Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik
Quantitative Lipid-Biochemie in lebenden Zellen
Lipide in zellbiologischen Prozessen
Lipide sind Grundbausteine der Membranen lebender Zellen und damit von zentraler Bedeutung für den Energiestoffwechsel und die Signalübertragung. Dennoch ist die Rolle von Lipiden in zellulären Prozessen eines der am wenigsten erforschten Gebiete der Zellbiologie. Wir wissen aus massenspektrometrischen Untersuchungen, dass jede Säugetierzelle Tausende von molekular unterschiedlichen Lipiden enthält, doch über die spezifischen Rollen der meisten dieser Moleküle ist so gut wie nichts bekannt.
Die Schwierigkeit, Lipide in lebenden Zellen zu untersuchen, rührt hauptsächlich von einem Mangel an Methoden her. In den letzten Jahren haben wir neue Ansätze entwickelt, um die Beteiligung von Lipiden an zellulären Prozessen auf quantitative Weise zu untersuchen. Mit solchen Experimenten kann man ihre zelluläre Lokalisierung untersuchen, ihr dynamisches Verhalten in Membranen messen und ihre Wechselwirkungen mit Proteinen in biologischen Membranen quantifizieren. Dabei werden organische Chemie und chemische Sonden, biochemische und zellbiologische Techniken eingesetzt, um Fragen der Lipid- und Membranbiologie zu beantworten. Diese Arbeiten werden vom europäischen Wissenschaftsrat (ERC Starting Grant), der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Paul-Allen-Stiftung (Allen Distinguished Investigator) gefördert.
Methoden zum Studium von intrazellulärer Lipiddynamik und -lokalisation
Gängige Techniken wie genetische Manipulationen oder Fluoreszenz-Markierung in lebenden Zellen stoßen bei zellbiologischen Untersuchungen zur Rolle von Lipiden schnell an ihre Grenzen. Lipide werden in der Zelle deutlich schneller abgebaut und abtransportiert als eine genetische Manipulation wirken kann. Ein weiteres schwerwiegendes Problem stellen die starken Veränderungen der biophysikalischen Eigenschaften von Lipiden durch den Einsatz von fluoreszenten Lipid-Farbstoffkonjugaten dar. Um diese Schwierigkeiten zu umgehen, entwickelt unsere Forschungsgruppe neuartige chemisch-biologische Ansätze. Wir entwickelten in den letzten Jahren sogenannte photoaktivierbare Lipide (caged lipids) , die es ermöglichen, durch Lichtpulse unter dem Mikroskop die Konzentration von natürlichen Lipiden in lebenden Zellen mit hoher Zeitauflösung zu manipulieren.
Um derartige chemische Werkzeuge herzustellen, wird ein natürliches Lipid chemisch mit einer sogenannten „Caging-Gruppe“ modifiziert. Die Modifikation macht das Molekül zunächst inaktiv, kann aber fotochemisch in Zellen entfernt werden, um das bioaktive Molekül freizusetzen. Sogenannte „Organell-dirigierenden Gruppen“ stellen sicher, dass die fotochemische Freisetzung nur in ausgewählten Zell-Organellen erfolgt. Durch Verwendung eines kombinatorischen Click-Chemie-basierten Ansatzes ist es nun möglich, Lipid-Konzentrationen in der Plasmamembran, in Lysosomen, dem endoplasmatischen Retikulum und den Mitochondrien gezielt zu steuern.
Quantitative Lipidbiochemie in lebenden Zellen
Das Verständnis der biologischen Rolle von Lipiden erfordert quantitative Messungen. Idealerweise finden sie in lebenden Zellen statt und nicht im Reagenzglas, da sich biologische Membranen und Modellmembranen in Struktur und Zusammensetzung stark unterscheiden. Aufbauend auf der Entwicklung von Organell-spezifischen fotoaktivierbaren Lipiden entwickelten wir daher Methoden zur Durchführung von quantitativen lipidbiochemischen Experimenten in lebenden Zellen. Dabei kombinierten wir unsere Plasmamembran-spezifischen fotoaktivierbaren Signallipide mit Biosensoren auf Basis fluoreszierender Proteine, um siein fluoreszenzmikroskopischen Untersuchungen einzusetzen.
Dieser Ansatz ermöglicht nun erstmals die direkte Bestimmung von Geschwindigkeitskonstanten für die Dynamik, den Umsatz und die Lipid-Protein-Wechselwirkungen in Lebendzellexperimenten. Unsere Beobachtungen führten zu der Hypothese, dass Zellen die Strukturvielfalt der Lipide als Mittel zur Codierung von Informationen während der Signalweiterleitung nutzen könnten. Dieses Konzept testen wir derzeit in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Christoph Zechner am Zentrum für Systembiologie Dresden (CSBD).
Die Zukunft der Lipidbiologie
Phänomenologische Studien verknüpfen Lipid-metabolisierende Enzyme, Lipid-Transporterproteine und auch einzelne Lipidspezies mit menschlichen Krankheitsbildern, ohne das klare kausale Zusammenhänge hergestellt werden können. In der Zukunft sollte der Fokus in der Lipidbiologie klar auf mechanistischen Analysen liegen. Da sich die dazu nötigen Technologien stark von den molekularbiologischen und mikroskopischen Techniken zum Studium von Proteinen unterscheiden, existieren sie bislang nur in rudimentärer Form. Unsere Ansätze aus der chemischen Biologie stellen einen vielversprechenden Weg dar, um Interaktionen von Lipiden mit zellulären Proteinen sowie Lipidtransport-und Signalübertragungsprozesse eingehend und quantitativ zu untersuchen.