Forschungsbericht 2011 - Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung
Asteroseismologie eines sonnenähnlichen, planetentragenden Sterns
Einleitung
Die Asteroseismologie ist ein Werkzeug, um den inneren Aufbau, die Entwicklung und die dynamischen Prozesse entfernter Sternen zu untersuchen. Zahlreiche Sterne verschiedenen Typs und Entwicklungsstandes zeigen globale Schwingungen, also Schwingungen, die sich durch den gesamten Stern ausbreiten und die an ihrer Oberfläche in Form von Helligkeitsvariationen oder Oberflächenbewegungen sichtbar werden. Man unterscheidet grob zwischen radialen Schwingungen (der die Schwingungsmoden charakterisierende Parameter l ist null) und nichtradialen Schwingungen (l ≥ 1). Sonnenähnliche Schwingungen sind Schallwellen, die in Sternen mit einer äußeren Konvektionszone (wie z. B. der Sonne) beobachtet werden und die dort durch turbulente Konvektion angeregt werden. Während man die Sonnenoberfläche räumlich auflösen kann und so rund zehn Millionen Schwingungsmoden beobachtet, erscheinen entfernte Sterne als Punktquellen, wodurch die Schwingungsanalyse auf einige Dutzend globale Moden beschränkt ist. Aber bereits diese wenigen Schwingungen, insbesondere ihre Frequenzen, verraten viel über die innere Struktur und die dynamischen Eigenschaften dieser Sterne. Das Hauptresultat asteroseismologischer Studien sind genaue Messungen stellarer Parameter wie Radius, Masse, Alter und chemische Zusammensetzung. Außerdem erlaubt die Asteroseismologie prinzipiell die Messung der inneren Rotation von Sternen. Asteroseismologische Präzisionsmessungen erfordern allerdings lange und ununterbrochene Beobachtungen. Dank eigens dafür konzipierter Weltraummissionen wie der Mission CoRoT, durchgeführt von der französischen Raumfahrtagentur CNES in Zusammenarbeit mit der europäischen Weltraumbehörde ESA, und der NASA-Mission Kepler ist die Asteroseismologie sonnenähnlicher Sterne heute Realität.
CoRoT wurde im Dezember 2006 gestartet. Ihre präzisen photometrischen Messungen ermöglichen asteroseismologische Untersuchungen und erlauben auch die Entdeckung extrasolarer Planeten, also von Planeten, die zu Sternen außerhalb unseres Sonnensystems gehören. Ein besonders interessantes Beobachtungsobjekt ist HD 52265, ein sonnenähnlicher Stern, der von einem Planeten umkreist wird. Das MPI für Sonnensystemforschung war bei der Auswahl dieses Objektes beteiligt. Die viermonatige CoRoT-Beobachtung von HD 52265 (Abb. 1) im Jahr 2008/2009 lieferte einen der bis dahin qualitativ besten Datensätze, die für einen sonnenähnlichen Stern aufgenommen wurden [1, 2].
Untersuchung des sonnenähnlichen Sterns HD 52265
HD 52265 ist etwas heißer als die Sonne. Nicht-seismologische Untersuchungen und klassische Modelle liefern eine Masse von M = (1,20 ±0,05) MS, einen Radius von R = (1,255 ±0,033) RS und ein Alter von (2,7 +0,7/-1,5) Milliarden Jahren [3], wobei MS und RS die Sonnenmasse bzw. den Sonnenradius bezeichnen. Ein planetarer Begleiter wurde 2001 entdeckt. Er umkreist den Stern in einem Abstand von ca. 0,5 AU (astronomische Einheiten), also etwa der Hälfte des Abstandes zwischen der Sonne und der Erde. Die untere Grenze für die Masse des Begleiters ist gegeben durch Mp·sin ip = (1,09 ±0,11) MJupiter [4], wobei ip die Neigung der Planetenumlaufbahn relativ zur Verbindungslinie zur Erde und MP die Masse des Begleiters in Einheiten der Masse des Jupiters bezeichnet.
Abbildung 1 zeigt die Helligkeitsvariation von HD 52265 über die gesamte 117-tägige Beobachtungsdauer. Die Lichtkurve zeigt eine deutliche Variation der Helligkeit mit einer Periode von ca. 10 Tagen. Die Ursache sind Sternflecken, die etwas dunkler sind als die übrige Oberfläche (analog zu Sonnenflecken), und die aufgrund der stellaren Rotation den Stern umrunden. Eine genaue Modellierung der Lichtkurve ergab eine mittlere Rotationsperiode von 12,3 ±0,15 Tagen, also etwa doppelt so schnell wie die Rotation der Sonne [1]. Die stellaren Schwingungen sind in der Lichtkurve dagegen nicht unmittelbar erkennbar. Mit Hilfe einer Fourier-Transformation kann jedoch ein Frequenzspektrum erstellt werden, in dem die Schwingungsamplitude als Funktion der Frequenz dargestellt ist.
Abbildung 2 zeigt das Frequenzspektrum der 117-tägigen CoRoT-Beobachtung von HD 52265 und offenbart die typische, kammartige Struktur sonnenähnlicher Schwingungen. Es ist bemerkenswert, dass die radialen und die nicht-radialen Moden deutlich voneinander getrennt sind (siehe auch Abb. 3). Die Qualität der Daten ist mit Sonnenbeobachtungen vergleichbar, lediglich das Hintergrundrauschen ist höher (Abb. 3).
Der nahezu regelmäßige Frequenzabstand der Schwingungen wird durch die large separation (Δν) zwischen Moden mit dem gleichen l und der small separation (δν) zwischen benachbarten Moden mit l=0 und l=2 charakterisiert. Die large separation entspricht der inversen Laufzeit von Schallwellen durch den gesamten Stern und ist zur Quadratwurzel der mittleren Dichte des Sterns proportional. Die small separation hängt vom Gradienten der Schallgeschwindigkeit im Zentrum und somit vom Alter des Sterns ab. Die Messung dieser beiden aus den Schwingungsfrequenzen abgeleiteten Größen ermöglicht daher die präzise Bestimmung fundamentaler stellarer Parameter (siehe Abb. 4). Die Auswertung des Frequenzspektrums von HD 52265, d. h. die Bestimmung der Frequenzen, Amplituden und Lebensdauern der einzelnen Schwingungen, wurde mit Methoden durchgeführt, die bereits aus der Schwingungsanalyse der Sonne (Helioseismologie) wohlbekannt sind. Für HD 52265 konnten die Schwingungsparameter von insgesamt 84 Moden bestimmen werden.
Aus den ermittelten Schwingungsfrequenzen wurde eine mittlere large separation von Δν = 98,56 ±0,13 µHz sowie eine mittlere small separation von δν = 8,08 ±0,16 µHz abgeleitet (Abb. 4). Diese Frequenzmessungen gehören zu den präzisesten Messungen, die je für einen sonnenähnlichen Stern erzielt wurden. Die large separation ergibt eine mittlere Dichte von HD 52265, die etwa halb so groß ist wie die der Sonne. Bemerkenswert ist, dass der seismologische Messwert etwa 60- mal präziser ist als die mittlere Dichte, die man aus den klassischen Werten für Masse und Radius (siehe oben) ableiten kann! Eine Gruppe aus Kanada, die ebenfalls an diesem Projekt beteiligt war, verwendete die Messungen von Δν und δν zusammen mit nicht-seismologischen Messwerten (z. B. Temperatur und Schwerebeschleunigung an der Oberfläche und die Metallizität, also den Anteil schwerer chemischer Elemente), um ein bestmögliches Modell aus einem Raster von Sternmodellen zu bestimmen. Das beste Modell besitzt eine Masse von M = (1,27 ±0,03) MS, einen Radius von R = (1,34 ±0,02) RS und ein Alter von 2,37 ±0,29 Milliarden Jahren. Der statistische Fehler dieser stellaren Parameter beträgt lediglich 2% für Masse und Radius, und der Fehler für das Alter des Sterns entspricht ca. 5% seiner Lebensdauer auf der Hauptreihe, also dem Entwicklungsabschnitt, in dem sich auch unsere Sonne befindet. Die seismologischen Messergebnisse sind somit ca. 2-6 Mal präziser als die nicht-seismologischen Messungen (siehe oben).
Die Qualität der CoRoT-Daten von HD 52265 erlaubte sogar, die Rotation des Sterns mithilfe der Asteroseismologie zu bestimmen. Die nicht-radialen Schwingungen (l ≥ 1) setzen sich aus insgesamt (2·l + 1) Komponenten zusammen. Die zugehörigen Schallwellen können sich in Rotationsrichtung oder in entgegengesetzter Richtung durch den Stern ausbreiten. Dies führt zu kleinen Frequenzverschiebungen relativ zu einem nicht-rotierenden Stern. Eine Schallwelle, die sich in Rotationsrichtung ausbreitet, hat eine scheinbar geringere Schwingungsdauer bzw. eine größere Frequenz. Da sich die Schallwellen im gesamten Sternkörper ausbreiten, misst die Asteroseismologie sogar die innere Rotation des Sterns (Sterne rotieren häufig nicht wie starre Körper, sondern weisen eine breiten- und tiefenabhängige Rotation auf). Keine andere Methode ist dazu in der Lage! Des Weiteren kann die Neigung der Rotationsachse (relativ zur Verbindungslinie zwischen Stern und Beobachter) aus den Amplituden der einzelnen Schwingungskomponenten abgeleitet werden (z. B. [5]). Dieser Effekt, den die Rotation auf die Schwingungen hat, wurde ausgenutzt, um für HD 52265 eine Rotationsperiode von (11,8 +5,0/-1,9) Tagen und eine Inklination der Rotationsachse von i = (36º +14º/-9º) zu bestimmen; dies ist die erste Messung der Rotation in einem sonnenähnlichen Stern mithilfe der Asteroseismologie!
Wenn man annimmt, dass – ähnlich wie in unserem Sonnensystem – die Rotationsachse des Zentralsterns und die Umlaufbahn des Begleiters aneinander ausgerichtet sind (i = ip), dann kann man die minimale Masse (Mp·sin ip) des Begleiters HD 52265 in eine wahre Masse umrechnen und erhält so Mp = (1,85 +0,52/-0,36) MJupiter. Unter dieser Annahme wäre der Begleiter also tatsächlich ein „echter“ Planet und kein Brauner Zwerg, eine Zwischenstufe zwischen Planeten und Sternen.
Die Zukunft: PLATO
Die PLATO-Mission (PLanetary Transits and Oscillations of stars) ist eine Kandidat für das Cosmic Vision Programm der europäischen Weltraumbehörde ESA und befindet sich momentan in der Planungsphase. Sollte die Mission durch die ESA ausgewählt werden, wäre der Start im Jahr 2024 möglich. Das MPI für Sonnensystemforschung ist intensiv an den Planungen des PLATO-Bodensegmentes beteiligt.
Das Hauptziel der Mission wäre die Entdeckung erdähnlicher Planeten mit der Transitmethode (also der Messung der Helligkeitsschwankung eines Sterns aufgrund der Querung eines Planeten) und die Charakterisierung von extrasolaren Planetensystemen mithilfe der Asteroseismologie ihrer Zentralsterne. Dazu würden rund dreißigtausend kühle, sonnenähnliche Zwergsterne kontinuierlich für eine Dauer von bis zu drei Jahren beobachtet. Die Bestimmung präziser Massen, Radien und Alter der entdeckten Planeten hängt entscheidend von der Präzision stellarer Parameter ab, die mithilfe der Asteroseismologie bestimmt werden sollen. Statistische Untersuchungen und die Bildung einer Entwicklungssequenz von extrasolaren Planetensystemen wären mit der großen Anzahl an entdeckten Planeten möglich.