Rechtsdurchsetzung schlagen diese unterschiedliche Wege ein. Während das französische Gesetz Loi de vigilance aus dem Jahr 2017 bei Nichterfüllung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten eine zivilrechtliche Haftung vorsieht, setzt Norwegen in seinem 2021 erlassenen Transparenzgesetz ganz auf eine hoheitliche Durchsetzung durch die nationale Verbraucherschutzbehörde. Der deutsche Gesetzgeber hat sich ebenfalls für ein public enforcement entschieden.
Das Herzstück der modernen Lieferkettengesetze in Frankreich, Norwegen und Deutschland bildet die Human Rights Due Diligence, die menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken verhindern soll. Sie knüpft an das allgemeine unternehmerische Risikomanagement an und schafft neue Bezüge zwischen Aktienrecht, Aufsichtsrecht und Lieferkettenrecht.
Bei den neuen europäischen Gesetzen handelt es sich um die zweite Generation nationaler Regelungen über die Lieferkettenverantwortung. Ihnen vorausgegangen sind etwa 2010 der Dodd-Frank Act und der Transparency in Supply Chains Act in Kalifornien sowie 2015 der britische Modern Slavery Act. Diese erste Generation der Lieferkettengesetze hat es bei menschenrechtlichen Berichtspflichten belassen. Damit hat sie zwar stark zur Bewusstseinsbildung beigetragen, ist aber bei der Durchsetzbarkeit ihrer Zielsetzung an Grenzen gestoßen.
Kommentar und Handbuch in einem
Der Kommentierung der einzelnen Paragrafen stellen wir drei umfangreiche Kapitel voran, die in die Materie einführen. Erläutert werden darin die völkerrechtlichen Ursprünge und internationalen Entwicklungslinien des Lieferkettenrechts. Wir halten Rückschau auf die nicht undramatische Entwicklung in Deutschland – vom „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ im Jahr 2016 über den ersten Entwurf für ein Sorgfaltspflichtengesetz 2019 bis zum Gesetzesbeschluss im Bundestag 2021. Einer genauen Betrachtung unterziehen wir die Corporate-Social-Responsibility-Richtlinie (CSR-Richtlinie) und die Konfliktmineralien-Verordnung der EU sowie die aktuellen Vorschläge für eine EU-Richtlinie über Lieferketten. Im Rahmen einer rechtsvergleichenden Bestandsaufnahme stellen wir die weltweit bestehenden Regelungsregime von Berichts- über Sorgfaltspflichten bis hin zur deliktsrechtlichen Haftung vor und ordnen sie systematisch ein. Ein eigenes Kapitel widmen wir den kollisionsrechtlichen Aspekten internationaler Lieferketten.
Nachhaltiger Wissenstransfer
In meiner Arbeitsgruppe forschen wir bereits seit mehreren Jahren zu Fragen, die der CSR-Debatte entsprungen sind. Aus diesem größeren Kontext hat sich das Themenfeld „Wirtschaft und Menschenrechte“ herausgelöst und bildet inzwischen einen Sonderforschungsbereich. Lange vor dem Kommentarprojekt gab es bereits sichtbare Ergebnisse. In zahlreichen Fachartikeln haben wir nationale, internationale und supranationale Regelungen zur Lieferkettenverantwortung von Unternehmen zum Schutz vor menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken beleuchtet. Angesichts der praktischen Reichweite des Themas lag die Entscheidung nahe, dieses Fundament zu einem Kommentar auszubauen. Die juristische Praxis wird durch Kommentare regiert. Wir wollen unsere Forschung auch da einbringen, wo sie jeden Tag gebraucht wird.
Literaturhinweis
Kommentar