Forschungsbericht 2009 - Max-Planck-Institut für Biogeochemie
Experimentelle Biodiversitätsforschung – das „Jena Experiment“
Einleitung
Die ansteigende Intensität der Landnutzung durch den Menschen und damit verbundene Eingriffe in Stoff- und Energiekreisläufe haben in wachsendem Ausmaß zu Veränderungen der Umwelt geführt. Damit gekoppelt ist ein Verlust an biologischer Vielfalt, der in keinem Zeitalter der Erdgeschichte ein so rasches Tempo und hohes Ausmaß erreichte, wie es in den letzten Jahrzehnten der Fall ist. Da die Konsequenzen des Verlustes an biologischer Vielfalt für Ökosystemeigenschaften kaum abschätzbar sind, hat sich der Zusammenhang zwischen Biodiversität und Ökosystemprozessen in den letzten Jahren zu einer zentralen Fragestellung ökologischer Forschung entwickelt [1]. Die Artenzahl als einfachstes Maß zur Beschreibung biologischer Vielfalt ist für ein Verständnis der Funktionsfähigkeit von Ökosystemen nicht ausreichend. Die Untersuchung funktioneller Eigenschaften von Arten, die ihre Fähigkeit zur Aneignung und Nutzung von Ressourcen, ihre Reproduktion oder Vermehrung und letztlich ihre Reaktion auf veränderte Umweltbedingungen charakterisieren, ist erforderlich, um zu einem besseren Verständnis der funktionellen Bedeutung der Biodiversität zu gelangen [2].
Biodiversitätsexperimente – das „Jena Experiment“
In bestehenden Ökosystemen beeinflussen eine Vielzahl von unkontrollierbaren Faktoren (z.B. abiotische Verhältnisse, Historie, Störungen) Ökosystemprozesse. Deshalb sind experimentelle Ansätze unter kontrollierten Bedingungen erforderlich, um die Zusammenhänge zwischen Biodiversität und Ökosystemprozessen zu untersuchen. Das „Jena Experiment“ ist eines der weltweit größten Biodiversitätsexperimente mit Graslandarten. Es wurde 2002 durch Aussaat auf einer 9 ha großen Versuchsfläche in der Saaleaue bei Jena etabliert [3]. Basierend auf einem Artenpool von 60 Pflanzenarten der mitteleuropäischen Frischwiesen (Arrhenatherion) wurden 90 große (20 x 20 m2) und über 400 kleinere Versuchsparzellen (3,5 x 3,5 m2) angelegt, die sich in Artenzahl und – zusammensetzung unterscheiden (Abb. 1). Das Versuchsdesign variiert die Faktoren Artenzahl (1, 2, 4, 8, 16, 60) und Zahl funktioneller Gruppen (1, 2, 3, 4) in allen möglichen Kombinationen. Dafür wurden die Pflanzenarten anhand von funktionellen Merkmalen in die Gruppen Gräser, kleine Kräuter, große Kräuter und Leguminosen (= stickstoff-fixierende Pflanzenarten) eingeteilt. Der so etablierte Diversitätsgradient muss durch regelmäßiges Jäten von spontan einwandernden Pflanzenarten erhalten werden.
Durch Zusammenarbeit von Wissenschaftlern des Max-Planck-Institutes für Biogeochemie Jena, der Friedrich-Schiller-Universität Jena und weiteren Universitäten werden in diesem Experiment eine Vielzahl von Ökosystemprozessen, die Diversität anderer taxonomischer Gruppen (z.B. pathogene Pilze, pflanzenfressende Insekten, Bodenorganismen) und die Variation von funktionellen Merkmalen der einzelnen Pflanzenarten in Abhängigkeit von der Diversität der Pflanzengemeinschaften untersucht. Beispielhaft werden hier Ergebnisse aus dem „Jena Experiment“ vorgestellt.
Effekte der Artenvielfalt auf das „Funktionieren“ von Ökosystemen
Produktivität: Die oberirdische Biomasseproduktion steigt mit zunehmender Artenzahl der Pflanzengemeinschaften (Abb. 2a). Das ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass artenreichere Mischungen mit höherer Wahrscheinlichkeit hochproduktive Arten enthalten („Selektionseffekt“), sondern die Arten erreichen in Mischungen durchschnittlich eine höhere Produktivität als aus ihrer Produktivität in Monokulturen zu erwarten ist („Komplementaritätseffekt“, [4]). Offensichtlich verhalten sich verschiedene Arten in der Aneignung und Nutzung von Ressourcen komplementär und können sie deshalb vollständiger zur Produktion von Biomasse nutzen. Die große Variabilität der Produktivität auf jeder Diversitätsstufe weist jedoch auf eine hohe Bedeutung der Artenzusammensetzung hin.
Invasionsresistenz: Die Anzahl von einwandernden Pflanzenarten, die nicht zu einer bestimmten Artengemeinschaft gehören („Invasoren“), nimmt mit zunehmender Artenzahl der Mischungen ab (Abb. 2b). Eine Ursache dafür ist, dass in Mischungen mit größerer Artenvielfalt die Verfügbarkeit von ungenutzten Ressourcen abnimmt. Jedoch ist die Invasionsresistenz der Mischungen auch stark von ihrer Artenzusammensetzung sowie der Identität und funktionellen Merkmalen der potenziellen „Invasoren“ abhängig.
Kohlenstoffspeicherung: Vier Jahre nach Etablierung des Versuches konnte gezeigt werden, dass die Menge an organischem Kohlenstoff, die im Oberboden (0-5 cm Tiefe) gespeichert wird, mit zunehmender Artenzahl der Pflanzengemeinschaften zunimmt (Abb. 2c).
Effekte der Artenvielfalt auf das „Funktionieren“ einzelner Arten
Obwohl mit zunehmender Artenzahl die Biomasseproduktion der Artengemeinschaften zunimmt, reagieren einzelne Arten in Mischungen jedoch mit zunehmender, abnehmender oder unveränderter Biomasseproduktion [5]. Die Analyse funktioneller Merkmale der Pflanzenarten im „Jena Experiment“ weist darauf hin, dass die Arten in artenreicheren Mischungen größere Aufwendungen unternehmen müssen, um sich essentielle Ressourcen anzueignen. Das Beispiel von vier Leguminosen-Arten zeigt, dass Arten mit geringerer Wuchshöhe in artenreicheren Mischungen diese steigern, um so der Konkurrenz um Licht mit benachbarten Pflanzen auszuweichen (Abb. 3a). Für kleinwüchsige krautige Arten wurde ermittelt, dass sie in Vielarten-Mischungen ihre Blattmorphologie verändern, um mit einer Vergrößerung des Verhältnisses von Blattfläche zu Blattmasse (höhere spezifische Blattfläche) den „Lichtfang“ in dichter Vegetation zu optimieren (Abb. 3b). Ob und wie stark solche plastischen Veränderungen von funktionellen Eigenschaften der Arten in Mischungen ausgeprägt sind, ist aber sehr artspezifisch. So bieten funktionelle Unterschiede zwischen den Arten und ihre Anpassungsfähigkeit an veränderte Wuchsbedingungen in Pflanzengemeinschaften verschiedener Diversität eine mögliche Erklärung für „Artidentitätseffekte“.
Ausblick
Die Ergebnisse des „Jena Experimentes“ zeigen, dass Biodiversität einen signifikanten Einfluss auf Ökosystemprozesse hat. Jedoch sind weitere Untersuchungen für ein mechanistisches Verständnis dieser Zusammenhänge erforderlich.