Der „Doktor“ muss eine harte Währung bleiben
Die „Causa Guttenberg“ und die nachfolgenden Plagiatsaffären um Politiker wie Silvana Koch-Mehrin oder Jorgo Chatzimarkakis werfen kein gutes Licht auf den Wert der Wissenschaft in unserer Gesellschaft. Damit ist eine eigentlich stabile Währung, der Doktorgrad, unter Druck geraten. Schließlich ist zumindest in Teilen der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt worden, Abschreiben sei ein Kavaliersdelikt, um einen begehrten Namenszusatz zu erhalten. Auch wenn die Dunkelziffer im Schatten der prominenten Fälle noch viel höher liegen mag – Vorwürfe wie diese treffen auf den ganz großen Teil der Forscher gar nicht zu. Das sind jene, die mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit zu Erkenntnisfortschritt beitragen wollen und sich zu Recht beklagen, aufgrund von Einzelfällen kollektiv im Verdacht zu sein.
Allein in der Max-Planck-Gesellschaft arbeiten derzeit etwa 5.000 Nachwuchsforscher an ihrer Dissertation - ob an einem der 80 Max-Planck-Institute oder eingebunden in die Netzwerke der 62 in Kooperation mit den Universitäten betriebenen International Max Planck Research Schools. Das sind junge Frauen und Männer aus allen Teilen der Welt, die sich jahrelang mühen. Sie spüren dem Ursprung des Universums nach, fahnden nach verborgenen Nanostrukturen in Zellen, analysieren die Anatomie in den Werken von Leonardo da Vinci – ringen mit sich und um Erkenntnis. Diese auf Papier niederzulegen, ist das Ziel jeder Dissertation. Genau das macht den Doktor zu einer verlässlichen Währung.
Der Weg zur Promotion ist unterschiedlich – Forschen nach Feierabend, auch das ist möglich. Das ist anstrengend und im Grunde ist bereits viel erreicht, wenn im Leben eine Karriere gelingt. Jedem, der den Triathlon von Familie, Wissenschafts- und Politik- oder Wirtschaftskarriere mit Fairplay bis in die Fußnote meistert, gebührt deshalb größter Respekt. Wenn dabei aber grob gefoult wird, weil der Doktortitel nur blinkendes Aushängeschild sein soll, dann gehört der Kandidat vom Spielfeld der Wissenschaft und auch der Politik gestellt. Schließlich geht es um Wahrhaftigkeit.
Die „Causa Guttenberg“ und die übrigen Plagiatsaffären sollten wir aber auch als Chance begreifen. Zeigt sich doch, dass der Doktortitel als zentrale Währung der Wissenschaft nur dann Substanz hat, wenn er auf ernsthaftem Forschen beruht – und dieses neben der Unabhängigkeit vor allem Zeit braucht. In einer Welt, die sich nicht zuletzt durch den Takt von Internet und Smartphone immer schneller zu drehen scheint, droht aber gerade diese knapp zu werden. Weil immer mehr schneller möglich ist, steigt der Erwartungsdruck. Wissenschaft muss sich dem stellen – kann mit ihrer Liebe und dem Zwang zur Gründlichkeit aber nicht mithalten, wenn das Internet vor allem als Geschwindigkeitsmaschine der Medien dient.
Dabei sind die digitale Kommunikation und der sekundenschnelle Austausch auch für die Forschung zugleich ein Segen. Gerade in einer Organisation wie der Max-Planck-Gesellschaft, die in vielen Teilen der Welt präsent und vernetzt ist. Die Erkenntnisse internationaler Forscherteams lassen sich mit wenigen Mausklicks rund um die Welt schicken. Zusammenarbeit ist möglich, die einst undenkbar war. Zudem bieten Datenbanken Zugriff zu immer umfangreicheren Wissensbeständen. Dass damit auch Abschreiben via „Copy-and-Paste“ erleichtert wird, gehört leider zu den einfachen Wahrheiten. An diesem Punkt offenbart die Debatte über die Plagiatsaffären ihren tieferen Kern: Die technischen Möglichkeiten, Plagiate zu entdecken, aber auch anzufertigen, sowie der Trend zur Schnelligkeit – all dies macht es nötig, vereinbarte Standards stärker im Alltag des Forschens zur Geltung zu bringen.
Zwar können auch wir nicht ausschließen, dass Forscher in unseren Reihen Erkenntnisse anderer einfach übernehmen – doch haben wir eine Reihe von Vorkehrungen in der Praxis verankert, die dem zentral entgegenwirken. Das ist in erster Linie die Qualität der Ausbildung: Unsere Doktoranden haben drei Jahre Zeit für ihre Promotion. Sie sind beteiligt an der Forschung eines Max-Planck-Instituts und gleichzeitig eingebunden in die Universität. Das führt in der Regel zu einer sehr guten Betreuung. Insbesondere in den 63 International Max Planck Research Schools gibt es strukturierte Programme für die jungen Wissenschaftler. Sie profitieren von einem umfangreichen Kursangebot, bei dem wissenschaftliches Arbeiten und Schreiben eine immer größere Rolle spielt. Wir können deshalb sagen, dass sich das Prinzip der International Max Planck Research Schools in zehn Jahren zu einem Erfolgsmodell entwickelt hat. Und Umfragen bestätigen das: Fast drei Viertel der Doktoranden der Max-Planck-Gesellschaft sagen, dass sie mit der Betreuung während der Promotion hoch zufrieden sind.
Die sehr guten Bedingungen für Doktoranden helfen aber nichts, wenn es nicht den kritischen Geist in allen Instituten gäbe. Gemäß den vom Senat der Max-Planck-Gesellschaft festgelegten „Regeln zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ fordern wir Redlichkeit beim wissenschaftlichen Arbeiten ein und setzen auf den offenen Dialog. Damit klar wird, dass das Polieren von Forschungsreihen oder das Abschreiben nicht kleinzureden sind, sondern das Herz wissenschaftlichen Arbeitens berühren. Jeder, der Doktoranden betreut, hat eine ganz besondere Vorbildfunktion. Zudem gibt es an allen wissenschaftlichen Einrichtungen der MPG eine Ombudsperson. Diese Vertrauensleute sind nicht nur verpflichtet, Missständen nachzugehen, sondern haben explizit den Auftrag, jene, die als „Whistleblower“ Verdachtsfälle melden, durch den Mantel der Anonymität zu schützen.
Die Verlässlichkeit des Doktortitels wird nur gestärkt, wenn es gelingt, bundesweit einen stabilen Wechselkurs für die Währung der Wissenschaft zu schaffen. Die Dissertation in den Doktorgrad zu tauschen, das darf nur bei hohen Qualitätsstandards möglich sein. Angesichts der Plagiatsaffären ist der Ruf nach verbindlicheren Regeln naheliegend und wohl auch berechtigt. Die entsprechende Debatte läuft, Hochschulen und Wissenschaftsrat sind beteiligt. Dass die Allianz der Wissenschaftsorganisationen Ende November die Argumente bei einer Tagung in Berlin zentral bündeln und diskutieren will, ist absolut begrüßenswert. Mindestens ebenso wichtig ist es aber, dass die bereits vorhandenen Regeln guter wissenschaftlicher Praxis nicht nur auf dem Papier stehen, sondern in allen Hochschulen lebendig vermittelt werden – beginnend im Grundstudium. Denn bereits bei den ersten Seminararbeiten bildet sich ein innerer, individueller Standard, mit dem die eigene Wissenschaftskarriere weitergeht. Zentraler Schlüssel zu Qualität ist zudem die Betreuungssituation zwischen Doktorand und Doktorvater. Wenn die Zusammenarbeit so eng ist, dass sich eine echte Forschungsbeziehung entwickelt, steigt nicht nur die Chance auf bessere Ergebnisse, es ist auch moralisch ungemein schwerer, fremde Leistungen oder falsche Testreihen als eigene Erkenntnis auszugeben. Engere Zusammenarbeit, besserer Austausch – so wie an den International Max Planck Research Schools oder den Graduiertenschulen, die im Zuge der Exzellenzinitiative entstanden sind. Diesen Weg zu gehen, ist richtig. Er bedeutet auch mehr Klasse und weniger Masse.
Hinzu kommt, dass man für seine eigene Qualität im wissenschaftlichen Arbeiten auch verbindlich einsteht. Das lässt sich festschreiben in den Promotionsordnungen. Zumindest in einzelnen Punkten sind dort einheitliche Standards wünschenswert. Anders als bisher sollte es überall Pflicht sein, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben, dass die Dissertation wirklich selbst und vor allem redlich verfasst wurde. Das ist ein schärferes Schwert verglichen mit einer Ehrenerklärung, drohen dann doch auch strafrechtliche Konsequenzen. Das hat nichts damit zu tun, die Wissenschaft unter Generalverdacht zu stellen, sondern vermittelt, welche Bedeutung die Dissertation für die Gesellschaft hat.
Nur mit Schritten wie diesen können wir letztlich das Renommee des Doktortitels als Markenzeichen stärken – und dafür sorgen, dass er international als Garant für wissenschaftliche Expertise gilt. Die Messlatte muss hoch liegen, damit der Doktortitel generell Ausweis für qualitätsvolles, wissenschaftliches Arbeiten ist – nur so bleibt er Quelle für Vertrauen und ermöglicht das, was wir anstreben: den Erkenntnisfortschritt.