Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung
Rinde als Rohstoff
Bark as a raw material
Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, Potsdam-Golm
Alleine in Deutschland fallen jährlich rund zehn Millionen Kubikmeter Baumrinde an. Sie wird bislang zu einem kleinen Teil genutzt, etwa um daraus diverse Chemikalien zu extrahieren, oder als Rindenmulch. Der größte Teil wird jedoch zur Energiegewinnung verbrannt. Wir sind der Frage nachgegangen, ob sich Rinde auf neue Art und Weise nutzen lässt, zumal der Bedarf an nachhaltigen, holzähnlichen Materialien etwa in der Baubranche und der Papierindustrie steigt. Gleichzeitig bedroht die Klimakrise die Wälder als Quellen für den Rohstoff Holz, sodass dieser künftig knapper werden dürfte. Daher wäre es erstrebenswert, auch die Abfälle der Holzproduktion zu verwerten. Wie das möglich ist, haben wir in einem Projekt in der Region Berlin-Brandenburg eingehend untersucht.
Bislang wurde Rinde kaum als Werkstoff genutzt, weil das Material sehr heterogen ist und das Wissen über seine komplexe Struktur limitiert war. In einer Zusammenarbeit von Forschenden aus den Bereichen Natur- und Kulturwissenschaften und Design haben wir zunächst die Struktur und die Eigenschaften von Baumrinde analysiert. Diese haben wir uns für unterschiedliche Anwendungen zunutze gemacht. Zu diesem Zweck haben wir zunächst von vier unterschiedlichen Baumarten aus der Region die Rinde mittels einer historischen Schälmethode geerntet, bei der die natürliche Struktur des Materials erhalten bleibt und sich auch größere Stücke gewinnen lassen.
Gepresste Rindenplatten ohne Klebstoffe
Die Herstellung von Platten ist eine Möglichkeit, die Rinde zu verarbeiten. Solche Rindenplatten könnten etwa in Möbeln, zum Beispiel als Regalböden, oder als Fußbodenbeläge verwendet werden. Um die Rinden-platten herzustellen, haben wir jeweils zwei Rindenstücke von Kiefer, Lärche, Eiche und Birke verwendet, die dicker als einen Zentimeter waren. Diese haben wir mit den Borkenseiten so aufeinander gelegt, dass die Faserrichtungen im rechten Winkel zueinander verliefen. Dann haben wir die beiden Rindenstücke bei einem Druck von maximal 97 Bar und einer Temperatur von 90 Grad 20 Minuten lang gepresst. Dabei haben wir auf Zusatzstoffe wie etwa Klebstoff verzichtet, was für die weitere Verwertung etwa als Brennstoff von großem Vorteil ist. Denn für eine solche Kaskadennutzung ist es günstig, wenn sich Materialien einfach und ohne großen Energieaufwand trennen lassen.
Strukturelle und mechanische Untersuchungen wie etwa Biegetests an den fertigen Platten haben ergeben, dass sich das Ausgangsmaterial erheblich verdichtet und die Oberflächenqualität sowie die mechanischen Eigenschaften der Platten mit denen von holzbasierten Werkstoffen vergleichbar sind. Die Art der verpressten Rinde beeinflusst dabei die Eigenschaften der Platte; als besonders stabil erwiesen sich Platten aus Eichenrinde. Auch der Feuchtigkeitsgehalt des Rohmaterials sowie die Luftfeuchtigkeit bei der Verarbeitung wirken sich auf die Eigenschaften des Materials aus. Der Einfluss der Feuchtigkeit ist ein wichtiger Aspekt für mögliche Anwendungen, um einschätzen zu können, ob oder wie stark sich Möbel bei schwankender Luftfeuchtigkeit verziehen. Wir arbeiten aktuell daran, die Platten weiter zu optimieren. So möchten wir die Eigenschaft von Rinde, bei Feuchtigkeit aufzuquellen, ausnutzen.
Als weitere Anwendung haben wir untersucht, ob sich Rinde zu Textilien verarbeiten lässt. Dabei machen wir uns zunutze, dass die Rindeneigenschaften nicht nur zwischen Baumarten variieren, sondern auch an einem Baum. So ist beispielsweise die Rinde von Kiefern im bodennahen Bereich dick und schuppig, während man weiter oben am Stamm dünne Rinde, die sogenannte Spiegelrinde, findet. Diese ist direkt nach der Ernte sehr flexibel. Wenn sie trocknet, wird sie spröde und brüchig. Um das zu vermeiden, haben wir die Rinde mit einer Mischung aus Wasser und Speiseglycerin behandelt. Das Erscheinungsbild und die Haptik des bearbeiteten Materials erinnern anschließend an Leder. Im Rahmen eines Designexperiments haben wir daraus zwei Jacken hergestellt. Das erste Modell, das wir aus großen Rindenstücken gefertigt haben, hat die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Daher haben wir das Design für die zweite Jacke verändert und schmale Rindenstreifen miteinander verwoben, wodurch sich die Bewegungsfreiheit deutlich erhöht hat. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich in unserer Forschung Materialwissenschaft und Produktdesign ergänzen.
Vielfältige Formen aus verwobener Rinde
Das gilt auch für mögliche Anwendungen in der Architektur. Die großen Mengen an Rinde, die in der Holzwirtschaft anfallen, legen es nahe, über Anwendungen in einem solchen Maßstab nachzudenken. Dabei ist es hilfreich, dass sich Rinde anders als Holz auch in komplexe Formen pressen lässt. Wie das Beispiel der Textilien zeigt, können wir zudem vielfältige Formen erzeugen, indem wir Rinde verweben. Auf diese Weise haben wir in einem architektonischen Designexperiment eine begehbare Kugel konstruiert. Die Kugel als abstrakte Form kann als Inspiration für mögliche Anwendungen von Rinde in der Architektur dienen und soll generell die Diskussion zu einem nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen anregen. Die Designerinnen Charlett Wenig und Johanna Hehemeyer-Cürten wurden für das Objekt mit einem Preis der Jungen Akademie der Wissenschaften geehrt.°