Kranke Herzen sollen sich künftig selbst heilen
Oncostatin M reguliert die Rückverwandlung von Herzmuskelzellen in Vorläuferzellen und ist auf diese Weise von zentraler Bedeutung für die Selbstheilungskräfte des Herzens
Im Zusammenhang mit Erkrankungen des Herzmuskels, zum Beispiel beim Herzinfarkt oder einer Kardiomyopathie, laufen auf zellulärer Ebene Umbauprozesse ab, welche die fatalen Folgen für das Organ begrenzen sollen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim und der Schüchtermann-Klinik in Bad Rothenfelde haben nun ein Protein identifiziert, das bei diesem Umbau eine zentrale Aufgabe besitzt, indem es die Rückbildung einzelner Herzmuskelzellen in ihre Vorläufer stimuliert. Nun sollen mit Hilfe dieses Proteins die Selbstheilungskräfte des Herzens verbessert werden.
Um einen geschädigten Herzmuskel, wie er sich beispielsweise nach einem Infarkt darstellt, zu regenerieren, müssen die geschädigten Muskelzellen durch neue ersetzt werden. Dabei kann es sich je nach Schädigungsgrad um beträchtliche Zellzahlen handeln, die zu ersetzen sind. Einfachere Wirbeltiere, wie etwa der Salamander, verfolgen dabei die Strategie, dass überlebende, gesunde Herzmuskelzellen sich zunächst in einen embryonalen Zustand zurückentwickeln. Dieser als Dedifferenzierung bezeichnete Prozess produziert Zellen, die eine Reihe von Stammzellmarkern in sich tragen und ihre Zellteilungsaktivität wiedererlangen. Auf diese Weise entstehen neue Zellen, die sich wiederum in Herzmuskelzellen umwandeln. Im Rahmen eines Umbaus des Muskelgewebes wird die Herzfunktion dann wiederhergestellt.
Beim Menschen ist ein derart perfektionierter Reparaturmechanismus nicht vorhanden. Vor einiger Zeit wurden zwar Herz-Stammzellen entdeckt. Es ist aber umstritten, ob inwieweit diese für die Herzreparatur überhaupt eine Rolle spielen. Erst seit wenigen Jahren ist zudem bekannt, dass Prozesse -vergleichbar denen zum Salamander- im Säugerorganismus überhaupt existieren.
Die Arbeitsgruppe von Thomas Braun vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim entdeckte nun das für die Steuerung dieser Dedifferenzierung von Herzmuskelzellen im Säuger verantwortliche Molekül. Zunächst fiel den Wissenschaftlern in Gewebsproben aus den Herzen von Infarktpatienten die hohe Konzentration von Oncostatin M auf. Von diesem Protein ist bekannt, dass es unter anderem für die Dedifferenzierung verschiedener Zelltypen verantwortlich ist. Deshalb behandelten die Forscher im Labor kultivierte Herzmuskelzellen mit Oncostatin M und konnten die Rückentwicklung der Zellen dann live unter dem Mikroskop verfolgen: „Anhand bestimmter Änderungen in den Zellen konnten wir sehen, dass innerhalb von sechs Tagen nach der Behandlung mit Oncostatin M nahezu alle Herzmuskelzellen dedifferenziert waren“, sagt Braun. „Stattdessen konnten wir in den Zellen nun verschiedene Stammzellmarker nachweisen. Dies ist als ein Hinweis darauf zu werten, dass diese Zellen nun in einen Reparaturmodus umgeschaltet worden waren.“
Dass Oncostatin M tatsächlich auf die vermutete Weise die Reparatur von geschädigtem Herzmuskelgewebe stimuliert, bewiesen die Max-Planck-Forscher in einem Infarktmodell in der Maus. Dabei war eine der beiden Testgruppen vorab genetisch derart verändert worden, dass Oncostatin M bei diesen Tieren keine Wirkung entfalten konnte. „Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen war erstaunlich: Während bei der Gruppe, in der Oncostatin M wirken konnte, nach vier Wochen noch fast alle Tiere lebten, waren bei den genetisch veränderten Mäusen 40 Prozent an den Infarktfolgen gestorben“, so Braun. Ursache war, dass Oncostatin M für eine deutlich messbar bessere Herzfunktion sorgte.
Die Bad Nauheimer Wissenschaftler möchten nun im nächsten Schritt einen Weg finden, über den Oncostatin M gezielt therapeutisch eingesetzt werden kann. Ziel ist es, die Selbstheilung eines geschädigten Herzmuskels zu stärken und erstmals eine tatsächliche Wiederherstellung der Herzfunktion zu ermöglichen. Als Kehrseite der Medaille erweist sich dabei die Beobachtung, dass im Experiment an einem chronisch erkrankten Herz Oncostatin M eher kontraproduktiv war und die Schädigung verschlimmerte. „Wir denken, das Oncostatin M ein hohes Potenzial besitzt, geschädigtes Herzmuskelgewebe effizient zu heilen. Es kommt nun aber darauf an, dass wir das Anwendungsfenster exakt definieren können, um etwaige negative Effekte zu verhindern“, sagt Braun.
MH/HR