Forschungsbericht 2011 - Max-Planck-Institut für Kernphysik
Überraschungen bei höchsten Energien - Fortschritte in der Hochenergie-Astrophysik
Mit der Inbetriebnahme der leistungskräftigen, erdgebundenen Teleskopsysteme H.E.S.S. (Namibia), MAGIC (La Palma) und VERITAS (Arizona) wurde ein interessantes Kapitel in der Hochenergie-Astrophysik aufgeschlagen. Die Gammastrahlung, die diese Teleskope messen, ist elektromagnetische Strahlung, wie auch sichtbares Sternenlicht, jedoch mit einer sehr viel höheren Energie. Während zum Beispiel die Energie des sichtbaren Lichts im Bereich eines Elektronenvolts (1 eV) liegt, können diese Instrumente Strahlung mit bis zu mehreren tausend Milliarden Elektronenvolt (1012 eV = 1 TeV) nachweisen. Diese sehr hochenergetische Strahlung ist allerdings relativ selten und verlangt daher besonders ausgefeilte Nachweistechniken.
Mit der erfolgreichen Vermessung spektraler Energieverteilungen, Lichtkurven sowie Strukturen kosmischer Objekte ist die Gammastrahlen-Astronomie mittlerweile nahezu erwachsen und in vielem den klassischen astronomischen Disziplinen vergleichbar geworden. Zusammen mit der Inbetriebnahme des NASA-Weltraumsatelliten FERMI im August 2008, mit welchem Gammastrahlung bei niedrigeren Energien (bis zu hundert Milliarden eV) nachgewiesen werden kann, haben sie eine Vielzahl faszinierender Entdeckungen ermöglicht und die Hochenergie-Astrophysik zu einem aufregenden Gebiet werden lassen. Zwei Highlights aus jüngster Zeit sollen hier kurz näher vorgestellt werden:
Hochenergetische Gammastrahlung aus der unmittelbaren Nähe supermassiver Schwarzer Löcher - der Fall M87

Astrophysiker gehen heute davon aus, dass der Einfall von Materie (Akkretion) auf ein Schwarzes Loch die gebündelten, gewaltigen und extrem schnellen Plasmaausströmungen (Jets) speist, welche in vielen Aktiven Galaxien (wie man diese Objekte nennt) beobachtet wurden. Obwohl Gammastrahlung aus der Richtung dieser Objekte immer wieder nachgewiesen wurde, blieb lange Zeit unklar, wo und wie diese Strahlung denn erzeugt wird. Hier haben neueste Beobachtungen der Aktiven Galaxie M87 entscheidende Fortschritte ermöglicht. Diese Galaxie befindet sich im Virgo-Galaxienhaufen, nur etwa 50 Millionen Lichtjahre von uns entfernt, und beherbergt in ihrem Zentrum ein supermassives Schwarzes Loch, das mit einer Masse von mehreren Milliarden Sonnenmassen zu einem der schwersten im Kosmos gehört. Aus dem Zentralgebiet von M87 tritt ein leuchtkräftiger, relativistischer Jet hervor, der sowohl im Optischen als auch im Radio- und Röntgenbereich sichtbar ist (Abb. 1).
M87 gehört zwar nicht zu jener Gruppe Aktiver Galaxien (auch Blazare genannt), bei denen dieser Jet direkt auf die Erde gerichtet ist, wodurch sich über relativistische Effekte die beobachtbare Strahlung signifikant erhöhen kann. Dennoch konnte schon 1998 das Pionierinstrument HEGRA erste Hinweise auf hochenergetische TeV-Strahlung von M87 auffinden. Dem Nachfolgerteleskop H.E.S.S. ist es dann 2005 gelungen, einen extrem schnellen und harten Gammastrahlen-Ausbruch nachzuweisen, bei dem sich die Quellregion erstmals auf einer Zeitskala von nur einigen Tagen zu verändern schien [1]. Neueste Gammastrahlen-Beobachtungen haben dies in der Tat erhärtet (siehe Abb. 2) [2].

Viele theoretische Modelle nehmen an, dass diese TeV-Strahlung irgendwo in der Nähe des Schwarzen Loches erzeugt wird. Tatsächlich war die beobachtete Variabilitätszeitskala (einige Tage) von der Größenordnung der Lichtlaufzeit über eine Wegstrecke vergleichbar mit der Größe des Grenzradius (Schwarzschild-Radius rs ≈ 1013 m) des Schwarzen Loches in M87. Aufgrund der typischen räumlichen Auflösungsgrenzen bei Gamma-Beobachtungen blieb allerdings lange Zeit offen, ob es sich nicht trotzdem um eine sehr kompakte Quellregion handeln könnte, die sich weiter außerhalb im Jet befinden könnte. Gemeinsam mit Kollegen aus dem Radiowellenbereich (VLBA), in dem eine räumliche Auflösung von bis zu 50 Schwarzschild-Radien möglich ist, konnten Gamma-Astronomen mittlerweile erfolgreich einen schnellen Gammastrahlenausbruch nachweisen, welcher von einem Radiostrahlenausbruch nahe des Schwarzen Loches begleitet wurde [3]. Alles scheint daher darauf hinzuweisen, dass die äußerst energiereichen Teilchen (insbesondere Elektronen und Positronen), welche die beobachtbare Radio- und Gammastrahlung erzeugen, in der unmittelbaren Umgebung dieses Schwarzen Loches beschleunigt werden. Dies geschieht höchstwahrscheinlich mittels starker, rotierender Magnetfelder, die nahe am Schwarzen Loch verankert sind [4]. Geladene Teilchen gewinnen dabei derart hohe Energien, dass sie niederenergetische Photonen in den Multi-TeV-Bereich streuen können. Die Wechselwirkung dieser TeV-Photonen mit infraroten oder optischen Hintergrundphotonen der Schwarz-Loch-Umgebung ermöglicht wiederum die Erzeugung zahlreicher weiterer Elektron-Positron-Paare. Im Fall von M87 lässt sich damit der beobachtete Jet magnetohydrodynamisch beschreiben [5]. Möglicherweise liefern auch energiereiche Protonen, die beispielsweise im Gefolge der Interaktion des Jets mit einem roten Riesenstern auf kleinen Skalen injiziert und beschleunigt werden können, einen bedeutenden Beitrag zum Verständnis der Gammastrahlung [6]. Die Einsicht, dass uns M87 fundamentale Aufschlüsse über die unmittelbare Umgebung eines aktiven supermassiven Schwarzen Loches erlaubt, hat diese Quelle mittlerweile zu einem bevorzugten, extragalaktischen Beobachtungsobjekt am Gammastrahlen-Himmel werden lassen. Alles deutet darauf hin, dass M87 auch weiterhin ein wichtiger Impulsgeber für Entwicklungen in der Astrophysik sein wird.
Das Zentrum unserer Milchstraße und die Herkunft der gigantischen Gammastrahlen-Blasen
Obwohl unsere eigene Milchstraße im Vergleich zu M87 ein eher kleines (Massenverhältnis etwa ein Promille) und passives Schwarzes Loch (Sgr A*) beherbergt, ist sie am Gammastrahlen-Himmel immer wieder für besondere Überraschungen gut. Hochenergetische TeV-Gammastrahlen wurden bislang schon erfolgreich von mehreren Quellen im Zentrum unserer Milchstraße nachgewiesen: Neben einem Supernova-Überrest und diffuser TeV-Emission entlang der Galaktischen Scheibe, die durch Proton-Proton-Wechselwirkung von Teilchen der kosmischen Strahlung mit molekularen Gaswolken erzeugt wird, gehört wohl auch Sgr A* selbst dazu [7]. Im Jahr 2010 haben Beobachtungen mit dem Fermi-Satelliten nun neue, spektakuläre Entdeckungen ermöglicht, nämlich zwei große, ballonartige, im Gammastrahlenlicht leuchtende Gebiete oberhalb und unterhalb des Galaktischen Zentrums [8].

Diese auch Fermi-Bubbles genannten Gebiete erstrecken sich jeweils 25 Tausend Lichtjahre von der Milchstraßenebene in den Raum hinaus. Damit haben sie eine Gesamtausdehnung (50000 Lichtjahre) von knapp der Hälfte des Durchmessers der gesamten Milchstraßenscheibe. Bezüglich der Herkunft der enormen Energie in diesen Blasen werden gegenwärtig verschiedene theoretische Interpretationen diskutiert, wie z. B. die Annihilation Dunkler Materie (WIMPs), eine in der Vergangenheit erhöhte Massenakkretion und Jet-Aktivität im Galaktischen Zentrum oder eine erhöhte nukleare Sternentstehung. Möglicherweise wird dabei die beobachtete Gammastrahlung durch Streuung von Photonen der Kosmischen Hintergrundstrahlung (CMB) und des infrarot/optischen Hintergrundlichtes an sehr energiereichen Elektronen mit Energien bis zu mehreren TeV erzeugt. Da diese Elektronen dadurch allerdings rasch an Energie verlieren, müssten sie ungewöhnlich schnell nach außen transportiert oder innerhalb dieser Blasen (z. B. an multiplen Stoßfronten) so wiederbeschleunigt werden, dass sich das ebenfalls beobachtete harte Energiespektrum nicht verändert. Vielversprechender erscheint daher ein alternatives Szenario, bei dem energiereiche Protonen der Kosmischen Strahlung mit dem Hintergrundplasma über Proton-Proton-Kollisionen wechselwirken und die gleichmäßig verteilte Gammastrahlung erzeugen [9]. In diesem Szenario treibt ein mehrere 100 km/s schneller Wind aus Protonen der Kosmischen Strahlung und heißem, Röntgenstrahlung emittierendem Plasma, der seit beinahe 10 Milliarden Jahren aufgrund anhaltender Sternentstehung aus dem Zentrum der Milchstraße weht [10], die Fermi-Blasen an. Die Blasen würden dann auf einzigartige Weise Zeugnis ablegen über die geschichtliche Aktivität im Zentrum unserer Milchstraße. Diese und andere Entdeckungen lassen uns erwarten, dass wir gerade dabei sind, unserer Milchstraße ein zentrales Geheimnis zu entlocken.