Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie
Zurück in die Zukunft der Photosynthese
Kein Leben ohne Photosynthese
Unser heutiges Leben beruht auf Photosynthese betreibenden Organismen wie Pflanzen und Algen, die CO2 einfangen und umwandeln. Das Herzstück dieses Prozesses ist ein Enzym namens Rubisco, das jährlich mehr als 400 Milliarden Tonnen CO2 bindet. Die heute lebenden Organismen produzieren erstaunliche Mengen dieses Enzyms: Das Gesamtgewicht von Rubisco auf unserem Planeten entspricht in etwa dem aller Menschen. Um diese dominante Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf zu erlangen, musste Rubisco sich fortlaufend an veränderte Umweltbedingungen anpassen.
Mit einer Kombination aus rechnerischen und synthetischen Ansätzen ist es unserem Forscherteam am Max-Planck-Institut in Marburg in Zusammenarbeit mit der Nanyang Technological University Singapur gelungen, Milliarden Jahre alte Enzymstrukturen im Labor nachzubauen und zu untersuchen. Mit dieser Methode, die wir als "molekulare Paläontologie" bezeichnen, konnten wir zeigen, dass anstelle direkter Mutationen im aktiven Zentrum eine völlig neue Komponente die Photosynthese vor Urzeiten auf den steigenden Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre vorbereitet hat.
Urzeitliche Verwirrung des Enyzms Rubisco
Rubisco ist uralt und entstand im Ur-Stoffwechsel vor mehr als zwei Milliarden Jahren, noch bevor es auf der Erde Sauerstoff gab. Mit der Entwicklung der sauerstoffproduzierenden Photosynthese und dem damit verbundenen Anstieg des Sauerstoffs in der Atmosphäre begann Rubisco jedoch, auch eine Fehlreaktion zu katalysieren: Das Enzym verwechselte O2 mit CO2 und produzierte Stoffwechselprodukte, die für die Zelle giftig sind. Diese Substrat-Ungenauigkeit beeinträchtigt Rubisco bis heute, und sie vermindert die Effizienz der Photosynthese. Obwohl Rubisco-Varianten von Organismen in sauerstoffhaltigen Umgebungen im Laufe der Zeit immer spezifischer für CO2 wurden, konnte keines von ihnen die hinderliche Sauerstoff-Bindereaktion ganz abstellen. Der Grund für die Verbesserung der CO2-Spezifität ist noch weitgehend unbekannt. Dieser aber ist von großem Interesse, wenn man darauf abzielt, die Effizienz der Photosynthese zu verbessern. Auffallend ist, dass Rubisco-Formen, die eine erhöhte CO2-Spezifität aufweisen, eine neue Proteinkomponente mit unbekannter Funktion aufweisen. Man vermutet, dass diese Komponente an der Steigerung der Spezifität beteiligt ist (Abb. 1). Doch das ist schwer zu ermitteln, da ihre Entstehung Milliarden Jahre zurückliegt.
Die Wiedererweckung uralter Proteine im Labor
Um dieses entscheidende Ereignis in der Evolution CO2-spezifischerer Rubisco-Varianten besser zu verstehen, nutzten wir einen statistischen Algorithmus, der es ermöglicht, die Sequenzen uralter Proteine basierend auf ihren heutigen Nachfahren zu berechnen. Mit diesem Algorithmus rekonstruierten wir am Computer diejenigen Formen der Rubisco, die vor Milliarden von Jahren existierten, bevor der Sauerstoffgehalt anstieg. Es gelang uns, die uralten Proteine im Labor nachzubauen und ihre Eigenschaften zu untersuchen.
Insbesondere interessierte uns die Frage, ob und wie die neue Strukturkomponente von Rubisco mit der Evolution der höheren Spezifität in Zusammenhang steht. Dies untersuchten wir, indem wir zunächst unsere uralten Rubiscos mit den Methoden der synthetischen Biologie wieder zum Leben erweckten und sie dann zusammen mit unseren Forschungspartnern von der Nanyang Technological University in Singapur biochemisch charakterisierten. Die Antwort war überraschend: Anstatt den Sauerstoff irgendwie direkt aus dem katalytischen Zentrum von Rubisco auszuschließen, scheint die neue Untereinheit als Modulator für die Evolution zu fungieren. Sie verändert den Effekt nachfolgender Mutationen auf die katalytische Untereinheit von Rubisco derart, dass zuvor unbedeutende Mutationen auf einmal einen großen Einfluss auf die Spezifität haben. Es scheint also, dass das Vorhandensein der neuen Untereinheit das evolutionäre Potenzial von Rubisco veränderte (Abb. 2; [1]).
Neuland für Enzym-Engineering
Diese Funktion als "evolutionärer Modulator" erklärt auch ein anderes Rätsel dieser Proteinkomponente: Alle modernen Rubiscos, die diese Komponente eingebaut haben, sind in ihrer Funktion vollständig von ihr abhängig, obwohl einfachere Formen von Rubisco auch ohne sie funktionieren. Der Modulationseffekt liefert den Grund: Nachdem Rubisco an diese kleine Proteinkomponente gebunden war, konnte das Enzym Mutationen tolerieren, die ohne diese Komponente katastrophal gewesen wären. Sobald sich genügend solcher Mutationen angesammelt hatten, wurde Rubisco von der neuen Untereinheit abhängig. Diese Ergebnisse geben damit Aufschluss über die bisher ungelöste Frage, warum Rubisco die neue Proteinkomponente seither beibehielt.
Die Tatsache, dass dieser Zusammenhang bis jetzt nicht verstanden war, unterstreicht die Bedeutung evolutionärer Analyse für das Verständnis unserer heutigen, aktuellen Biochemie. Die Entstehungsgeschichte von Biomolekülen wie Rubisco kann uns viel darüber erzählen, warum sie so wurden, wie sie heute sind. Es gibt viele biochemische Phänomene, deren Entstehung uns völlig unbekannt ist. Für uns Evolutionsbiochemiker ist jetzt eine sehr aufregende Zeit: Fast die gesamte molekulare Geschichte der Zelle wartet noch darauf, entdeckt zu werden. Viele Ansätze und Methoden der synthetischen Biologie versetzten uns nun in die Lage, auf Entdeckungsreise zu gehen. Darüber hinaus liefert unsere Studie wichtige Hinweise, wie die Photosynthese durch synthetisch-biologische Verfahren verbessert werden kann: Vieles deutet darauf hin, dass das Hinzufügen völlig neuer Proteinkomponenten wesentlich zielführender sein könnte als beispielsweise die Veränderung oder der Austausch von Aminosäuren in den Polypeptidketten des Rubisco-Enzyms.