Forschungsbericht 2023 - Max-Planck-Institut für Plasmaphysik

Kernfusion: Wie sich der Plasmarand kontrolliert kühlen lässt

Autoren
Stroth, Ulrich
Abteilungen

Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Garching

Zusammenfassung
In Fusionsplasmen entstehen so große Wärmeleistungen, dass die Wände des sie umgebenden Vakuumgefäßes Schaden nehmen könnten. Der X-Punkt-Strahler, ein neu entdecktes physikalisches Phänomen, zeigt Wege auf, diese Belastung in künftigen Fusionsreaktoren deutlich zu verkleinern. Die damit geformten Plasmen zeichnen sich außerdem durch weitere günstige Eigenschaften aus.
 

In Fusionslaboren weltweit werden Plasmen erforscht, die heißer sind als die Sonne. Sie sollen künftig als ergiebige Energiequelle dienen. Ihr Einschluss gelingt in konfigurierten Magnetfeldern, die in konkurrierenden Tokamak- und Stellarator-Experimenten entwickelt werden. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Randplasma, das mit dem Vakuumgefäß der Anlagen in Kontakt tritt. Die intensivste Wechselwirkung mit dem Plasma tritt im Divertor auf, dem hitzebeständigsten Teil des Vakuumgefäßes, wohin die äußeren Magnetfeldlinien das heiße Plasma lenken.

Ein Fusionsreaktor erzeugt Energie aus der Verschmelzung von Deuterium und Tritium. Etwa 80 % der erzeugten Leistung entfällt auf Neutronen, die das Magnetfeld ungehindert verlassen können und ihre Energie auf die gesamte Reaktorwand verteilen. Die restlichen 20 % der Fusionsleistung stecken in a-Teilchen und dienen der Plasmaheizung. Über verschiedene Transportprozesse gelangt die Energie vom Hauptplasma bis in den Divertor. Die dort anfallende thermische Belastung zerstört jedes Material, wenn das Divertorplasma nicht vor Erreichen der Oberfläche abgekühlt wird. Dies gelingt durch Einbringen von Verunreinigungen wie Stickstoff oder Argon, die insbesondere bei den am äußeren Plasmarand und im Divertor vorherrschenden Temperaturen Licht mit charakteristischem Linienspektrum aussenden und so dem Plasma Energie entziehen. Die Belastung durch diese Strahlung ist unkritisch, denn sie verteilt sich auf die gesamte Wand. Bei diesem gezielten Abkühlungsprozess ist ein Verständnis der physikalischen Prozesse entscheidend. Denn nur bei optimierter Leistungsabfuhr lässt sich verhindern, dass die gezielt eingebrachten Verunreinigungen das Plasma verdünnen und damit die Fusionsleistung verringern.

Der Bereich Plasmarand und Wand am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik untersucht die physikalischen Grundlagen der Leistungsabfuhr. In einer aktuellen Arbeit haben wir einen neuen in mehreren Aspekten günstigen Zustand gefunden, in dem das Divertorplasma effizient gekühlt werden kann. Besonders dabei ist das Auftreten eines intensiv strahlenden Plasmavolumens, das am äußeren Rand des eingeschlossenen Plasmas in der Nähe des magnetischen X-Punktes beobachtet wird. Der X-Punkt befindet sich oberhalb des Divertors und definiert den Übergang zwischen den Bereichen mit geschlossenen und offenen Magnetfeldlinien. Der Schlüssel zur Entstehung dieses X-Punkt-Strahler getauften Phänomens (siehe Abb.) liegt in der topologischen Besonderheit des X-Punktes. In dessen Nähe weitet sich der Abstand zwischen magnetischen Flächen extrem auf, und es entsteht ein großes Volumen, in dem Verunreinigungen dem Plasma durch Strahlung Energie entziehen können. So ist es uns gelungen, durch Zugabe von Stickstoff dort ein kaltes, hochdichtes und stark leuchtendes Plasma zu erzeugen und zu kontrollieren. Durch die abgestrahlte Energie kühlt sich auch das Divertorplasma so weit ab, dass es sich vom Divertor ablöst. Wir erreichen damit den für ein Reaktorplasma angestrebten Zustand, in dem sowohl der Teilchen- als auch der Energiefluss auf die Divertorplatten vernachlässigbar klein werden.

Es überrascht zunächst, dass das kalte Plasma im X-Punkt-Strahler mit dem Hochtemperaturplasma auf einer magnetischen Fläche koexistieren kann, wo doch sonst, aufgrund der sehr hohen Wärmeleitung, auf Magnetfeldlinien nur geringe Temperaturdifferenzen auftreten dürfen. Möglich ist die lokale Abkühlung des Plasmas, weil in seiner Nachbarschaft die Verbindungslänge der Feldlinien zum heißen Plasma stark ansteigt. Dadurch reduziert sich der Wärmekontakt zwischen kaltem und heißem Plasma.

Die beschriebenen Sachverhalte haben wir durch Analysen von Experimenten am Tokamak ASDEX Upgrade herausgefunden. Zu diesem Zweck führten wir umfangreiche numerische Berechnungen durch, die ein zuvor entwickeltes analytisches Modell bestätigten. Mit dem gewonnenen Verständnis der physikalischen Prozesse können wir nun fundierte Vorhersagen für zukünftige Reaktorplasmen machen. Der im Modell abgeleitete Schlüsselparameter sagt voraus, dass der X-Punkt-Strahler bei größeren Plasmen, wie beim Fusionsexperiment ITER oder in späteren Fusionskraftwerken, sogar leichter realisierbar sein sollte, als in unserem Experiment ASDEX Upgrade.

Die Höhe des X-Punkt-Strahlers, und damit die Menge an abgestrahlter Leistung, können wir in Echtzeit über die Zugabe von Verunreinigungen kontrollieren. Ab einer bestimmten Höhe führt der Energieverlust aus dem X-Punkt-Strahler zusätzlich zur Unterdrückung von Instabilitäten am Plasmarand (ELMs), die aufgrund der damit verbundenen gepulsten Energieauswürfe Divertoren in größeren Tokamaks stark belasten würden. Bei der Planung von Reaktoren wird zur Unterdrückung von ELMs bisher ein aufwendiger Einbau von zusätzlichen Magnetfeldspulen in Betracht gezogen. Es wäre eine erhebliche Vereinfachung für die Reaktorentwicklung, wenn auf solche Zusatzspulen verzichtet werden könnte.

Das gute Verständnis des X-Punkt-Strahlers hat uns zu Experimenten ermutigt, die im herkömmlichen Plasmabetrieb den Divertor beschädigt hätten. Unmittelbar vor einem größeren Umbau an ASDEX Upgrade haben wir Plasmaentladungen entwickelt, bei denen wir den X-Punkt bis direkt auf die Gefäßwand verschieben konnten. Dabei war es wichtig, zunächst einen X-Punkt-Strahler in einem bekannten Szenario zu etablieren und so das Plasma schonend von der Divertoroberfläche abzulösen. Im nächsten Schritt haben wir die Magnetfeldkonfiguration so modifiziert, dass der magnetische X-Punkt bis direkt auf die Wand verschoben wurde. Unsere Erwartungen bestätigten sich, nachdem Infrarot-Beobachtungen der Oberflächen nur eine schwache Belastung des Materials zeigten.

Diese Experimente liefern wichtige Impulse für die Entwicklung von Fusionsreaktoren, indem sie Wege zu erheblich vereinfachten Divertorkonzepten aufzeigen. Zusätzlich ist zu erwarten, dass die entsprechend geformten Plasmen stabiler sind und das Vakuumgefäß besser ausnutzen, als bisherige Plasmaszenarien. Da auch die ELMs unterdrückt werden, liefern die erzielten Ergebnisse eine mögliche Basis für die Entwicklung ökonomischerer Fusionsreaktoren.

Literaturhinweise

T. Lunt, M. Bernert, D. Brida, P. David, M. Faitsch, O. Pan, D. Stieglitz, U. Stroth, and A. Redl (the ASDEX Upgrade team)
Compact Radiative Divertor Experiments at ASDEX Upgrade and Their Consequences for a Reactor
Phys. Rev. Lett. 130, 145102 – Published 4 April 2023

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht